Ausstellungsbesprechungen

Gebrochener Glanz: Römische Großbronzen am UNESCO-Welterbe Limes, LVR-Landesmuseum Bonn, bis 20. Juli 2014

Dass auch das Fragmentarische beeindrucken kann, beweits derzeit die Ausstellung im LVR-Landesmuseum in Bonn. Zu sehen sind Fragmente, aber auch Rekonstruktionen von Großbronzen aus dem Grenzgebiet des Römischen Reiches. Sie gestatten den Blick auf die ästhetischen Gewohnheiten der Römer. Obendrein informiert die Schau über die aufwendige Forschungsarbeit rund um diese Fragmente. Rainer K. Wick hat sie sich angesehen.

Denkmalsturz
Kurz nachdem die US-Truppen im sog. Dritten Golfkrieg (auch Zweiter Irakkrieg genannt) Bagdad eingenommen hatten, wurde dort auf dem Firdos-Platz (Paradies-Platz) am 9. April 2003 vor den Augen der an den Fernsehschirmen versammelten Weltgemeinschaft die überlebensgroße Bronzestatue Saddam Husseins vom Sockel gerissen. Mit diesem Vorgang wurde im frühen 21. Jahrhundert an eine Praxis angeknüpft, deren Tradition historisch weit zurückreicht. Gemeint ist die Praxis des Denkmalsturzes als eine Spielart des politischen Ikonoklasmus. Schon im alten Ägypten verbreitet, war die Beschädigung, Zerstörung und Beseitigung von Bildnissen missliebiger oder entmachteter Herrscher insbesondere im römischen Reich eine übliche Vorgehensweise, um diese Personen gleichsam »in effigie« hinzurichten und der öffentlichen Wahrnehmung, ja Verehrung, zu entziehen. Fließend sind die Übergänge zum religiösen Ikonoklasmus. So wurden in der Spätantike und im frühen Mittelalter unter christlichen Vorzeichen im großen Maßstab als heidnisch geltende antike Bronzen aus religiösen Gründen zerstört und eingeschmolzen, und das heute auf dem Kapitolsplatz in Rom stehende Reiterstandbild des römischen Kaisers Marc Aurel entging nur deshalb der Zerstörung, weil es irrtümlich für Konstantin, den ersten christlichen Kaiser, gehalten wurde.

Bilanz eines Forschungsprojekts
Im Bonner LVR-LandesMuseum mit seinen reichen Sammlungsbeständen aus der Zeit der Römer am Rhein wird nun eine spannende Ausstellung mit – meist fragmentarisch erhaltenen – römischen Großbronzen gezeigt, die in den Gebieten des Limes, also der östlichen Grenzregion des Imperium Romanum nördlich der Alpen, gefunden wurden: in Germania Inferior, Germania Superior, aber auch in den Gebieten Gallia Belgica und Raetia. Hervorgegangen ist die Ausstellung aus einem von der VolkswagenStiftung finanzierten Forschungsprojekt, in dessen Rahmen circa 5000 aus der Limesregion stammende Fragmente römischer Bronzestatuen, die bisher kaum Beachtung gefunden hatten, systematisch erfasst sowie archäologisch, archäometrisch und restauratorisch aufgearbeitet wurden. Mit Hilfe moderner naturwissenschaftlicher Methoden wie Röntgen-, CT- und 3D-Scan-Verfahren wurden Materialanalysen der Metall-Legierungen durchgeführt, und Guss-Simulationen konnten zum besseren Verständnis der antiken Handwerkstechniken beitragen. Ein Film, die kleinmaßstäbliche Rekonstruktion einer antiken Gießgrube und die Darstellung der einzelnen Herstellungsstufen vom Tonmodell über die Negativform bis zum Guss ermöglichen dem interessierten Publikum Einblicke in die Entstehung römischer Bronzeplastiken.

Die aufwendige Ausstattung von Militärlagern und Zivilsiedlungen mit Ehrenstatuen und Götterbildnissen gehörte im gesamten römischen Reich ebenso zum Standard wie die Aufstellung von Skulpturen als Kunstwerke in den Privathäusern und Villen reicher und privilegierter Bürger. Diese repräsentativen Großbronzen waren in doppelter Hinsicht glanzvoll, und zwar im Sinne von großartig, herausragend, grandios, und – ganz vordergründig – im Sinne von strahlend, blinkend, glitzernd, waren sie ursprünglich doch häufig vergoldet, wie zahlreiche Exponate der Schau im Bonner Landesmuseum bestätigen. Da die meisten der gezeigten Fundstücke aber nur noch bruchstückhaft überliefert sind, könnte der Titel »Gebrochener Glanz« nicht treffender gewählt sein. Das Spektrum reicht von kleinteiligem Metallschrott, der recycelt wurde, bis hin zu Gliedmaßen wie Beinen, Füßen, Händen und Fingern (auch ein Bronzepenis ist dabei), ferner Häuptern von Herrschern und Gottheiten sowie einem überaus edlen Pferdekopf aus Augsburg, der von einem Reiterstandbild oder einem Gespann (Biga oder Quadriga) stammen dürfte. Zu den Highlights der Ausstellung gehört der Abguss des fast vollständig erhaltenen sog. Xantener Knaben. Das Original dieser anmutigen Bronze, einer Schrittfigur, die als stummer Diener fungierte, wurde im Jahr 1858 in der Uferzone des Rheins gefunden und befindet sich heute in der Antikensammlung in Berlin.

Ursachen der Zerstörung
Es ist bekannt, dass zu jeder römischen Niederlassung, ob Legionslager, Handelsmetropole, Veteranensiedlung oder Verwaltungszentrum, ein umfangreiches Skulpturenprogramm gehörte, das unter anderem der Selbstdarstellung der jeweils Herrschenden diente. Dennoch ist davon nur ein äußerst geringer Prozentsatz ganz oder teilweise erhalten. Vielfältig sind die Gründe für den hohen Verlust römischer Großbronzen gerade in der Limesregion. Die Bonner Ausstellung lehrt, dass dafür nicht nur die das Imperium Romanum existentiell bedrohenden Germanenstürme und die »kunstfremde Barbarei« (Katalog) germanischer Invasoren verantwortlich waren, die letztlich mit zum Zusammenbruch der römischen Herrschaft beitrugen, sondern verweist auch auf andere Faktoren, die mit Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb des Reiches selbst zu tun hatten.

Eine maßgebliche Rolle spielte der eingangs erwähnte, als Denkmalsturz bekannte politische Ikonoklasmus. Sein Ziel war die Damnatio memoriae, die Verdammung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine in Ungnade gefallene oder entmachtete Person – eine im römischen Reich seit der Zeit des Augustus übliche Praxis, die vor den Bildnissen einstiger Herrscher und Angehöriger des Kaiserhauses keineswegs Halt machte. Die Bonner Ausstellung belegt dies unter anderem mit einem Porträt des Severus Alexander aus Carnuntum, einem Legionslager und Reiterkastell im heutigen Niederösterreich. Severus Alexander war von 222 bis 235 römischer Kaiser und wurde in Mogontiacum, dem heutigen Mainz, von seinen meuternden Truppen ermordet. Auffallend sind die mutwilligen Verletzungen, die dem Bronzekopf des getöteten und bei den Soldaten ungeliebten Herrschers zugefügt wurden, und es ist überliefert, dass nach seinem Tod seine Bildnisse im ganzen Reich geschändet wurden. Ähnlich erging es der sog. Rosmerta (Landesmuseum Mainz), einer römischen oder keltischen Gottheit, deren rechte Gesichtshälfte heftige Hiebe aufweist, die auf – wahrscheinlich religiös motivierte – Zerstörungen hindeuten.

Abgesehen von derartigen Aktionen wanderten Bronzen, für die es keine Verwendung mehr gab, immer wieder in den Schmelztiegel, um Rohmaterial für neue Statuen oder auch Gebrauchsgegenstände zu liefern, so wie im Mittelalter auch zahllose antike Marmorskulpturen in den Kalbrennereien landeten und für Bauzwecke in Branntkalk umgewandelt wurden. Dort, wo die römischen Herrscher ihre Autorität eingebüßt hatten und die alten Götter entthront waren, zählte ohne Rücksicht auf ästhetische Kriterien und gestalterische Qualitäten nur der Materialwert. Umso erstaunlicher, was man trotz aller Zerstörungen dem Boden hat entreißen können und was nun eine unverhoffte museale Auferstehung erlebt.

Die exzellent inszenierte Bonner Ausstellung ist außerordentlich informativ und lohnt nicht zuletzt auch deshalb, weil sie eine Schule des Sehens ist. Denn die Fokussierung auf Fragmentarisches schärft den Blick für Ungeschautes bzw. Übersehenes, also für Details wie die Hand eines Faustkämpfers mit Schlagring, den reich verzierten Stiefel oder die detailliert ausgearbeitete vergoldete Monumentalhand eines Imperators, um nur einige Beispiele aus der Fülle der Exponate herauszugreifen. Die Ausstellung wandert im Anschluss ins Limesmuseum Aalen in Baden-Württemberg, wo sich einst ein römisches Reiterkastell befand, und ins Museum Het Valkhof in Nijmegen, dem römischen Ulpia Noviomagus Batavorum.

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