Ausstellungsbesprechungen

Georg Baselitz. Russenbilder

Durchweg Riesenformate, außer Magenta und Militärgrün wenig Farbe, dabei viel Licht und Leinweiß, rasche, transparente, manchmal graphisch wirkende Malweise - Eindrücke von Georg Baselitz' Russenbildern in den Hamburger Deichtorhallen. Entstanden zwischen 1998 und 2005, wurden sie nun erstmals über 40 verschiedenen Leihgebern für eine Gesamtschau entlockt, die bereits im französischen St. Etienne zu sehen war und im Anschluss nach Seoul weiterreisen wird.

Jedes einzelne der 58 Ölbilder imponiert, wie es seine eigene Wand bekleidet - Wände übrigens, die schräg zueinander und zu sämtlichen architektonischen Achsen in die Hamburger Deichtorhallen eingestellt und beidseitig bespielt sind: Eine grandiose und eigenwillige Ausstellungsarchitektur, vom Museum in Abstimmung mit dem Künstler erdacht. Sie unterstützt den Geist der Offenheit und Leichtigkeit, den die Bilder atmen.

Im Januar 2008 wird Georg Baselitz siebzig. Seine Bedeutung als einer der ganz Großen  der internationalen Kunstwelt ist unbestritten. Mit diesen Bildern »eröffnet sich sein Alterswerk«, erklärt Kurator und Deichtorhallenchef Robert Fleck. Die Rückwendung zu früheren Motiven ist als Vorgehen schon von den ab 2005 entstandenen »Remix« - Bildern des deutschen Altmeisters der Figuration bekannt. Ihnen war die Auseinandersetzung mit Motiven des sozialistischen Realismus in den »Russenbildern« vorausgegangen. Sentimentale Nostalgie? Baselitz geht mit diesem Thema selbstironisch um. Natürlich, »im Alter kommt auch der Humor dazu – und der Kitsch«, setzt er hinzu.

Bislang bekannt als einer, der die Ölfarbmasse knetet und die Leinwand bedeckt, verdünnt Baselitz sein Material für diese Bilder teilweise bis zur Aquarelltransparenz oder rastert, im Flaschenkorken-Druck, die Farbfläche pointillistisch auf. Innerhalb der Russenbilder entstand die Gruppe der »Lochbilder« in Hommage an Jackson Pollock gar im Herumgehen um die (und bisweilen einem Tritt auf die) am Boden liegende Leinwand - auch ein Mittel, die Farbe mit größerer Leichtigkeit auf die Leinwand zu bringen.

»Russenbilder«, so nannte der Volksmund der DDR salopp die Bilderflut des sozialistischen Realismus sowjetischer Herkunft, die in Schulbüchern, Akademien und Ausstellungsinstitutionen vormachte, wie eine politisch und formal korrekte Malerei auszusehen und was sie zu zeigen hatte. Baselitz, der in der DDR aufwuchs und hier sein Kunststudium begann, kennt diese Bilder in- und auswendig. Lenins und Stalins ikonenhafte Konterfeis sind auf zahlreichen seiner »Russenbilder« erkennbar. Darüber hinaus wäre den im Reich der Abstraktion aufgewachsenen Betrachtern eine etwas leidenschaftlichere Ausstellungs-dokumentation willkommen.

 

Die Bildtitel verweisen auf verschiedene sowjetische Urheber von Baselitz\' Vorbildern, so bei »Brief von der Front (Laktionov)«. Das Ausgangsbild von 1947 zeigt einen kleinen Jungen im Kreise von Familienmitgliedern, der mit strahlenden Augen besagten Brief vorliest. Eine Darstellung wie viele. Allerdings - wer sie kennt, dem tritt noch klarer vor Augen, welchen Gefallen Baselitz ihnen allen mit seiner Neubetrachtung eigentlich getan hat. In diesem Fall bleibt bei Baselitz vom Original kaum mehr als der Titel: die schöne jugendliche Mutter des Jungen, dort im Hintergrund zu sehen, wird hier, vollständig entkleidet, zum Bildthema, der Junge mit dem Brief rückt an ihre Seite. Formal unterzieht Baselitz Laktionovs Bild freilich einer Totalmetamorphose, und beide stehen - selbstverständlich - auf dem Kopf.

Baselitz\' »Russenbilder« - Entlarvung, Abrechnung mit jener aufgezwungenen Malerei?Gar nicht mehr notwendig. Spielerische Antwort auf das Schulprogramm seiner Kindheit jedoch sind sie allemal, herausgefordert und ermöglicht durch die Wende, die Beschäftigung mit seiner Stasi-Akte und der eigenen Familiengeschichte, durch die Wiederentdeckung jenes stalinistischen Bildguts, das ihn im Alter zwischen 10 und 20 Jahren geprägt hatte. Sich diese Motive nun aus der zeitlichen Distanz anzueignen, kommt ohne Zweifel einem späten Befreiungsakt gleich. Den Triumph der Malerei über die Politik gab\'s gratis dazu.

 

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