Ausstellungsbesprechungen

Georg Baselitz – Top. Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall, verlängert bis 13. April 2009

Schnell ist man dabei, von der verkehrten Welt zu reden – meist bleibt es bei der Floskel, die sich noch nicht einmal zur Vorstellung verdichtet, oder man transferiert sie allzu vage auf die Theaterbühne. Georg Baselitz genügte das nicht, nahm das Bild von der verkehrten Welt wörtlich und stellte die Kunst und symbolisch auch die Welt selbst auf den Kopf.

Marsyas, Ikarus und die gestürzten Engel ließen grüßen – nicht aufwärts ging der Weg, sondern abwärts, mit blutschwerer Hirnschale, entwurzelter Natur (denn nicht nur der Mensch stand Kopf, auch die Wälder, die Vögel: Nichts hatte seinen angestammten Platz). Als Baselitz vor 40 Jahren erstmals das Motiv drehte, mochte das als Marotte durchgehen. Doch mussten die Museumsbesucher bald feststellen, dass mehr dahinter steckte, sie mussten sich auch daran gewöhnen, vor den Baselitz-Arbeiten das Haupt fast zwanghaft, wenn auch unbewusst leicht zu neigen, als würde man ihnen ehrfurchtsvoll begegnen. In die Kunstgeschichte ging der Künstler als einer der großen deutschen Nachkriegsmaler ein, der der Verunsicherung des Menschen im Alltag, im Leben einen sichtbaren Ausdruck gab. Es mag sein, dass mit den Jahren aus dem Motivdreh ein fast gefälliges, vom Markt eingefordertes Markenzeichen wurde. Doch spätestens seit unser Wirtschaftssystem nicht mehr das ist, was es einmal war, und seit jeder tagtäglich, manche am eigenen Leibe spüren, wie verkehrt sich die Welt plötzlich schummrig gedreht hat, ist das auf Sturzflug eingestimmte und sozusagen erprobte Werk Baselitz\' wieder »TOP«. Dabei befindet sich der 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz geborene Maler längst in einer ganz anderen Phase, die sich dem Remix des eigenen Schaffens widmet. Wer weiß, ob wir dies auch als hellsichtigen Wink deuten können und dereinst die alte Welt in Erinnerung bringen mit einem »Es war einmal« auf den Lippen. Baselitz selbst wird sich darum nicht scheren, er malt, wie ihm der Pinsel gewachsen ist: »Ich male auf keinen Fall an einem Bild lange und übermale nichts, sondern schmeiße lieber weg und fange neu an«, bekannte er 2004.

Die Ausstellung im Hause Würth hat rund 50 eigene Arbeiten und zahlreiche Leihgaben, darunter auch einige der grobschlächtigen Skulpturen Baselitz’, in Schwäbisch Hall vereint und feiert den 70. Geburtstag des Meisters, ohne ihn zum Visionär zu verklären – er selbst hat die Auswahl der gezeigten Werke getroffen. Vielmehr präsentiert sie ein Werk, das gegen manchen Trend nie vom gegenständlichen Motiv Abstand nahm, mittlerweile – an den jüngeren Realismen vorbei – wieder selbst die Wegmarken setzt. Sein malerischer Kopfstand wird als »Schachzug«, gewertet, mittels dem Baselitz vielschichtig-mehrdeutig »Identität und Bedeutung von Darstellung und Wirklichkeit« zum Lebensthema gemacht hat. Zu seiner (hier leider ein wenig übergewichtig vertretenen) Retro-Phase gehört auch die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte von der Romantik, insbesondere Caspar David Friedrich, über Munch bis hin zu Mondrian, dessen abstrakte Raster er mit der Swastika konfrontiert – ein heikles Unterfangen, weil der Durchschnittsrezipient kaum mehr die sich ausschließenden und sich vereinigenden Kräfte des uralten Sonnenradzeichens und des von den Nazis pervertierten Machtsymbol auseinanderhalten kann (Drehung hin oder her). Gegen die Drastik der noch im Remix onanierenden Protagonisten mit Hitlerbärtchen treten sie ohnehin eher in den Hintergrund. Aber da ist Baselitz doch auch als der Provokateur präsent wie eh und je, als sei er ein junger Wilder. Gern gibt er sich als »böser Bube«, kann es sich aber auch leisten, wenn kein Geringerer als Altkanzler Gerhard Schröder die Ausstellung eröffnet, wie in diesem Fall geschehen.

 

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Öffnungszeiten
Täglich von 10 bis 18 Uhr

 

 

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