Buchrezensionen

Franziska Strauss – I killed my dinner with karate, hrsg. v. Neue Sächsische Galerie Chemnitz und Egbert Baqué Contemporary Art Berlin, Eigenverlag 2013

Franziska Strauss hält in ihren Fotografien Bewegungen und Gesten von Tänzern fest, die in höchst überraschenden Figuren und Gebärden vertrauten Gefühlen Ausdruck verleihen. Günter Baumann findet, dass sie eine geradezu außergewöhnliche Begabung dafür besitzt, Körper zum Sprechen zu bringen.

Franziska Strauss – I killed my dinner with karate © Cover Franziska Strauss
Franziska Strauss – I killed my dinner with karate © Cover Franziska Strauss

Schon das Titelbild des angezeigten Katalogs bannt den Blick: aus dem Schwarz des Umschlags heraus tauchen zwei weibliche Körper hervor, die sich in labiler Pose umklammern – im Tanz, im Kampf oder in purer Verzweiflung, ist auf den ersten Blick nicht eindeutig zu sagen. Erst im Blättern zeigt sich das dominierende Tanzmotiv (was die anderen Deutungen nicht in Abrede stellt). Der radikale Beschnitt der Figuren ist nicht der quadratischen Umschlaggestaltung geschuldet, er ist gewollt.

Franziska Strauss ist eine außergewöhnliche Fotografin, die bevorzugt menschliche Körper modelliert – die aus der bildhauerischen Nachbardisziplin entlehnte Begrifflichkeit ist erlaubt, versteht es die Künstlerin doch mit einer faszinierenden Einfühlungsgabe, Tänzer und Tänzerinnen so zu präsentieren, als wären sie eben leibhaftig dem Betrachter auf den Leib gerückt; Licht wird hier tatsächlich zum Werkzeug (nicht von ungefähr heißt Fotografie ursprünglich ›Lichtbildnerei‹, im Wechselspiel zur Plastik). Kein Wunder, hat die Fotokünstlerin in ihrer Jugend ihre eigenen Erfahrungen als Balletttänzerin gesammelt. Als sie sich für die Laufbahn der Lichtbildnerin entschied, war es der Kontakt zu einer US-amerikanischen Compagnie, die ihr während einer Tour Einblick in ihren künstlerischen Alltag gewährte.

Es entstanden Serien, die zum Schönsten, Ergreifendsten und zuweilen Irritierendsten gehören, was die Tanzfotografie zu bieten hat: In der Drastik des Bildausschnitts sprengt sie den Rahmen des Formats genauso wie das Sujet selbst – Auflösungen sind bis zur Unkenntlichkeit erzwungen, wobei immer noch die tänzerische Bewegung, die Seele der Dargestellten, erkennbar bleiben. Neben den Aktionssituationen lichtet sie Szenen ab, die die Bühne hinter sich lassen: erschöpfte Leiber hier, exzentrische Körper im landschaftlichen Kontext dort. Die nahezu monochrome Farbigkeit gibt den eigenwilligen Kompositionen einen expressiven Ausdruck, der weniger der klassischen Fotografie etwa der 1920er Jahre als der Malerei des Barock und des Manierismus verpflichtet ist. Wenn überhaupt eine fotografische Leitfigur mitschwingt, wäre das vielleicht Robert Mapplethorpe, doch dessen Spektrum zielt doch auf eine andere Aussage hin. Das wird nicht zuletzt am Titel deutlich: »I killed my dinner with karate« nimmt Bezug zur Musik, die wiederum den Bogen zum Tanz zu spannen weiß – das Lied, das diese Zeile enthält, stammt von Joanna Newsom, die sich zwischen Indie, Folk und Avantgarde positionieren lässt.

Franziska Strauss zeigt, wie sich Tanz anfühlt. Als heranwachsendes Mädchen und Jugendliche hat sie selbst getanzt, und wenn sie heute ihre professionellen Kolleginnen und Kollegen vor ihrem geistigen (und mit dem Kamera-)Auge ablichtet, ist das auch eine Art Aufarbeitung dessen, was sie mit 18 Jahren aufgegeben hat, um am Scheideweg zwischen Choreografie und Fotografie den Weg der Lichtbildnerei zu gehen – um schließlich da anzukommen, wo sie immer war: im Tanz. »Durch meine Arbeit«, so schreibt sie, »sehe ich Tanz nicht mehr als etwas…, das man mal macht, wenn Musik läuft oder das manche als Beruf ausüben«. Tanz ist für sie eine Sprache aus »Bewegungen, Gesten und Berührungen, die wie Worte ständig aus uns heraus wollen«.

Anders als Werbe- oder Pressefotografen interessiert sich Franziska Strauss nicht für das Ergebnis auf der Bühne, vielmehr ist sie mit einem unbeschreiblichen Gespür dieser inneren, authentischen Sprache des Körpers auf der Spur, welche ungeschminkt an der Wahrheit des Seins, dem puren Leben, rührt. Tanz ist kraftvoller Ausdruck und Angreifbarkeit, voller Körpereinsatz und Verletzlichkeit. Aber trifft das, so Franziska Strauss, nicht bei allem zu, »was man intensiv betreibt«? Es geht ihr nicht um das Porträt einer Tänzerin oder eines Tänzers, es geht ihr noch weniger um Werbefotografie.

In zahlreichen Gesprächen mit den Tänzern von Gallim Dance und während der Proben hat Franziska Strauss ein Bild vom Tanz als solchem entworfen. Ihre Arbeiten tragen keine Titel, um den freien Blick nicht zu verstellen. Wohl aber rekurriert sie in den Serien, »Reckoner« oder eben »I killed my dinner with karate«, auf Liedtitel aus der alternativen Rockszene. Das anspielungsreiche, fast melancholische Lied »Reckoner« von Radiohead etwa lief zufällig, als sie beim Shooting mit den Tänzern zusammensaß. Als bloße Chiffren überschreiben diese Zuweisungen Bildsequenzen, deren Rätselhaftigkeit Programm ist. Die jüngste Serie »Vert« setzt das fotografische Werk konsequent fort. Franziska Strauss hält atemberaubende, aus der Bewegung herausgelöste Momente fest, die den Eindruck vermitteln, als stünde hier mit jeder Aufnahme die Welt still. Zum anderen sucht sie den elementaren Ausdruck des Tanzes: die Bewegung. In scheinbar fließenden, zuweilen verschwimmenden Schwarzweiß-Aufnahmen zeichnet Franziska Strauss abstrakte Körperbilder, die an sinnlicher Ausstrahlung kaum zu überbieten sind.

Dass die Neue Sächsische Galerie in Chemnitz die erste Museumsausstellung mit Arbeiten von Franziska Strauss ausrichtet, ist eine schöne Bestätigung für die junge Künstlerin, die von ihrem Berliner Galeristen Egbert Baqué unermüdlich unterstützt wird und der auch für den Katalog mitverantwortlich zeichnet. Geboren 1984 in Cottbus, studierte Strauss Fotodesign an der Hochschule München und profilierte sich bei namhaften Fotografen in Chicago, New York und Berlin. 2011 erhielt sie den Förderpreis der BFF und den Reinhart-Wolf-Preis.

Weitere Informationen

Der Ausstellungskatalog kann über die Neue Sächsische Galerie erworben werden.

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