Buchrezensionen, Rezensionen

Fritz Saxl: Gebärde, Form, Ausdruck. Zwei Untersuchungen, Diaphanes 2012

Das schmale Buch enthält zwei Abhandlungen von Fritz Saxl, der zu den Mitarbeitern Aby Warburgs zählte und seinen Interessen wie seiner Person weit über dessen Tod hinaus eng verbunden war. In der ersten Untersuchung werden Motivwanderungen aus der heidnischen in die christliche Kunst untersucht, in der zweiten, vergleichsweise anthropologisch orientierten, behandelt er die »Ausdrucksgebärden in der bildenden Kunst«. Stefan Diebitz hat den ungemein gehaltvollen Band gelesen.

Fritz Saxl (1890–1948) war ein enger, vielleicht sogar der engste und wichtigste Mitarbeiter Aby Warburgs, mit dem ihn der Forschungsgegenstand – die Wanderung von Motiven und ihr Nachleben in einer späteren Kunst – ebenso verband wie die Methodik oder die Überzeugung, Bildern käme eine aktive Rolle zu und müssten deshalb wie ein handelndes Subjekt angesehen werden. Aus Österreich gebürtig, emigrierte Saxl zur Zeit des Nationalsozialismus ins englische Exil und nahm auch die Bibliothek mit nach London, wo sie sich noch heute befindet.

Erst im letzten Frühjahr erinnerte eine kleine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle an Aby Warburgs Vortrag »Dürer und die italienische Antike«, in dem der große Kunsthistoriker ein erstes Mal über die Pathosformel sprach und seine Überlegungen mit elf Grafiken ergänzte. Pathosformel meint seitdem den formelhaften Ausdruck von Mimik und Gestik, den Warburg in den Verbindungen der Renaissance zur Antike entdeckte. Ihm ging es darum, die Spuren »der wandernden antiken Gebärdensprache« aufzuweisen. In den beiden Abhandlungen Saxls ist von der »Pathosformel« zwar nicht die Rede, aber genau darum geht es auch ihm. In der Methodik ganz Warburg verpflichtet, setzt Saxl aber in der Thematik eigene Akzente.

Die Abhandlung »Frühes Christentum und spätes Heidentum in ihren künstlerischen Ausdrucksformen« ergäbe mit einer entsprechend großzügigen Illustration fast allein ein ganzes Buch. In ihren drei Kapiteln behandelt der Autor folgende Themen: zunächst den Dialog, dann die Tötung eines Stieres durch Herakles bzw. Mithras, endlich »Darstellungen der Weltenkönigs-Idee«. Dabei sind alle drei Themen keinesfalls allein kunstgeschichtlich interessant, sondern es ist von eminenter geistesgeschichtlicher oder sogar anthropologischer Bedeutung, dass die Darstellung eines so elementaren Vorgangs wie dem Dialog in der Antike noch nicht möglich schien. »Die klassisch-griechische Kunst kennt keine Dialogdarstellung, weil sie nur plastisch gesonderte Größen darstellen will.« Man fühlt sich ein wenig an Oswald Spenglers Verständnis der Antike erinnert, wenn man diese Worte liest, aber Saxl ist in seinen Darstellungen und Deutungen viel bescheidener und solider als der Geschichtsphilosoph und verzichtet auf alle großen Gesten.

Die Abhandlung Saxls erschien 1923, also gleichzeitig mit der Schrift des großen jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber, der in »Ich und Du« der Polarität (in seinen Worten »Zwiefalt«) der Worte Ich und Du nachging. Es muss interessant sein, diese beiden Abhandlungen, dazu auch noch andere wie eine um einige Jahre spätere Schrift Karl Löwiths (»Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen«) miteinander ins Gespräch zu bringen. Saxl kommt gegenüber den beiden Philosophen das Verdienst zu, dank einer erstaunlichen Gelehrsamkeit reiches Material zur Verfügung zu stellen – schon allein deshalb ist diese Abhandlung auch in ihren beiden anderen Teilen so wichtig und lesenswert.

Saxl war nicht allein umfassend gelehrt und ein fähiger Autor, der eine schön dahinfließende Prosa schrieb, sondern besaß auch ein besonderes Talent in der Ausdeutung der einzelnen Bilder. Bei der Behandlung des Mithrasmotivs stellt er eine Entwicklung vom Dynamischen zum Statischen dar – eine Entwicklung, welche die meisten Leser wohl überraschend finden werden. Sie hat damit zu tun, dass »das Dynamisch-Hellenische durch das Statisch-Orientalische verdrängt wird. Keinesfalls also liegt in jener Entwicklung vom Bewegten zum Starren, die wir in den Darstellungen der Stiertötungsszene beobachten konnten, eine bloß immanente Entwicklung.«

In dem abschließenden, wesentlich kürzeren Aufsatz über die »Ausdrucksgebärden der bildenden Kunst« ist es Saxl gelungen, einen Begriff zu prägen, der in die Kunstgeschichte einging, den der »energetischen Inversion«. Wie Aby Warburg geht es ihm um die Aufnahme und Fortführung antiker Motive in der Kunst der Renaissance, und er zeigt schlagend ihre Umdeutung durch den späteren Künstler: »In allen drei Fällen sind von der klassischen Kunst in einem langen Bildungsprozess gewonnene Formeln wieder aufgenommen, und zwar energetisch invertiert. Aus der Tötung wird Heilung, und aus dem Schrecken Sieg.«

Die letzte Illustration des zweiten Aufsatzes zeigt die Zeichnung einer Buddha-Statue. Auch deshalb fällt dem Leser André Malraux und sein »Imaginäres Museum« ein, in dem er der Verwandlung der Apollstatuen in solche des Buddha nachgeht. Arnold Gehlen merkte zu diesem Buch kritisch an, dass das Buch von Malraux dem Leser suggeriert, »daß die Tat des Künstlers immer die Tötung des Stiles von gestern war, weil die Zeitraffer-Täuschung der endlosen Photoserie nichts ergibt als Entstehung und Untergang von Stilen.« Über Saxls Buch oder Aby Warburgs Arbeiten hätte Gehlen das nicht sagen können – ganz im Gegenteil. Von bloßem Stilwandel ist hier nicht die Rede, sondern das Besondere seiner Methode liegt in der behutsamen Darstellung des geistesgeschichtlichen Umfeldes.

Das wird noch einmal in dem lesenswerten Nachwort des Herausgebers Pablo Schneider deutlich, der besonders den Gedanken Warburgs (und damit auch Saxls) betont, dass dem Bild eine aktive Rolle zugesprochen werden muss. »Das Bild wird nicht als passive Abbildung gedeutet, sondern als ein mit dem Betrachter handelndes Objekt.« Die Motive bergen »Ideen und Vorstellungen in sich, die aktiv das Sehen und Deuten der Betrachter« gestalten. Ein wenig erinnert dieser Gedanke an die Metaphorologie Hans Blumenbergs, von dem ich nicht weiß, ob er irgendwo auf Aby Warburg eingeht.

Die Herausgabe dieser beiden schönen und gedankenvollen Aufsätze ist überaus verdienstvoll, und dass die (allerdings zahlreichen) Illustrationen eher bescheiden sind, ist bei dem sehr mäßigen Preis des Bandes eigentlich selbstverständlich. Unverständlich ist es für mich allerdings, dass die Texte Fritz Saxls – selbst seine Zitate! – der neuen Rechtschreibung angepasst wurden. Für mich kommt das einer Verfälschung des Originals gleich.

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