Ausstellungsbesprechungen

Giraffe, Pudel, Dromedar – Tierplastik deutscher Bildhauer des 20. Jahrhunderts, Edwin Scharff Museum, Neu-Ulm, bis 31. Juli 2011

Tiere gehören als Begleiter des Menschen zu den häufigsten und ältesten Themen der bildenden Kunst. Während Tiere in der Kunst bis weit ins 19. Jahrhundert hinein meist symbolische Bedeutung haben, wandelt sich die Tierdarstellung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Tiere werden nun um ihrer selbst willen geschildert, die Künstler versuchen das jeweilige Wesen eines Tieres zu erfassen. Günter Baumann hat sich das reichhaltige Sammelsurium angesehen.

Das Spektrum der Plastik ist bis weit ins 19. Jahrhundert figurenbezogen, genau gesagt: auf den Menschen bezogen. Es mag verwundern, dass selbst im 20. Jahrhundert das Thema Mensch hier nicht an Stellenwert verloren hat – auch wenn die abstrakte Plastik, Installations- und Objektkunst sowie die Beuyssche soziale Plastik neue Wege beschritten haben: In vielen Fällen – insbesondere im letztgenannten – steht auch da der Mensch obenan, und sei es auch nur als Maß der Dinge. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, welche Bandbreite allein die gegenständliche Malerei hat, wie beispielsweise das Stillleben oder das Landschaftsbild (wobei auch die Plastik einen wenig beachteten Seitenzweig der Landschaftsdarstellung kennt), ist es mit der Vielfalt skulpturaler Darstellungsmöglichkeiten nicht allzu breit gefächert. Doch eher beiläufig reift im 19. Jahrhundert die Tierplastik heran, die im Folgejahrhundert dann massiv um sich greift. Die hatte übrigens am Beginn der Kunstgeschichte schon einmal mitgemischt, sei es bei den Löwenmenschen im Steinzeitalter oder beim Löwentor von Mykene, später allerdings stand das Tier wiederum im Dienst des Menschen, was das Reiterdenkmal vehement zum Ausdruck bringt.

Die Ausstellung in Neu-Ulm, übertitelt mit »Giraffe, Pudel, Dromedar«, macht die Bedeutung der Tierplastik im 20. Jahrhundert deutlich. Der Titel klingt etwas nach Kindergeburtstag oder Zirkusbesuch, aber man wird der Schau damit nicht gerecht, die eine ernstzunehmende Gattung vertritt. Der Namenspatron des Museums Edwin Scharff hat selbst bahnbrechend in diesem Segment gearbeitet, weshalb der Standort gut gewählt ist. Ursprünglich geht die Ausstellung auf das Berliner Projekt »Tierplastik deutscher Bildhauer des 20. Jahrhunderts« aus dem Jahr 2009 zurück – eine Kooperation zwischen dem Georg-Kolbe –Museum und der Sammlung Karl H. Knauf – , die in wechselnden Zuschnitten durch die Lande zog, um nun in der Grenzstadt zwischen Bayern und Baden-Württemberg eine treffliche Station anzufahren. Die Bedeutung wird schlagartig klar, wenn man die Meilensteine exemplarisch benennt: Fritz Behn, August Gaul, Philipp Harth, Gerhard Marcks, Ewald Mataré, Emy Roeder, Richard Scheibe, Renée Sintenis heißen die wichtigsten TierplastikerInnen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Manche von ihnen waren sogar völlig diesem Genre verpflichtet.

In einer Kabinettausstellung zeigt das Edwin Scharff Museum ergänzend tierische Arbeiten von Thomas Putze, dessen Werk in jüngster Zeit vielfach präsentiert wurde. Er weitet die bevorzugt in Bronzeguss ausgeführte Tierplastik auf andere Materialien (Holz, diverse Fundstücke usw.) auf, worauf auch Picasso – freilich kein ausgemachter Tierplastiker – hier und da Bezug genommen hatte. Und er begegnet der Viecherei mit einem Witz, der den frühen Tierplastikern weitgehend fehlt.

Die Bildhauer waren meist weit davon entfernt, das Tier mythologisch anzusehen, wie es die klassische Historien- und Genremalerei gern getan hat. Vielmehr war es das Wesen der Kreatur, das die Künstler lockte, was möglicherweise an der späten Entstehungs- oder Entfaltungszeit lag, in der die Vierbeiner und Vögel auch wissenschaftliches Interesse fanden und der Mensch seinerseits den exklusiven Auserwähltseinsanspruch aufgab. Die Tierwelt wurde gleichermaßen für die Klein- wie die Großplastik interessant, und so tummeln sich in Neu-Ulm alle denkbaren Formate von wenigen Zentimetern bis zu über einem Meter Höhe auf dem musealen Parkett. Dabei ist dem Abstraktionsgrad genauso wenig eine Grenze gesetzt – mit einem fulminanten Gipfelpunkt im Schaffen von Ewald Mataré –, wie sich der Naturalismus in beeindruckenden Studien zeigt – man denke an August Gaul.

Warum überraschend viele Bildhauerinnen sich des Themas angenommen haben, darüber lässt sich nur spekulieren, womöglich bot das Tiergenre eine gute Gelegenheit, sich neben der Heroen- und Heldenskulptur mancher männlicher Kollegen zu profilieren. Einmal mehr kann man sich über die viel zu selten gezeigten Plastiken von Renée Sintenis freuen. Insgesamt kommt die Schau auf etwa 80 Exponate – man kann also getrost von einem mehr als respektablen Tierpark sprechen, den es zu besuchen lohnt. Immerhin sind hier – trotz geheimnisvoller, gefährlich-roter Raubkatzen- oder Wolfsspuren im Entreebereich – auch die wildesten Tiere zahm, und selbst eine Kuh kann Furore machen: Vor etwa einem Jahr tauchte ein bis dahin unbekannter Wiederkäuer aus Bronze auf dem Kunstmarkt auf – eine Fassung aus Holz gilt seit 1938 als verschollen –, der nun stolz innerhalb der Ausstellung gezeigt werden kann.

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