Es sind zuweilen die unscheinbarsten Dinge, Alltags- und Allerweltsgegenstände, die noch einen unverstellten Blick ins Leben eines Menschen geben. Ein wahrhaftiges Juwel ist das im Leipziger Verlag Koehler & Amelang erschienene, faksimilierte Adressbüchlein der Frida Kahlo.
Das Erscheinen dieses Bändchens ist glücklichen, ja wundersamen Umständen zu danken: einmal, weil die Berliner Historikerin Christine Fischer-Defoy, die von dem bibliophilen Kleinod zufällig in einer Pressenotiz über eine Ausstellung in Mexiko erfuhr und mit veröffentlichten Adressbüchern (Hannah Arendt, Walter Benjamin, Paul Hindemith, Heinrich Mann) schon ihre Erfahrungen gemacht hat, zum anderen, weil der Verlag Koehler & Amelang das vordergründig belanglose Notizheft in seine Reihe »Das private Adressbuch« aufgenommen hat, obwohl Format und Gestaltung ein wenig aus dieser Reihe tanzen. Zudem weiß man erst wenige Jahre von der Existenz des Adressbuchs, das während der erwähnten Ausstellung zum 100. Geburtstag der Künstlerin 1907 erstmals ausgestellt wurde. Obwohl Frida Kahlo zu den bekanntesten Maler(inne)n des 20. Jahrhunderts gehört und auch wegen ihrer tragischen Lebensumstände über ihrem Tod hinaus 1954 ein breites Publikum fand, das auf eine Vielzahl an Publikationen zurückgreifen kann, ist dieses Verzeichnis von Namen, Telefonnummern und Adressatennotizen eines der schönsten Büchern der Saison.
Freilich haben wir es nicht mit einer trockenen Auflistung von Namen zu tun – die allein wichtige Aufschlüsse über die Vita geben, wenn man etwa den hohen Anteil an Ärzten konstatiert, die die körperlichen und seelischen Leiden der Malerin zu lindern versuchten. Neben nüchternen Notaten gibt es flüchtige Kürzel, neben Kritzeleien auch ornamentale bis hin zu dinglichen Skizzen: Die Geliebte ihres Mannes, des genialen Malers Diego Rivera – von dem sich Kahlo zwischendurch getrennt und den sie ein zweites Mal geheiratet hatte, ist einem Kussmund eingeschrieben. Ihre eigene Telefonnummer steht genauso im Buch wie die der anderen, als sehe sie sich als Doppelpersönlichkeit. Auf kleinstem Raum tauchen Namen auf, den eine mittelgroße Biographie wohl übergehen würde, wobei man die Rechercheleistung der Herausgeberin nur bewundern kann. In mühevoller Detailarbeit hat sie im rund 150-seitigen Kommentarteil Namen, Kürzel, Steichungen und so manch unleserliche Stelle aufgelöst. Das wäre noch nicht so beachtenswert, wenn Christine Fischer-Defoy nicht immer auch die unmittelbaren Bezüge zu Frida Kahlo erläutert und mit Zitaten angereichert hätte.
Unter dem Eintrag zu Marcel Duchamp liest man etwa, die Künstlerin habe »tagelang wie ein Idiot warten« müssen, bis sie ihn kennen lernte, »(ein wunderbarer Maler), der einzige in diesem Haufen durchgedrehter Surrealistenärsche, der mit beiden Beinen auf der Erde steht«. Duchamp hatte sich bei Zollproblemen für Kahlo eingesetzt und eine Galerie für sie besorgt. Die Fotografin Gisèle Freund wird ausführlich gewürdigt wie auch Pablo Picasso, den die Malerin 1939 während einer Ausstellung traf – und der sie nicht nur als Gefährtin seines Freundes Rivera betrachtete, sondern treffsicher ihre Fähigkeiten erkannte. Episoden wie die, dass Picasso ihr Ohrringe in Form von Händen schenkte, die man in Selbstgemälden wiederzuerkennen glaubt, machen das Blättern zum Vergnügen – auch bei unbekannten Namen oder bei Institutionen des alltäglichen Lebens. Verweise am Ende der Kommentare führen immer wieder zum Adressbuch-Faksimile zurück.
Frida Kahlos Adressbuch besitzt die Intimität eines Tagebuchs, ohne sich eine Blöße zu geben. Die sinnliche Farbgestaltung, die aus dem kleinen Gebrauchsbuch wie nebenbei ein Gesamtkunstwerk macht, bleibt auch in der Druckfassung spürbar – die 70 Seiten sind schwarz hinterlegt, was den Einzelseiten den Charme von Devotionalien verleiht. Wem eine Biographie über Kahlo zu viel ist, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen – nach dem Stöbern wird man mit umso größerer Freude an das Werk der Malerin gehen.