Buchrezensionen, Rezensionen

Gianfranco Malafarina (Hg.): Die Kirche San Francesco in Assisi, Hirmer Verlag 2011

Die Grabeskirche des hl. Franziskus bietet aufgrund der historischen Situation bei der Ausstattung von Ober- und Unterkirche die einzigartige Möglichkeit, die italienischen Kunstentwicklungen des 13. und 14. Jahrhunderts an einem Ort und anhand von Meisterwerken ohne Gleichen nachzuvollziehen. Walter Kayser hat mit leuchtenden Augen den originell aufgemachten Band gelesen.

Ein Reisender, der erstmals und unvorbereitet nach Assisi kommt, wird dort vor allem von dem grotesken Missverhältnis erschlagen, das zwischen dem barfüßigen Bettelordensgründer Franz, um den sich hier nach wie vor alles dreht, und der heutigen Erscheinung seines Ordens und seiner ganzen Kirche besteht. Diese Spannung springt dem Betrachter am deutlichsten in einem architektonischen Widerspruch vor den Toren der Stadt in die Augen: Der prunkvolle Barockbau S. Maria degli Angeli aus dem 17. Jahrhundert überwölbt monströs eine seinerzeit verfallene Waldkapelle, die der „Poverello“ für seine Brüderschar nutzte und die später den Namen „Portiunkola“ bekam.

Doch der eigentliche Mittelpunkt der Franziskus-Verehrung ist natürlich das Grab des schmächtigen umbrischen Ordensgründers und die Kirche, die darüber erbaut wurde. Auch sie ist imposant und sprengt alle Maßstäbe, aber im positiven Sinn. Der Legende nach wollte der Heilige in der Nachfolge Jesu außerhalb der Stadt, sozusagen auf dem Golgatha-Hügel Assisis, begraben werden. Der lang gezogene Bergrücken hat als Galgenberg vor Urzeiten den bezeichnenden Namen Höllenhügel (Colle d’inferno) bekommen.
Ein gutes Jahr nach dem Tod des Ordensgründers, unmittelbar im Anschluss an die Kanonisierung durch Gregor IX., legte der Papst selbst am 17. Juli 1228 den Grundstein für das Heiligtum.

Seit dem Jahre 1756 darf die Doppelkirche neben den vier Patriarchalbasiliken in Rom den Titel einer Basilica Maior für sich in Anspruch nehmen. Das bedeutet, sie besitzt neben einem eigenen Papstthron eigens auch einen altare papale, wohingegen alle anderen Kirchen, die den Titel einer Basilika führen, lediglich als basilicae minores gelten. Eine Ironie der Geschichten, wenn wir an den ersten „minderen Bruder“ denken.

Doch nicht nur in seiner besonderen liturgischen Bedeutung ist San Francesco herausgehoben, auch die bau- und malereigeschichtliche Bedeutung dieser Kirche ist einzigartig. Die Unterkirche war von Anfang an mehr als eine Krypta. Sie sollte ein Wallfahrtszentrum, ein monumentales Gebäude sein. Der Plan einer Doppelkirche kam wohl erst im Laufe des Baus auf. Ist diese noch im romanischen Stil errichtet, so wurde die bereits im gotischen Stil erbaute Oberkirche ein wegweisender Typus für die neue Mönchsbewegung. Unter Architekturhistorikern wird auch nach wie vor diskutiert, ob nicht erst die Fertigstellung der königlichen Sainte-Chapelle in Paris das Vorbild für das Modell der Doppelkirche abgegeben hat. Doch wenn auch der Typus einer doppelgeschossigen Saalkirche mit Querschiff eher einen Ausnahmestatus behalten wird, so gilt S. Francesco in jedem Fall als Gründungsbau der Bettelordenskunst.

Auch wenn nur wenige Jahrzehnte vergingen, so ist es doch ein weiter Weg vom Leben des „poverello“, den der Österreicher Adolf Holl vor Jahren in einem der schönsten Bücher über den populären Heiligen mit »Der letzte Christ« (1979) betitelte, bis zur Vollendung seiner Grabeskirche. In den Fresken spiegelt sich der Prozess wider, mit dem die Radikalität und Kompromisslosigkeit, mit der Franziskus lebte, langsam stilisiert, entschärft und mythologisiert wurde, so dass er als Ordensgründer für den römischen Papismus adaptierbar wurde.

Um es knapp zu sagen: Die hier zur Diskussion vorliegende Veröffentlichung kann nicht für sich in Anspruch nehmen, ein wegweisender Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu sein. Sie dokumentiert vielmehr seine atemberaubende Schönheit. Die einführenden Texte der emeritierten Mittelalterhistorikerin Chiara Frugoni und des Herausgebers Gianfranco Malafarina, eines Journalisten, der mit monografischen Veröffentlichungen über Egon Schiele oder Annibale Carracci hervorgetreten ist, sind lediglich Garnitur für das, was die Veröffentlichung so spektakulär macht: Zuallererst und beinahe ausschließlich ist dieses Buch ein opulenter Bildband. Es enthält wunderbar ausgeleuchtete, brillante, ja vollkommene Aufnahmen.

Die genaue Zuordnung der Hände und Werkstattanteile ist ein über Jahrzehnte anhaltender Streitpunkt gewesen, aus dem sich beispielsweise die italienischen Verfasser heraushalten. Sie haben es den großartigen Fotografen Elio Ciol, Stefano Ciol und Ghigo Roli überlassen, die Pracht dieses Baus in allen Kunstgattungen zu dokumentieren.

Denn was Assisi für den Liebhaber der Kunst so einzigartig macht, ist natürlich neben der Architektur vor allem die komplette Ausmalung durch die Größten der Zeit an der Wende zum Trecento. Die Fresken erst machen die Doppelkirche zu einem monumentalen Reliquienschrein, beherbergt der Bau doch die Arbeiten der Florentiner Cimabue und Giotto wie auch die der Sieneser Pietro Lorenzetti und Simone Martini. Beide Städte verkörpern ja zugleich zwei konkurrierende Stile des Trecento, die Sienesen den eher konservativen, noch byzantinisch abhängigen dekorativen Farblyrismus, wogegen Giotto für eine, grob gesagt, dem disegno verpflichtete Protorenaissance steht: »Wer S. Francesco besucht, wird Zeuge der von Giorgio Vasari in seinen ›Viten‹ (1568) beschworenen „Erneuerung“ der Malerei, als deren zentrale Figur Giotto (1267-1337) gilt, und die letztlich der Renaissance den Weg ebnete«. In jedem Fall fügt sich dieses Buch aufs Beste ein in die Reihe der maßgeblichen Hirmer-Bände zu den italienischen Wandmalereien, mit denen in den letzten Jahren das Münchner Verlagshaus hervorgetreten ist.

Die Gesamtgliederung ist logisch evident: Das Buch beginnt mit Luftaufnahmen des gesamten Komplexes, erstreckt sich über Steinmetz- und Bildhauerarbeiten des Außenbaus, isoliert mit größter Klarheit (da auf schwarzen Grund projiziert) die Glasfenster, berücksichtigt am Schluss die Chorgestühle mit ihren Intarsien, entfaltet aber nicht zuletzt die Vielzahl der Fresken in unterschiedlichen Vergrößerungsstufen. Zwar hat man versäumt, den Leser von Zeit zu Zeit mit Überblicksgrundrissen die Orientierung zu erleichtern; aber der Aufbau der Abbildungen folgt insofern einem durchdachten Prinzip, als jeweils zunächst die architektonische Verortung, etwa eine ganze Wand oder ein Raumkompartiment, gezeigt wird und dann erst die Bilder en détail in Nahsicht erscheinen. Originell und sinnvoll ist dabei auch, dass die Formate wechseln, doppelseitige Aufnahmen mit ganzseitigen und Ausschnitten, die, in ihrer Konturierung herausgeschnitten, sich scharf vor einem schwarzen Grund abheben.

Besonders originell und üppig wirkt es, dass in einem zweiten Teil etwa in der Mitte des Buches sogar die Papierqualität wechselt. Auf körnig aufgerautem Grund wird nochmals eine Art ornamentale Parade ikonografischer Querschnitte, eine Grammatik der sprechenden Details geboten: Ornamente, Tiere, Engel, stilisierte Natur und Aedicula. – Ein Buch zur Erbauung, auf der absoluten Höhe der gegenwärtigen Kunstfotografie.

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