Ausstellungsbesprechungen

Georges Vantongerloo 1886–1965. Lehmbruck-Museum, Duisburg, bis 10. Januar 2010, sowie später im Gemeentemuseum Den Haag, 23. Januar – 26. Mai 2010 und Kulturspeicher Würzburg, 21. August – 3. Oktober 2010

Jede Zeit scheint ihre Leitfiguren zu haben – zum Leidwesen der Gefolgsleute. So scheint der Olymp der modernen Kunst auch schon besetzt zu sein. Nehmen wir den kleinen niederländisch-flämischen Sprachraum, ragen Piet Mondrian und Gerrit Rietveld hervor, Letzterer hat es mit seinem De-Stijl-Haus in Utrecht sogar zu Weltkulturerbe-Weihen gebracht. Damit ist die Region für manche ausreichend gesegnet. Doch gerade die Niederlande haben schon im 17. Jahrhundert gezeigt, dass die größten Stars – Rembrandt, Vermeer – aus einem ganzen Teppich von bedeutenden Kollegen hervorkamen. In der abstrakten Abteilung der Moderne ist es natürlich auch ein ansehnlicher Haufen, der sich sehen lassen kann. Nun steht ein Künstler, aus der zweiten Reihe unserer Wahrnehmung her betrachtet, im Rampenlicht, das ein grandios experimentierfreudiges, utopiefähiges Werk beleuchtet: das von Georges Vantongerloo.

Wie Mondrian ging auch Vantongerloo von Naturformen aus – man ahnt sie kaum noch –, die sich auf dem Weg zur vollkommenen Harmonie in rein abstrakte Motive verwandelten. Doch Vantongerloo (1886–1965) machte im Gegensatz zu seinem berühmten Kollegen bei der Malerei nicht Halt, auch nicht imAnspruch, das Geistige in der Kunst darzustellen. Konstruktiv überschritt er die Grenzen zur Architektur, zur Plastik und zum Design; Möbel schienen ihm genauso als Thema interessant zu sein wie ein Flughafen, der dann aber doch eher im Modellstadium verblieb. In dieser Hinsicht war Vantongerloo wohl weniger im De Stijl heimisch als in der französischen Abstraction-Création-Bewegung, durch die er Max Bill kennen lernte. Hier, im Umkreis des Schweizer Multitalents, entwickelte Vantongerloo seine schwungvolle, kurvenreiche Formensprache. Aber auch  in dieser machte er es sich nicht bequem – im fortgeschrittenen Alter wurde er lyrischer, und er bediente sich immer wieder neuer Materialien, schuf Arbeiten aus Plexiglas oder Draht. Kein Wunder, dass das Lehmbruck-Museum dem Maler und Bildhauer Vantongerloo dazu verhelfen will, aus den Schatten seiner berühmten Kollegen zu treten. Denn so konsequent, wie er funktionale mit formal-ästhetischen, theoretisch-mathematischen und rein-künstlerischen Elemente miteinander verband, hatte er kaum jemanden neben sich.
Rund 200 Exponate umfasst die Ausstellung, darunter 60 Arbeiten zeitgenössischer Künstler, zeigen ein vielseitiges Œuvre, das dem Besucher mit der Ausstellung auch einen Katalog beschert, der hierzulande wohl ein konkurrenzloses Standardwerk werden dürfte. Die Ausstellung macht aus Vantongerloo einen Pionier auf dem internationalen Parkett, auf dem sich neben ihn keine Geringeren als Archipenko, Moholy-Nagy, Naum Gabo, Theo van Doesburg, Alexander Rodtschenko, Hans Arp, Alexander Calder und andere mehr tummeln.

Die Schau geht im Anschluss ans Gemeentemuseum in Den Haag, wo die Idee des »Stijl« bis heute hochgehalten wird.

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