Buchrezensionen

Gerhard Richter – Zufall, das Kölner Domfenster und 4900 Farben, hrsg. von Museum Ludwig und Metropolitankapitel der Hohen Domkirche Köln, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2007.

2002 erging an den »Weltstar« Gerhard Richter der Auftrag für das südliche Querhausfenster des Kölner Doms einen Glasmalerei-Entwurf zu schaffen. Am 25. August 2007 wurde das Fenster feierlich enthüllt und im selben Jahr der Aufsatzband mit dem sperrigen Titel »Gerhard Richter – Zufall, das Kölner Domfenster und 4900 Farben« publiziert.

Mit vier Textbeiträgen und einem umfangreichen Abbildungsmaterial sehr guter Qualität gewährt der Band einen Einblick in die Bedingungen einer Auftragsvergabe, die zwei außerordentlich populäre »Kulturträger« zusammenführte.

Der Textbeitrag von Stephan Diederich führt den Computer als Dienstleister des Künstlers ein. Mittels Zufallsgenerator wurde die Anordnung der Farbtöne für eine Hälfte des Domfensters bestimmt, während die andere Fensterhälfte die seitengespiegelte Version der Komposition erhielt (7). Damit wurden 113 Quadratmeter Fensterfläche mit »etwa 5200 Farbquadraten« (8) geschlossen. Die Absicht des Künstlers auf »Verneinung eines erhabenen, esoterischen Kunstanspruchs und der Selbstsicherheit jedes bildnerischen Dogmatismus« (8) wurde durch den Computereinsatz erfüllt.

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Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner eröffnet mit ihrem protokollarischen Artikel eingangs einen Blick in die Entwicklungs- und Auftragsgeschichte der Obergadenverglasung des Kölner Domes im Allgemeinen und der Querhausfenster im Besonderen. Prämisse war, dass die geplante Fensterkomposition »in [ihrer] Farbigkeit unbedingt Rücksicht auf die historische Verglasung [zu] nehmen« habe (26). In der nachfolgenden Beschreibung diskreditiert Schock-Werner die Glasmalerei des 20. und 21. Jahrhunderts sowohl im Hinblick ihrer lichttechnischen als auch ihrer formalen Vorgaben als unzureichend. Gerhard Richter jedenfalls hat erfolgreiche Überzeugungsarbeit gegenüber seinen katholischen Auftraggebern geleistet und schließlich eine nichtfigürliche Fenstergestaltung durchgesetzt. In einem nächsten Schritt wurde die Größe der einzelnen Farbquadrate auf 9,7 x 9,7 cm festgelegt, schließlich die Farbauswahl mit 72 Farben und in Fortführung des Glasmaterials der historischen Fenster mundgeblasenes Echt-Antikglas getroffen. Dass »die gläserne Farbwand mit ihrem betörenden Licht« – und das kann nur bestätigt werden – »alles Ornament vertrieben hat« und »alles zu enthalten« scheint »was über Spiritualität, Licht und Farbe je gesagt wurde« (31) ist ein schöner, selbstzufriedener aber auch lapidarer Abschluss im offiziellen Tagebuch der Dombaumeisterin.

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Hubertus Butin konzediert dem bekennenden Atheisten Richter einen »starken Hang zum Katholizismus« (45) und will in der Auftragsvergabe für den Fensterentwurf »das größte Vertrauen«, das das katholische Rheinland in ästhetischen Fragen einem Künstler gegenüber aufbringen könne, ausgesprochen sehen. Und Richter habe denn laut eigener Aussage »begeistert, aber auch erschrocken« auf diese Vertrauensbekundung reagiert. (45-46)

Interessant zu lesen ist die Beschreibung des Bildfindungsprozesses. Richter hätte nach fotografischen Vorlagen die historische Wirklichkeit »äußerst brutaler Erhängungs- und Erschießungsszenen« (46) im Fenster malerisch wiedergegeben, um dem Auftraggeberwunsch nach figürlicher Märtyrerdarstellung gerecht zu werden. Dieser Vorschlag lief allerdings dem Anspruch einer »erwarteten Transzendierung der Figuren« und »damit dem kirchlichen Kontext« (47) zuwider. Die Wahl fiel schließlich auf eine mosaikartige, abstrakte, »visuell autonome, selbstreferenzielle Bildkonstruktion«, »die jede gegenständliche oder gar figurative Repräsentationsfunktion negiert« (47) und, laut Butin, als ein »Paradebeispiel einer hierarchielosen und antiautoritären Sprache der Kunst bezeichnet werden« (49) darf.

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Birgit Pelzer widmet sich in ihrem Beitrag dem »Zufall als Partner« in der Kunst Gerhard Richters. Dem »Spiel mit dem Zufall«, mit seinen Polen der »Ungewissheit und der Willkür«, wird die »Wette auf den Glauben« zugeordnet. (69) Hinzu kommt das Licht als Materie, das – auch im Sinne Richters - »als Einheit, Ordnung und Proportion stiftendes, omnipräsentes Prinzip« der »Analogie nach seinem transzendenten Ursprung« spiegelt. (70-71) Damit ist der moderne Bezug zur Lichtästhetik der Gotik hergestellt. Über die kompliziert zu lesenden Beschreibungen der Verfahren der »Wiederholung«, der »endlosen Ziehung« und der »Unbestimmtheitsrelation« kommt die Autorin zu dem Schluss, dass Richter »den Zufall als Verbündeten seines Werks einladend« »in einem Akt des elementaren Sehens ein Noch-nicht-Gesehenes« vorstellt. (81)

Eine Rechtfertigung für die Wahl Gerhard Richters als Schöpfer einer Glasmalerei für »ihren« Kölner Dom musste den Kölnern offenbar her. Aus Schock-Werner’s Pragmatismus erschallt enthusiastisch resümierend der ganze Besitzerstolz, der mit einem geringst möglichen finanziellen Aufwand ein größtmögliches künstlerisches Potential in einem gläsernen Denkmal ausgeschöpft hat. Butin, der es nicht unterlassen kann, von dem »erschrockenen Künstler« angesichts der Bedeutungsschwere des Auftragsobjekts zu sprechen und Pelzer, die den Zufall als Zuflucht für die künstlerische Arbeit postuliert, sind damit beschäftigt den graduellen Rückzug des Künstlers aus dem Entstehungsprozess seines Werkes zu verschleiern.

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Entstanden ist ein Aufsatzband, der vor allem die Voraussetzungen und Bedingungen der Glasmalerei Richters reflektiert und nur wenig von der Inaugenscheinnahme der Glasmalerei in ihrem geschichtsträchtigen architektonischen und kunsthistorischen Kontext zeugt.

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