Kataloge, Rezensionen

Giacometti, Ausst.Kat., Hatje Cantz, zur Ausstellung in der Riehener Fondation Beyeler, bis zum 11. Oktober

Anlässlich der Giacometti-Ausstellung in der Fondation Riehen wurde ein begleitender Katalog veröffentlicht. Dieser rundet das in der Ausstellung präsentierte Familienporträt detailreich ab.

Alberto und Giovanni stehen im Zentrum dieser Publikation, die auf 224 Seiten und 194 Abbildungen wichtige Eckdaten der Künstlerfamilie präsentiert. Im Vorwort führt Felix Baumann in die Thematik, die in den Essays von Ulf Küster, Véronique Wiesinger und Pierre-Emmanuel Martin-Vivier erweitert wird. Hinzu kommen jeweils ein porträtierender Text über Diego und Augusto. Eine abschließende Chronologie von Michiko Kono stellt die wichtigsten Lebensdaten der Familienmitglieder vor. Einzelnen Abbildungen sind kommentierende Zitate des jeweiligen Künstlers beigeordnet.

In seinem Grußwort hebt Baumann im Namen der Giacometti-Stiftung den engen Bezug Beyelers zu Giacometti hervor und verweist auf den enormen Verdienst, den der Kunsthändler mit dem Ankauf der Giacometti-Werke aus der Sammlung des Pittsburgher Industriellen G. David Thompson leistete. Beyeler übernahm 1959 die weltweit umfangreichste Gruppe von Giacometti-Werken und legte den Grundstein zur Gründung der Giacometti-Stiftung. Damit kam er zudem dem Wunsch Albertos nach, die Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Der Kurator der Riehener Ausstellung, Ulf Küster, weist in seinem Beitrag ausdrücklich auf die Schwierigkeit hin, eine Giacometti-Ausstellung zu konzipieren. Bei den vielen Facetten, die das Œvre bietet, sei nur eine Annäherung möglich, die neue Frage stellt. Küster sieht darin aber auch Giacomettis künstlerisches Prinzip der nie zu erreichenden Vollendung. Wenn sich auch bisher zahlreiche Ausstellungen mit Giacometti befassten, so bewertet Küster Albertos Nachlass dennoch als nicht abschließend ausgewertet. Eine reine Retrospektive konnte daher nicht das Ziel sein und es ergab sich also, die künstlerisch tätigen Familienmitglieder einzubeziehen. Küster betont, wie zentral sich Alberto im Zentrum der verschworenen Familiengemeinschaft positionierte. Es sind ebenso die Familienmitglieder, die Alberto als Modell saßen oder ihm sonst behilflich waren. Sein Vater gilt als sein wichtigster Lehrer. Sein Bruder Diego ging ihm bei der Fertigung der aufwendigen Arbeiten zur Hand.

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Küster spricht davon, zuerst Werke des Vaters Giovanni, dem Farblichtmaler, kennen gelernt zu haben, welcher vor dem ersten Weltkrieg Karriere machte. Dieser wurde seiner Aussage nach allerdings immer weniger ausdrucksstark. Daher sieht Küster in Giovanni einen der am meisten unterschätzten schweizer Künstler der frühen Moderne, der den Schritt in die Abstraktion nicht vollzogen hat. Seine Söhne erfüllen dem Vater den eigenen Traum der Künstlerkarriere. Albertos Chance, Künstler zu werden, ebnete der Vater, der selbst Sohn eines Zuckerbäckers und Gastwirts war.

Küster sieht Alberto zwar als unbekümmerter, doch stark in der Farbgebung und Maltechnik durch den Vater geprägt. Selbst sein Name ist eine Referenz an Albrecht Dürer, wie auch dessen jüngerer Bruder Diego nach Diego Velázquez getauft wurde. Im Hause Giacometti war es ganz normal, Künstler zu sein. Der begabte Alberto wurde sehr gefördert und durfte sogar die reguläre Schulausbildung abbrechen. In der Bibliothek der Eltern fand sich genügend Stoff zum Lernen. Schließlich schätzte der Vater die Kenntnisse der Kunstgeschichte und das Studium der alten Meister als wesentlich ein. Mit den Worten „nur auf starken Fundamenten können neue Paläste gebaut werden“ ermutigte er seine Söhne zudem zum Studium der Natur.

Es kam aber zu Differenzen zwischen Alberto und seinem Vater, die Küster beschreibt. Giovanni sah die Aufgabe des Künstlers in der Bewunderung der Schöpfung. Doch sein Sohn ging einen Schritt weiter und sah die Darstellung der Kunst nur dann als möglich an, wenn diese auf das Selbst bezogen dargestellt wird. In dieser Auffassung sieht Küster den Grund, warum Alberto an der Wirklichkeitsaneignung verzweifelte. Er wollte nicht nur die Gestalt, sondern auch das Wesen erfassen. Alberto arbeitete sich daran ab, “Gegenstände in der Relation zwischen ihm als dem Sehenden und dem Gegenstand in der Distanz, die ihn vom Gegenstand trennt“ darzustellen. Die Einschätzung des „groß“ und „klein“ konnte er in seinem heimatlichen Hochgebirge gut üben.

Als erstaunlich betont Küster Albertos Umgang mit dem Raumgefühl, woraus er eine neue Form der Betrachtung provozierte, die ein aktives Publikum fordere. Alberto ist dabei der Wirklichkeitssucher, der sich an der Erfassung der Wirklichkeit abmüht. In der Arbeit »Boule Suspendue« scheint eine Kugel über einer Mondsichel zu schweben. In dieser Arbeit sieht Küster Elemente des Spiels paraphrasiert und damit die Aussage, dass das Spiel zum Üben der Wirklichkeit erhoben wird.

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Auch die Frage danach, wie ein Raum-Zeit-Kontinuum künstlerisch dargestellt werden kann, trieb Alberto um. Küster berichtet von einer Notiz Albertos aus dem Jahr 1949, in der er sogar soweit ging, den Raum vollständig zu negieren und ihn als nicht existent anzunehmen. Im Kino kam Alberto auf die Idee, einen Film als Folge von Stillständen zu verstehen und den Stillstand als Teil eines Bewegungsablaufs zu begreifen. Folglich sah er im Stillstand einen flüchtigen Moment, der Raum und Zeit in sich vereint.

In ihrem Essay fragt Vèronique Wiesinger weiterhin nach dem Einfluss des Vaters auf Alberto. Sie ist der Meinung, dass die reine Unterstützung das Talent nicht erklärt und betont den Wert des Studiums, von dem im Briefwechsel zwischen Vater und Sohn die Rede ist. Das starke Interesse an Cézanne hat Giovanni an den Sohn weitergegeben. Der Vater ermutigt Alberto, weiterzumachen, wenn dieser von den Schulen enttäuscht war. Den Rat des Vaters, in Etappen zum Ziel zu gelangen, nahm er sich zu Herzen und wandte ihn systematisch an. Anders als der Vater ging Alberto nach Paris, was ihm auf seinem ruhmvollen Weg half. Die Entdeckung durch die Galeristin Jeanne Bucher bewertet Wiesinger als wichtig, da Alberto damit der Durchbruch gelang. Kurz darauf wurde er in die Surrealistengruppe um André Breton aufgenommen. 1929 war Alberto ein anerkannter Künstler. Bis dahin war dies auch der Verdienst des Vaters, der seinem Sohn materielle und moralische Unterstützung gewährte.

Pierre-Emmanuel Martin-Vivier stellt in seinem Essay Alberto als Gestalter von Gebrauchsgegenständen vor. Dabei beleuchtet er die Tatsache, dass Alberto Gebrauchsgegenstände zunächst nur zur Sicherung des Lebensunterhalts schuf. Alberto ging dabei so vor, wie er es von seinen Skulpturen gewohnt war, und stellte bei der Art der Arbeit keinen Unterschied fest. Dies wertete er allerdings als Scheitern.

Martin-Vivier schätzt ebenso die ergiebige Zusammenarbeit mit dem Innenarchitekten Jean-Michel Frank (1895-1941) als wichtig ein. Alberto wurde stark durch die Ästhetik Franks geprägt, den er als den besten Innenarchitekten schätzte. Über die Anfertigung schlichter Gegenstände wie Türklinken oder Kommodenknöpfen erhielt Alberto den nicht zu unterschätzenden Zutritt zu wichtigen Kreisen des gesellschaftlichen, künstlerischen und geistigen Lebens.

Der Katalog konzentriert sich – wie auch die Ausstellung – auf den prominenten Sohn Alberto, der als Kraftzentrum eine starke Ausstrahlung auf seine Familienmitglieder nicht nur künstlerisch ausübte. Porträtierende Texte zu Giovanni, Diego und Augusto ergänzen den Eindruck einer sehr umtriebigen Künstlerfamilie. Abschließend rundet eine ausführliche Chronologie von Michiko Kono den Ausstellungskatalog ab, der mit der großzügigen Bebilderung zur direkten Auseinandersetzung mit den Werken anregt.

 

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