Buchrezensionen, Rezensionen

Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin University Press 2007

Die Aufsatzsammlung des Basler Ordinarius Gottfried Boehm stellt ein höchst anspruchsvolles Unternehmen dar, nämlich nichts weniger als den Versuch einer Begründung einer Wissenschaft vom Bild, deren Aufgabe es wäre, die inneren Gesetze des Bildes aufzuzeigen. Unser Rezensent Stefan Diebitz ist von der Qualität der Aufsätze aber nicht ganz überzeugt.

Boehm selbst ist es gewesen, der die Rede vom „iconic turn“ aufgebracht hat und als Programm verfolgt, „das Ikonische zu denken“. Der Ausdruck ist zweifellos als Antwort auf den "linguistic turn" formuliert, der von der Philosophie Ludwig Wittgensteins ausging.
Boehm widmet sein Buch dem Andenken Hans-Georg Gadamers, und damit ist seine Position in diesen Fragen bereits umrissen: „Gadamers Kategorie der ‚Darstellung’ , des bildnerischen Artefakts als ‚Seinsvorgang’, hat genügend Weite und Differenz, um auch die radikalen Phänomene der Moderne zu diskutieren.“
Gleich eingangs weist Boehm den Leser auf die Wiederholungen hin, die eine derartige Aufsatzsammlung kennzeichnen, und in der Tat finden wir seinen Grundgedanken der „ikonischen Differenz“ mehrfach erläutert. „Wenn wir von Bildern sprechen“, so schreibt Boehm, „meinen wir eine Differenz, in der sich ein oder mehrere thematische Brennpunkte (Fokus), die unsere Aufmerksamkeit binden, auf ein unthematisches Feld beziehen. Wir sehen das eine im anderen.“ Die ikonische Differenz meint also die Fallhöhe zwischen dem Bedeutenden und dem Bedeutungslosen.
Natürlich erinnert dieser Ausdruck an Richard Hamanns „ästhetische Differenz“, worin sich das Kunstwerk von seiner Umgebung unterscheidet. Anders die ikonische Differenz, die eine Differenz innerhalb des Bildes meint. Etwas tritt hervor oder aus dem Hintergrund heraus und wird uns zum Bild. Offensichtlich meint dies noch nicht das Bild als Kunstwerk, sondern zielt auf die Bedeutung, die Bilder überhaupt für den Menschen gewinnen können. Immer wieder spricht Boehm deshalb anthropologische Gesichtspunkte an, ohne je ins Detail zu gehen. „Es bedarf einer umfassenderen Basis, die das Problem des Bildes und damit der anschaulichen Kapazitäten des Auges zu klären erlaubt.“
Hier stellen sich zahlreiche Fragen, wobei wir auf die mysteriösen „anschaulichen Kapazitäten des Auges“ gar nicht eingehen wollen. Wie sieht die umfassendere wissenschaftliche Basis aus, und welche Wissenschaft hat sie zu leisten? Wenn es tatsächlich im Kern anthropologische Fragen sind, dann wäre etwa die Psychiatrie zu Rate zu ziehen (es gibt Menschen, die keine Gesichter als Gesichter erkennen können), oder es wäre eine Erkenntniskritik zu leisten, die den Menschen als „homo pictor“ (so Boehm selbst) darstellt.

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Mit seinem zweiten großen, bereits im Untertitel angesprochenen Thema, dem Zeigen, nähert sich Boehm der Aufklärung dieser Basis; und wenn der Leser Fotos des gestikulierenden Heidegger entdeckt, dann kann er sich schon denken, auf welchen Spuren der Autor wandelt. Aber die Lektüre lässt uns ratlos zurück, denn die Vieldeutigkeit des Zeigens wird nirgendwo geordnet. Einmal ist mit dem Zeigen das Gestikulieren gemeint – bei Heidegger oder in Giorgiones »La Vecchia«. Hier wird auf etwas oder auf sich selbst gezeigt. Aber auch Bilder sollen zeigen, und es ist ja klar, dass sie das in einer ganz anderen Weise tun. Schließlich sind sie keine Subjekte. Bilder „beruhen“, so Boehm, auf einem „doppelten Zeigen (…), nämlich etwas zu zeigen und sich zu zeigen.“ Aber können Bilder wirklich sich selbst zeigen?
Die Aufsätze dieses Bandes stellen Fragen, und die Ausführungen Boehms sind anregend und geistvoll, ohne sich aber wirklich ernsthaft und systematisch an einer Antwort zu versuchen. Alles wird nur angeregt und angerissen und schon bald wieder fallengelassen.
Der sprachliche Ausdruck dieses Buches entspricht keinesfalls dem intellektuellen Ehrgeiz seines Verfassers. Sein Vokabular (das fremdwortgesättigte Vokabular eines Kunsthistorikers) trifft zusammen mit einem abgehackten, nämlich Satzteile ohne Konjunktionen aneinanderfügenden Stil. Als Beispiel eine von mehreren Erläuterungen der „ikonischen Differenz“: „Der Kontrast lässt sich als eine ikonische Differenz beschreiben, womit auch gesagt ist, dass die zunächst nur visuelle Beziehung dann ‚als’ eine bedeutungsvolle behandelt werden kann, sie etwas zeigt, das heisst einen logischen Status gewinnt.“ Wenn wir vor „sie etwas zeigt“ ein „wenn“ einfügen, gibt der Satz grammatisch einen gewissen Sinn, aber überzeugt deshalb immer noch nicht, weil es doch dem Autor darum geht, das Bild von der Sprache abzuheben: wieso stößt er dann auf einen logischen Status?
Man trifft immer wieder auf Ungenauigkeiten aller möglichen Art, und so gibt es zahllose Stellen, in denen man in dieser Weise nachfragen kann oder muss. Ein Beispiel ist in dem sonsts sehr lesenswerten Abschlusskapitel über Gadamer (stilistisch mit Abstand der beste Teil des Buches) die Verwechslung von Leben und Mensch. Wieso sollte Gadamer, wenn er von „zoon“ spricht, auf den Menschen anspielen? Es handelt sich einfach nur um das animalische Leben. Leben und Mensch werden von Boehm in diesen Passagen ineinandergeworfen, aber Gadamer spricht von einem „Vorrang des Lebendigen“, nicht jedoch, wie Boehm interpretiert, von etwas, „das sich durch Selbstbeziehung ergibt“ –Selbstbeziehung ist dem Menschen vorbehalten.
An einer Stelle plant der Autor gar, „auf den Sinnanspruch der Werke einzutreten“. Um Gottes Willen! möchte man da rufen, doch nicht auf die Werke eintreten, das wäre Vandalismus oder ein „ikonoklastischer Impuls“ und überhaupt eines Kunsthistorikers unwürdig. Oder soll es etwa heißen, dass man in den Sinnzusammenhang eines Werkes eintreten soll? Wir wollen es zu Gunsten des Autors einmal annehmen.

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