Ausstellungsbesprechungen, Meldungen zum Kunstgeschehen

Georges Seurat – Figur im Raum, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 9. Mai 2010

Der französische Neoimpressionist Georges Seurat gilt als Ikone der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts und als wichtigster Vertreter des von ihm entwickelten Pointillismus. Seine Werke komponierte er akribisch aus zahllosen kleinen, nebeneinander angeordneten Farbtupfern, die sich auf der Netzhaut des Betrachters zu einzigartigen Farbwelten vermischen. Eine Konstante in Seurats Œuvre bildet der Umgang mit der Figur im Raum, was auch zentrales Thema der Ausstellung in der Schirn ist. Sowohl das malerische als auch das zeichnerische Werk Seurats künden von seinem großen Interesse am Experiment mit diesem Sujet. Günter Baumann hat sich die Ausstellung für PKG angesehen.

Georges Seurat (1859–1891) hat seine Nische gefunden, über der mit großen Lettern steht: Pointillismus. Seurat scheint fast mit diesem Begriff (als Inbegriff) verschmolzen zu sein; Neo-Impressionisten fallen einem etliche ein, beim genau genommenen Pointillismus, der die Neuauflage des Impressionismus regelrecht auf den Punkt bringt, wird man ins Grübeln kommen und sich mit dem Seurat begnügen (können) – Signac oder Rysselberghe könnten im Chor ›mitsingen‹, wenn auch die Tonlage dieselbe wäre. Sogar die beispielhaften Arbeiten, die gemeinhin nicht so üppig ausfallen, können deutlich eingekreist werden: Seurats Studien zum »Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte« gehören, völlig zurecht, zu den Ikonen der frühen Moderne. Die Frage ist nun, ob die Einengung auch wirklich gerechtfertigt ist. Die etwa 60 Gemälde und Zeichnungen wecken beim ersten Blick die Aufmerksamkeit auf einen Stil, der zumindest in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum (die Schau startete in Zürich, wo der Kunsthaus-Chef Christoph Becker mit dem feinen Gespür für kunsthistorische Bewusstseinserweiterungen mitinitiiert hatte) noch gar nicht in seinen Ausmaßen, seinen Begrenzungen und Grenzüberschreitungen erkannt wurde.

Das leistet die nach Frankfurt gewanderte Schau nun auch sehr deutlich, die zum einen den Maler unter dem Gesichtspunkt der figürlichen Darstellung im Raum vorstellt und wie nebenbei auch ganz andere Saiten im Werk Seurats aufzieht. Schon sein Diktum, der Wirklichkeit nahezukommen, indem er »eine Oberfläche aushöhle«, ist der Zeit weit voraus – die computeranimierte Oberflächenbehandlung lässt grüßen. Da gibt es hierzulande bislang kaum beachtete Gemälde aus öffentlichen und privaten Sammlungen (so viel Seurat gab es hier tatsächlich noch nie) zu sehen, mehr noch: Seurat zeigt sich in der Ausstellung von einer Seite, die man hinter einem (Spät-)Impressionisten kaum vermutet: als Zeichner. In dieser Gattung agiert Seurat überwältigend, unverbraucht, changiert zwischen tiefstem Schwarz und zartestem Grau, leichtfüßiger Bewegungsstudie und existenzieller Schwere, zwischen erstaunlich malerischem und schraffur-linearem Charakter; hier weist das Werk weit über sich hinaus, überspringt spielend die Anfangsjahre der Moderne, um ganz in unsrer Gegenwart zu landen, während seine Gemälde vor allem vom italienischen Futurismus weiterentwickelt wurden. Relativiert wird mit der Einbeziehung der zeichnerischen Gattung die Dominanz der Spektralfarben, die man bisher mit der Kunst Seurats verband - tatsächlich kommt er offenbar auch ohne sie aus. Die Ausstellung in der Schirn macht deutlich, dass das prämoderne Dreigestirn Cézanne / van Gogh / Gauguin mit Georges Seurat, der bereits mit 31 Jahren starb, einen weiteren Protagonisten bekommt, was einem heutigen kuratorischen Verständnis zu folgen scheint, denn die Sammlung Beyeler wies in seiner letzten Ausstellung nach, dass auch Henri Rousseau zu den vorrangigen Wegbereitern gehörte.

Unterstrichen wird die Bedeutung Seurats nicht nur durch die Frankfurter Hommage selbst, die das schmale Seurat-Werk trefflich beleuchtet, sondern auch durch den Katalog, den so unterschiedliche Autoren wie Wilhelm Genazino (wunderbar schon der Titel des Essays: »herumstehen, herumsitzen, herumliegen. georges seurats trügerische idyllen«) und Gottfried Böhm schmücken. Sogar ein Hörbuch – wie der Katalog bei Hatje Cantz erschienen – begleitet die Schau.

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