Ausstellungsbesprechungen

Gerhard Richter - Panorama, Tate Modern London, bis 8. Januar 2012

Gerhard Richter ist bekannt für seine eigenwillige Verfremdungstechnik beim Abmalen. Seine Kunst verwischt die Grenzen zwischen den klassischen Gattungen der Malerei und der Fotografie. In einer Abkehr vom Fotorealismus sprechen die Werke von persönlichen Erinnerungen innerhalb einer gesellschaftlichen Momentaufnahme - ein ästhetisches Feuerwerk ausdrucksstarker Prägnanz, das Sie nicht verpassen sollten. Karin Ego-Gaal hat die Ausstellung besucht.

»Was ist Sinn und Zweck von Kunst?« fragt Nicholas Serota, Direktor der Tate, den deutschen Künstler Gerhard Richter. »Diese Welt zu überleben. Eine von vielen, vielen, … wie Brot, wie Liebe«.
Achtzig Jahre alt wird Gerhard Richter dieses Jahr, er ist einer der bedeutendsten noch lebenden Künstler und kann stolz auf seine fünfzigjährige Karriere blicken, in der er zeitlose Kunstwerke kreierte, »welche eine bestimmte künstlerische Qualität besitzen, die uns bewegen«, genau so wie er es sich wünschte.
»Gerhard Richter: Panorama« ist der Titel der Ausstellung in der Tate Modern; eine Retrospektive, welche signifikante Momente seines Schaffens vereint und einen umfassenden Einblick in Richters Arbeitsweise gibt. Im Mittelpunkt stehen ganz eindeutig seine Bilder; Kunstwerke, strukturiert von diversen Widersprüchen; Bilder, die Fotografien zur Vorlage hatten; traditionelle Stillleben, Landschaften und Portraits; monochrome Arbeiten in Grau und inspirierende abstrakte Bilder. »Panorama« zeigt, dass Gerhard Richter oft Abstraktion und Figuration vereint. Sie offenbart Brüche und neue Anfänge seiner Kunst und stellt Fragen, welche ihn während seiner ganzen Karriere begleiten.

Jeder Raum der Ausstellung ist einem bestimmten “Moment” in seiner Karriere gewidmet. Ein Moment, der nicht ein Augenzwinkern bedeutet, Richters Momente sind anders: sie erzählen Geschichten verkleidet in Bildern; sie inspirieren; sie regen die Fantasie an; sie stellen Fragen und warten auf Antworten; sie dauern lange.

Schwarz-Weiß beginnt die Reise durch Richters lange Karriere. Bomben, eine Mustangstaffel, eine Tote, ein Tisch, ein faltbarer Trockner, ein Ferrari und Familienportraits befinden sich unter den »Photopaintings« der 1960er Jahre. Richter benutzte Fotografien als Vorlage für seine Bilder. Seine Vorgeschichte als Immigrant aus der DDR spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Er wollte einerseits gegen die expressive abstrakte Malerei rebellieren und andererseits das Verlustgefühl über die im Osten zurückgelassene Familie kompensieren. Alles was ihm blieb, waren die Fotos von “Onkel Rudi” und “Tante Marianne”, die er zwischen 1964 und 1966 mit großer Konzentration in Bilder verwandelte. Gerade diese Bilder von “Onkel Rudi” in seiner Wehrmachtuniform, die “Bomber” und die “Mustangstaffel” erzählen nicht nur vom Krieg, sie spielen eine bedeutende Rolle, Deutschland mit der Nazivergangenheit zu konfrontieren. In dieser Zeit begann er zum ersten Mal seine Bilder zu verwischen: “Tiger”, “Ferrari”, “Tisch”, “Klorolle” und die Portraits bekommen alle sein Markenzeichen, den »Blur«. Mit einem Pinsel wischt er nochmals über das perfekt gemalte Bild; er experimentiert mit unterschiedlichen Arten von »Blurs«. Einerseits will er die Bewegung in einem Bild dadurch deutlich machen, doch oft sind sie äußerst komplex und tiefgründig wie bei seinen Familienportraits. Sie erzählen von einer emotionalen Verbindung wie bei “Tante Marianne” oder anderen Bildern wie »Familie im Schnee«.

Eine Ausstellung von 1965 sorgt für große Aufregung, als Richter sich mit Marcel Duchamps Werk »Nude Descending a Staircase No 2« von 1912 anlegt. Richter wollte mit seiner Interpretation »Ema (Akt auf einer Treppe)« zeigen, dass es immer noch möglich ist, figurativ zu malen. »Ich wollte das machen, was Sie vielleicht als “Retina Kunst” bezeichnen – malerisch, wunderschön und wenn es sein muss, sogar sentimental«, so Richter. Ein Jahr später entstand »4 Panes of Glass«, eine Installation aus vier Glasscheiben mit schwarzem Rahmen, die beweglich sind. »Ich wollte das Glas an sich zeigen. Es war ein naiver Versuch, zu zeigen, dass Du die Glasscheiben auch anfassen kannst. Deshalb sind sie beweglich, […] aber zur gleichen Zeit findest du heraus, dass allein sie anzufassen, Dir nicht weiterhilft, Du kannst sie trotzdem nicht verstehen«, so Richter im Gespräch mit Serota.

Mitte der Siebziger ist Richter fasziniert von der Farbe “grau”. Zuerst malte er noch Städte wie Paris und Landschaften wie den Himalaya – in grau; doch immer mehr verwischt sich das Grau und wird undefinierbar. Seine »monochrome paintings« waren für ihn die einzige Möglichkeit, Konzentrationslager zu zeichnen. »Es ist unmöglich, das Elend zu malen, außer vielleicht in grau, um es zu überdecken«, so Richter. Doch nicht alle seine grauen Werke erzählen von Traurigkeit, Richter experimentierte viel mit der Technik: er benutzte Rollen oder einfach nur Pinselstriche in unterschiedlicher Intensität. »Vermalung« und »Sternenbild« sind lebendige Werke, die Geschichten der Fantasie erzählen. Sie sind aktiv und kompliziert und deuten schon seine Phase der Abstraktion an. Richter tastet sich vorsichtig an seine abstrakten Werke heran. Bestimmen am Anfang noch ein atmosphärischer Hintergrund, gerade gezogene geometrische Formen, breite Pinselstriche und Farbpigmente, die mit einem »Squeegee« bearbeitet wurden, das Kunstwerk, so kann die Entwicklung deutlich nachvollzogen werden.

Richter erforscht die Abstraktion, er überlässt nichts dem Zufall, er entwickelt sich, er möchte die gleiche Qualität in den abstrakten Bildern kreieren, für die er als figurativer Maler bekannt ist. Das Resultat sind seine äußerst komplexen, wunderschönen, abstrakten »Squeegee« Bilder. Diese finden im letzten Raum ihren Höhepunkt: Unzählige Lagen von Farben, die teilweise wieder übermalt, gelöscht und abgekratzt werden. Ihre Oberflächen wurden mit dem »Squeegee« bearbeitet und überzogen – zum Vorschein kommen Fantasie und Wirklichkeit, sattes Grün und Rot überschleiert von Grau und Weiß, ein Naturgebilde geschaffen von einem Menschen, Kunstwerke, die den Atem rauben. Alles kommt zusammen, macht Sinn, verdient Bewunderung und Applaus – Richters monumentale »Cage« Bilder, benannt nach dem Komponisten John Cage, beenden die Retrospektive.

»Panorama« ist eine Retrospektive, die immer wieder aufs Neue überrascht. Gerhard Richter ist ein Meister der figurativen und abstrakten Kunst; seine Werke sind äußerst unterschiedlich: er zeichnet Kerzen und Blumen, seine Frau und seine Tochter so unglaublich echt, dass es auch Fotografien sein könnten; er experimentiert mit dem »Blur«; er beschäftigt sich mit politischen Themen wie Nazideutschland und der Baader-Meinhof Gruppe, er ist unangenehm und beharrend; er stellt Fragen über die Limitation des Sehens und hinterfragt die Kunst; er ist authentisch und fordernd, und er möchte uns mit seiner Kunst etwas geben, an dem wir festhalten können. »[…] und Kunst zeigt uns, Dinge zu sehen, die konstruktiv und gut sind und dass wir ein aktiver Teil davon sein können«.

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