Ausstellungsbesprechungen

Giacometti, Riehener Fondation Beyeler, bis zum 11. Oktober

Momentan weist nicht nur die Eintrittskartenrückseite auf die enge Verbindung zwischen der Fondation Beyeler und der Familie Giacometti. Albertos »L’homme qui marche II« (1960) ist inzwischen so was wie ein Markenzeichen des Riehener Museums geworden. Nun wird offenbar, dass auch die Räume Renzo Pianos geradezu für eine Giacometti Ausstellung geschaffen sind.

Die Riehener Fondation Beyeler zeigt noch bis zum 11. Oktober 2009 eine Gesamtschau zu Werken der Familie Giacometti, die den Anspruch einer Retrospektive nicht erhebt (siehe Katalogrezension). Alberto steht als der prominente Sohn im Zentrum, von wo aus die gegenseitige Beeinflussung der Familienmitglieder thematisiert wird. Zu sehen sind rund 150 Arbeiten aus allen Werkphasen des Künstlers. Sie werden durch einzelne Werke seines Vaters Giovanni (1868–1933), seines Bruders Diego (1902–1985) und seines Onkels Augusto (1877–1947) ergänzt.

Im rahmenden Gefüge der Familie konnte sich Albertos Talent entwickeln. Der Vater Giovanni legte den Grundstein der künstlerischen Karriere seiner Kinder. Als bekannter schweizer Künstler der Jahrhundertwende sorgt er für das adäquate Umfeld, das seine Söhne zu nutzen wissen. Jeder auf seine Weise. In den Porträts, die der Vater von Alberto anfertigte, zeichnet sich schon seine Ahnung vom großen Talent des Sohnes ab, welche Alberto selbst später verinnerlichen und in die Tat umsetzten wird.

Giovannis Bildnis des 17jährigen Sohnes zeigt einen selbstbewussten jungen Mann, der dem Betrachter selbstsicheren Blickes entgegensieht. Dieser Eindruck deckt sich mit den Selbstbildnissen Albertos, die ihn gleichsam als energiegeladenen jungen Künstler darstellen. Im Vergleich werden ebenso die künstlerischen Einflüsse des Vaters deutlich. Der Sohn übernimmt den pastosen Pinselstrich und die kühne Farbgebung.

Es ist aber nicht nur der erstgeborene Alberto, der in die Fußstapfen des Vaters tritt. Der jüngere Bruder Diego machte sich vor allem als Innenausstatter des im September 1985 eröffneten Picasso-Museums in Paris einen Namen. Doch schon viel früher gestaltete er Möbel, denen in der Ausstellung ein Saal gewidmet ist. Dort stehen sie den von Alberto gefertigten Design-Objekten gegenüber, die diesen zunächst rein finanziell über Wasser hielten. Nicht nur künstlerisch waren die beiden Brüder eng verbunden. Diego half Alberto bei der Anfertigung der aufwendigen Bronzeplastiken und war ihm neben seinem Vater wichtigster Unterstützer und Bezugsperson.

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Alberto wagte allerdings im Gegensatz zum Vater den Weg in die Abstraktion. Sehr anschaulich illustriert dies die Gegenüberstellung der jeweils beiden gleichnamigen plastischen Köpfe »Le père de l\'artiste« (um 1927) mit dem »Tête du père« und »Portrait du père« aus den Jahren um 1927-1930. In der Ausstellung sind diese in der Reihenfolge aufgestellt, die eine Entwicklung zur Abstraktion hin vermuten lassen. Das hierbei entstandene „Endresultat“ erinnert an die Form der »Cubes«, die in der Ausstellung in den Kontext der Berührung Albertos mit den französischen Surrealisten gestellt sind.

In dieser Phase spielt Alberto mit Formen, denen er weibliche oder männliche Attribute zuschreibt. Spitze Zacken stehen in formeller Opposition zu weichen weiblichen Rundungen beispielsweise in der Arbeit »Homme et femme« aus dem Jahr 1928/29. Einige Objekte geben Anlass, nicht nur eine formelle Gefährdung zu erkennen. In der Arbeit »Homme, femme et entfant« ist die kleine Kugel als Kind auf einen vorgezeichneten Weg festgelegt. Die aus runden Biegungen geformte Drahtfigur mit weiblichen Attributen schützt die Kugel vor der bedrohlichen Gebärde eines Dreiecks, das sich ihr wie eine Axt entgegenstellt. Die vermittelnde Figur in der Mitte breitet dabei ihre Arme beruhigend aus.

Obwohl die Mutter Annetta künstlerisch nicht aktiv war, bildete sie den Ruhepol der Familie. Sowohl in Giovannis Familienporträt »Die Lampe«, als auch in Albertos stehenden Frauenfiguren klingt die in sich ruhende Figur an. Albertos stehende Frauen machen die Bewegung der schreitenden Männer erst zu einem Moment des Gehens. Das Ensemble für die Chase Manhattan Plaza (1960) ist ein eindrückliches Beispiel hierfür.

Ein künstlerisches Problem, an dem sich Alberto in Diskussion mit seinem Vater abarbeitete, lag in der Darstellung von Größenrelation. Im Bergell, wo die Familie Giacometti lebte, erhebt sich das Hochgebirge der Alpen, das den Künstler vor die Frage stellte, was wahre Größe sei. Sein Bedürfnis, die Komponenten „Groß“ und „Klein“ zu fassen, gipfelte in einer künstlerischen Krise in den späten 1930er und frühen 40er Jahren. Aus dieser Zeit stammt die Figur »Petit homme sur socle« (1940/41), die in ihrer Winzigkeit (8,1 x 7 x 4,8 cm) eine monumentale Wirkung in einem ihr eigens gewidmeten Saal entwickelt.

Alberto wollte allerdings nicht nur wie sein Vater die Oberfläche, sondern das Wesen der Gegenstände selbst erfassen und die Dinge so darstellen, wie er sie als wahrnehmendes Subjekt selber sieht. »Le chat« und »Le chien« aus dem Jahr 1951 geben einen überzeugenden Eindruck davon, wie realitätsnah Albertos Bronzeversionen das Wesen der Dinge zum Ausdruck bringen. So ergibt der stromlinienförmige Gang der Katze ein willkommenes Gegenüber zum schlurfenden Schleichgang des Hundes. Dabei stellte Alberto allerdings für sich selber fest, dass seine künstlerischen Produkte nur seine eigene subjektive Wirklichkeit fassen können. Nie konnte er sich mit dem entstandenen Werk zufrieden geben. Seine »Femmes de Venise« entsprangen bei der Suche nach der perfekten Plastik zwar einer einzigen Inspirationsquelle, doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein.

Besonders Albertos Arbeiten profitieren von der offen Form der Präsentation. In den Räumen wurden keine Stellwände eingesetzt und die Bronzearbeiten stehen entweder direkt auf dem hellbraunen Boden oder werden durch Sockel erhöht, die der Bodenfarbe angeglichen sind. Sie scheinen zu schweben und sprechen durch sich selbst oder im Dialog mit den umstehenden Arbeiten. Dies erweist sich als sehr gelungen.
 

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