Ausstellungsbesprechungen

Gefäß/ Skulptur 2. Deutsche und internationale Keramik seit 1946, Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, bis 23. März 2014

Das Grassi zeigt in seiner aktuellen Ausstellung alles Andere als öde Keramikkunst. Rowena Fuß hat es sich angeschaut.

Ob in Vitrinen, auf Podesten oder Sockeln, ob bauchig, filigran oder gezähmtes Ungestüm, in der Ausstellung präsentiert sich die keramische Kunst in allen Größen, Formen und Varianten. Den ersten Ausstellungsabschnitt, der den Zeitraum von 1946 bis 1979 umfasst, kennzeichnet das Spiel mit geometrischen Grundformen à la Bauhaus oder der Rückgriff auf ältere Traditionen. So sind braune Längs- bzw. Querstreifen die einzigen Ornamente auf einer ansonsten weißen Spindel- und einer Flaschenvase von Ingeborg und Bruno Asshoff. Gleich nebenan befindet sich die Bildplatte mit einer stilisierten Vogeldarstellung von Rolf Overberg, die lateinamerikanische Anleihen vermuten lässt. Kubistisch ist wiederum die »Dame« von Hermann Naumann zu nennen und eine wahre Wucht strahlt die Kugelform von Gotlind und Gerald Weigel aus. Antje Brüggemann montierte dagegen Steinzeug zu einem dreidimensionalen Stillleben: Auf einer Mauer ist ein Tuch faltenreich drapiert, davor und auf einem angefügten Zylinder befinden sich kleine Apfelsinen.

Kontrastreich sind die einzelnen Ausstellungsstücke gegenübergestellt. Insgesamt präsentiert das Grassi rund 700 Arbeiten von knapp 300 Künstlern. Der Titel steht als Chiffre für die Entwicklung der Studiokeramik. Diese gilt als eine der Malerei, Bildhauerei und zuweilen gar der Architektur gleichgestellte künstlerische Gattung. Der Gebrauch für das Auge, für die Sinne, ist bei vielen Stücken bedeutsamer als ein rein auf den Nutzen ausgerichteter Ansatz.

»So scheint sich das keramische Produkt der bewussten Steuerung weitgehend zu entziehen, einem gewissen Grad von Zufälligkeit ausgesetzt zu sein und damit zwischen ›Handwerk‹ und ›Kunst‹ eine eigenartige Stellung einzunehmen« resümiert Walter Popp, der ein wichtiger Impulsgeber für die Keramik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert war. An den Wänden neben den Exponaten stehen weitere solcher Zitate der vertretenen Künstler. Sie dienen als Führer wie auch als Synopse der einzelnen Ausstellungsabschnitte.

Besonders spannend ist der Sonderausstellungsflügel, der die Jahre von 1980 bis 2012 beherbergt. »Ich zerreiße, zerschneide oder verbiege das Material und bringe es damit in Form«, klärt uns hier Karl Fulle über seine und die anderen Arbeiten der Sektion auf. Sehr schöne Beispiele dafür liefert er gleich selbst mit seinen Werken »Woge« und »Lamandar«. Die urgewaltige Kraft des Elements ist bei erstem in eine Form gebannt worden, die dynamisch und statisch zugleich ist. Wie aufgerissen und doch so natürlich wie eine Kaurimuschel wirkt dagegen Arbeit Nummer zwei. Manch einer mag den imperfekten Status vielleicht bemängeln, doch ich bin geneigt, mich dem Zitat Gertraud Möhwalds, eine der bedeutendsten Keramikerinnen der Gegenwart, anzuschließen: »Eine vollkommene Form – die regt einen überhaupt nicht an.«

Dieser Sinn für eine pure Ästhetik findet sich in ein paar fernöstlich angehauchten Stücken fortgesetzt. So etwa beim Krieger von Margret Weise. Im ersten Moment erinnert der Samurai an ein Pendant aus der berühmten Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers Qín Shǐhuángdì (3. Jh. v. Chr.). Doch hat Weise ihm ein deutlich surreales Aussehen gegeben: Der Kopf liegt leicht schräg auf den Schultern, so, als würde er gleich hinunterfließen. Auch der restliche Körper ist nicht ganz intakt. Von hinten betrachtet liegt der Bereich der Lendenwirbelsäule offen und enthüllt das aus mehreren Röhren geformte Innere dieser Mensch-Maschine.

Bei Ralf Busz, einem Schüler Walter Popps, fällt der Blick zuerst auf die beiden Fische im Inneren einer dickwandigen Schale. Aber sind es wirklich welche? Eigentlich sind es bloß mit einem dynamischen Strich aufgetragene rötliche Farbspuren auf einem jadegrünen Untergrund. Busz spielt mit unserem Assoziationsvermögen, das er durch die zwei verwendeten Glasuren überhaupt erst angestachelt hat.

»In einem Kunstwerk sollte nicht alles ausgesprochen werden. Es soll anstoßen, Fragen offen lassen. Das unterscheidet Kunst vom Dekorativen« formulierte es der sächsische Keramikkünstler Robert Sturm treffend. Und man staunt in der Ausstellung regelrecht über die Vielfalt dessen, was moderne Keramik kann und will. Wer dabei die Orientierung verlieren sollte, dem bietet das Museum übrigens einen Audioguide, ein Filmprogramm, viele Veranstaltungen und natürlich den opulenten Katalog, um sich dem Thema oder Aspekten daraus zu nähern.

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