Ausstellungsbesprechungen

Gerhard Altenbourg. Im Fluss der Zeit. Retrospektive

Ironie, Schmerz und Schwermut sind die fragilen Stützen, die das Werk – wie ein Titel sagt: das »Ich-Gestein« – von Gerhard Altenbourg tragen, die ihm die Distanz zur Außenwelt und seinen Bewohnern sichern. Geboren 1926 in einem Nest mit dem reizvoll-unwirklichen, phantasievollen Namen Rödichen-Schnepfenthal bei Friedrichroda, zog Gerhard Ströch als Dreijähriger mit seinen Eltern und Geschwistern nach Altenburg, das nicht nur die spätere Namensänderung des Künstlers anregte, sondern auch seine Zuflucht bis zum Tod im Jahr 1989 blieb – zeitweise unterbrochen nur durch die nachhaltig prägenden wie traumatisierenden Kriegs- und die folgenden Studienjahre zwischen 1944 und 1959.

Mit dem blockhaft normierten Realismus nach sozialistischem Modell – bezahlt wurde nach Größe des Bildes oder nach Anzahl der porträtierten Köpfe – hatten die Arbeiten Altenbourgs nie etwas zu tun. Kein Wunder also, dass sein Werk in der DDR erst mit Verzögerung in den 80-er Jahren wahrgenommen wurde. Dank dem ambitionierten Engagement des Hannoverschen, nunmehr Berliner Galeristen Dieter Brusberg sowie dem Einsatz von Ernst-Gerhard Güse und letztlich der Sammelwut Peter Ludwigs, der die ostdeutschen Künstler gleich stapelweise in den Westen brachte, war der Boden in der BRD schon ein Jahrzehnt früher für die Kunst Altenbourgs bereitet – nur zu den abstrakten Trends und dem künstlerischen Aktionismus im Westen passte sein Werk auch nicht: die geistige Nähe zu Caspar David Friedrich, Paul Klee und Max Ernst – Romantik und Surrealismus – musste da eher irritieren.

 

Zwischen der »Zeitvergleich«-Ausstellung 1983/84 und (spätestens) der grandiosen Berliner Retrospektive zur »Kunst in der DDR« im Jahr 2003 haben sich nicht nur die Zeiten gravierend verändert, sondern auch das Bewusstsein für die ostdeutsche Kunst, die in ihren halb und gänzlich verborgenen Schichten alles andere als blockhaft war. Inzwischen gehören Carlfriedrich Claus, mehr noch Hermann Glöckner und besonders Gerhard Altenbourg zu den bedeutenden deutschen Nachkriegskünstlern – in der gegenwärtigen Ausstellungslandschaft gehört Altenbourg neben Horst Janssen und Marc Chagall zu den meistgenannten Namen (Picasso einmal außen vor gelassen).

 

»Wenn ich zeichne, trete ich aus der Zeit heraus. Ich beginne, mich in der wahren Zeit zu befinden, denn ich trete in ein Kontinuum ein, und zwar in ein Kontinuum derer, die vor mir waren und sich vor mir verwirklicht haben.« Altenbourgs Zurückgezogenheit war also keineswegs bloße Eigenbrötlerei, sondern recht unbescheiden ein Leben in »vor uns liegenden Jahrtausenden«, in denen politische Koordinaten zur Marginalie herabsanken: »Im Sozialismus und im Kapitalismus wird man geboren und stirbt man. Im Sterben aber ist das Ich ganz allein« – und damit bei sich selbst. Hieraus erklärt sich auch der Individualstil, der sich in seiner reflektierenden Prägung eher an der Literatur (etwa Benn, Celan, George) und Philosophie orientiert als an den unterschiedlichen Kunstströmungen der Gegenwart, wobei immerhin die Bezüge zu Wols und der Art Brut mittlerweile thematisiert worden sind.

 

Für das Düsseldorfer Museum ist die Retrospektive, mit der das Werk Altenbourgs endgültig in den Fundus einer gesamtdeutschen Kunst aufgenommen worden ist, Neuland, wie der Kurator Armin Zweite bekennt, denn mit Altenbourg würdigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen »erstmals einen Künstler aus der ehemaligen DDR«. Als sei er in den vergangenen Jahren schlicht übersehen worden, scheint Altenbourg nun umso deutlicher als Desiderat auf. Die mit dem bekenntnishaften »mea culpa« verbundene Reue lässt sich sehen – rund 120 (von gut und gern 5000) zeichnerische Arbeiten aus allen Schaffensperioden werden gezeigt: die monumentalen Werke der 50-er Jahre, die Grotesken und Humoresken der Zwischenphase, die lakonischen Einkehrbilder der späteren Jahre. Zutage kommen Arbeiten in der besten Tradition des abgründigen Wesens der Romantik, das über Blake, Baudelaire und Kubin ins 20. Jahrhundert eindrang, um von Klee in ein leichteres Sein gehoben zu werden.

 

Die Chronologie spielt in der Präsentation allerdings eine untergeordnete Rolle. Vermittelt werden vielmehr die Polaritäten, die Spannungen innerhalb der menschlichen Existenz, die in den Worten des Malers »Menschenschau: Ekel« gipfeln, das heißt, die Größe und Defekt der menschlichen Spezies gleichermaßen einschließt: Mikrokosmos und Makrokosmos in einem; metamorphotisches Fließen und melancholisches Stillestehen in einer brüchigen Balance (das Titelbild »Im Fluss der Zeit«);

 

heiteres Darüberstehen (»Es ist kein Meister vom Himmel gefallen«) und alptraumhafter Sog in einer Spirale der Angst (»Ecce Homo Sterbender Krieger«). Verzichtet wurde weitgehend auf das druckgrafische Werk und die Plastiken zugunsten einer Aufnahme der bislang weniger beachteten Künstlerbücher. Die Einschränkung hatte allerdings nicht allein ihren Grund in der Konzentration auf bestimmte Themenfelder; der ursprüngliche Plan, etwa doppelt so viele Werke zeigen zu können, scheiterte vermutlich an finanziellen Barrieren (im Katalog ist von »unvorhersehbaren Schwierigkeiten« die Rede) – dennoch gewährt die wohldurchdachte Präsentation einen guten Blick auf das Werk eines der wichtigsten Protagonisten der Nachmoderne.

 

Am 3. März findet im Rahmen eines Kunstabends ein Gespräch mit dem Kunstkritiker Eduard Beaucamp und dem Sammler Wilfried Rugo statt unter dem Thema »Der Eremit und sein Drahtzieher« (19 Uhr).

 

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, bis 7. März 2004

Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 2. April – 6. Juni 2004 Staatliche Graphische Sammlung, München, 7. Juli – 5. September 2004

Weitere Informationen

Öffnungszeiten (Düsseldorf)

 

Dienstag – Freitag 10–18 Uhr

Samstag – Sonntag 11–18 Uhr

1. Mittwoch im Monat 10–22 Uhr

 

Eintrittspreise (Düsseldorf)

 

Einzelkarte EURO 6,50 / 4,50

Schulklassen EURO 2,- / 2,50 pro Person

 

Führungen und Veranstaltungen (Ahlen)

 

Mittwochs 15.30 Uhr

Sonntags 11.30 Uhr

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