Ausstellungsbesprechungen

Füssli, The Wild Swiss

Lässig sitzen sie da, der Künstler selbst und der Poet und Poetologe Johann Jacob Bodmer, sinnierend der eine, gestikulierend der andere – und zwischen ihnen schaut übergroß ein scheinbar müder, tatsächlich aber blinder Homer in die Runde. Theatralisch ist die ganze Szenerie, eine Büste bloß der antike Dichter. Ist er wirklich Thema des wohl wortarmen Gesprächs?

So unwirklich das Gemälde »Füssli und Bodmer vor der Büste Homers« auch ist, das durchkomponierte Bild mit dem raffinierten Spiel der Hände ist ein beeindruckendes Stück gezähmter Leidenschaft. Es handelt sich um ein Bild des Schweizer Malers Johann Heinrich Füssli (1741–1825), der in Zürich mit einer Retrospektive geehrt wird: Fast 60 Gemälde und über 120 Aquarelle und Zeichnungen sind noch bis zum 8. Februar dort zu sehen.

 

Selten ließ Füssli nur die Hände tanzen wie in diesem Bild, im Gegenteil: in unbändigen Körperaktionen scheinen die Protagonisten aus der literarischen oder mythologischen, der märchen- oder sagenhaften Welt der aufbrausenden Götter und aufgescheuchten Feen wie aus den Fugen geraten. Kein Wunder, dass er nach seiner Übersiedlung nach London nicht nur seinen Namen änderte in das für englische Zungen geschmeidigere Fuseli, sondern dessen ungeachtet als »Wild Swiss« durchging. Wer weiß, ob sich Homer, Milton, Shakespeare & Co. im Grab umdrehen würden, könnten sie die Arbeiten des tatsächlich wildesten aller Illustratoren sehen. Freilich ist es leicht, die vor ihrem Pathos fast berstenden Protagonisten mit einem erhabenen Lächeln abzutun (Lavater: »In der Nähe ist er nicht zu ertragen«), aber dann muss man doch anerkennen, dass sich erstaunlich viele von Füsslis Gemälden im Bildgedächtnis erhalten haben – so etwa das Kultbild »Der Nachtmahr« (in mehreren Versionen), das freiheitheischende Gemälde »Thor im Kampf mit der Midgardschlange« oder die von Shakespeare entlehnte Titania in »Titania liebkost Zettel mit dem Eselskopf«. Es ist kurios genug, dass wir uns einem, nein: dem einzigen Vertreter des Sturm und Drang in der Kunst gegenüber sehen. Die Dichter Klinger, Bodmer – siehe oben – und Breitinger, aber auch Goethe und Schiller lassen grüßen; nebenbei bemerkt war Füssli auch selbst ein erfolgreicher Dichter im Fahrwasser Klopstocks – mit zuweilen nahezu surrealer Bildlichkeit.

 

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Füssli ging seinen Weg mit Bedacht. Früh schon, als er noch den Beruf des Theologen anpeilte, befasste er sich mit Hans Holbein, begeisterte sich für die überdrehten Figuren des Manierismus. Später – nunmehr ganz Künstler – feilte er in Italien an seinem eigenen Stil, in bewusster Auseinandersetzung mit Michelangelo und dem antiken Hellenismus. In England schließlich hatte er seinen Ruf schnell weg und er prägte sogar etliche britische Künstler. Er muss hier verehrt worden sein, denn nach seinem Tode 1925 wurde er in der St. Paul’s Cathedral beigesetzt. Seine Schweizer Heimat hat Füssli seit 1779 nicht mehr betreten. Die begeistert sich dafür heute umso mehr für ihren berühmten Wahlengländer, und weil sich die größte Füssli-Sammlung in Zürich befindet, war es nahe liegend, hier eine Retrospektive zu inszenieren, die dem heutigen Interesse für Theatralik und Virtuosität, Spiel und Exzentrik entgegenkommt – man denke nur an die hochgesteckten Frisuren so mancher porträtierten Frau, die in karikierender Überzeichnung verraten, dass Füssli ein genauer, teilweise ironischer Beobachter seiner Zeit war.

 

Der sachkundige und sehr gut bebilderte Katalog führt noch einmal alle Götter und Geister, Kobolde und Kunstheroen, Feen und Furien zusammen und überbietet die Züricher Schau mit 185 farbige und 45 Schwarzweißabbildungen noch um einige Highlights seines Werks. Wenn man von den hemmungslos erotischen Zeichnungen einmal absieht (von denen schon die Witwe Füsslis viele verbrannte), haben die Katalogmacher erfreulicherweise eine der frechsten erzählerischen Arbeiten auf den Umschlag gesetzt, »Fallstaff im Wäschekorb«.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Dienstag–Donnerstag 10–21 Uhr

Freitag–Sonntag 10–17 Uhr

24./25. Dezember geschlossen

26. Dezember / 1./2. Januar 10–17 Uhr

 

Eintritt

Erwachsene   17,- CHF

Ermäßigt       11,- CHF

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