Ausstellungsbesprechungen

Goya. Grafische Meisterblätter. Kunsthalle zu Kiel, bis 13. Januar 2019

Radierungen aus zwei Serien Goyas zeigt die Kunsthalle zu Kiel. Stefan Diebitz hat sich die 35 klug zusammengestellten Blätter angeschaut.

Nicht viele Künstler waren ähnlich zerrissen wie Francisco de Goya; er war ein Hofmaler, der unzählige Porträts des Hochadels schuf, dem aber auch Elend und Armut der einfachen Menschen nicht unbekannt waren; er war ein spanischer Patriot, der die Franzosen nicht hassen mochte und sein Leben in Bordeaux beendete; er liebte den Stierkampf und sah und fühlte trotzdem die Leiden der Kreatur; und er war ein aufgeklärter Mensch, der die Alpträume zeichnete und malte, die uns überfallen, wenn die Vernunft einschläft.

Schon von einem rein technischen Standpunkt aus sind es wirkliche Meisterblätter, welche die Kieler Kunsthalle aus dem eigenen Bestand in drei dunkel gestrichenen Räumen ausstellt, denn kaum ein Künstler beherrschte die Aquatinta so virtuos wie Goya. Diese Technik, die erst in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfunden worden war, nutzte er in ganz unvergleichlicher Weise für seine Radierungen, die dank der fließenden Übergänge und der vielen abgestuften Schwarztöne viel malerischer als herkömmliche Radierungen wirken.

Findet man den wahren Goya nur in seinen Grafiken? Gelegentlich tauchen ja ihre Themen auch in seinen Ölgemälden auf, aber doch nur gelegentlich, und so stößt man in den Grafiken auf einen anderen Goya. Und vielleicht ist das wirklich der wahre Goya. Hier konnte er frei arbeiten – er erledigte keine Aufträge, sondern radierte, was ihn beschäftigte. Und was nicht unbedingt jeder sehen sollte, so dass allein eine einzige seiner großen Serien, „La Tauromaquìa“ (Die Kunst des Stierkampfs, 1816), zu seinen Lebzeiten erschien. Die anderen seiner großen Serien, besonders „Los Disparates“ (Die Torheiten, 1825) und seine Folge über den Krieg („Los Desastres de la Guerra“, 1810 – 1814), konnten erst nach seinem Tod erscheinen. Aus der letztgenannten Folge, die man sich im letzten Jahr in vollständiger Folge in Schleswig anschauen konnte, werden jetzt in Kiel keine Blätter gezeigt.

Ein umstrittenes Thema war der Stierkampf weder für den Hof noch vor allem für die Inquisition, die bei seinen anderen Serien auch ein Goya hätte fürchten müssen. Aber diese Folge konnte er 1815/16 tatsächlich unbesorgt veröffentlichen. Für ihn persönlich war es die Zeit seiner maximalen Entfernung vom Hof und damit auch eine Phase finanzieller Schwierigkeiten – das erklärt seine Arbeit auf diesem Gebiet, denn er bot die Radierungen im freien Verkauf an. Den erhofften finanziellen Erfolg scheint er freilich nicht damit gehabt zu haben.

Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Stierkampf reguliert; zuvor und auch noch zu Goyas Zeiten – der Künstler zeigt das auf mehreren Blättern – war es ein Kampf, an dem zumindest gelegentlich auch der Pöbel („la canalla“) teilnahm, der von allen Seiten ungeregelt auf den Stier eindrang. Es ist Mordlust, die Freude an der Qual des Tieres, die sich auf den ersten Blättern der Serie dargestellt sieht. Auf späteren Blättern schildert Goya dann zumindest gelegentlich historisches Geschehen, zum Beispiel den legendären Lanzenstich Karls V. oder den unglücklichen Tod des berühmten Toreros Pepe Illo, der 1801 in der Arena von Madrid ums Leben kam. Er wird vom Stier in die dunkle Hälfte der Arena geschoben… Dieser Torero hatte 1796 ein Lehrbuch des Stierkampfs unter dem Titel „Tauromaquìa“ veröffentlicht.

Was Goya bewunderte, war die Strenge des Stierkampfs, wenn mutige Männer sich allein einem wilden und stolzen Stier entgegenstellten und das Tier am Ende kunstgemäß mit einem Stoß in den Nacken töteten. Aber er verschweigt nicht die Leiden der Kreatur, und so sieht man auf einem Bild ein Pferd, dem das Gedärm aus dem Bauch quillt. Auf einem anderen Blatt heißt es: „Dejarrete de la canalla con las lanzas“, und damit ist gemeint, dass der Stier mit Hieben in die Beine auf die Knie gezwungen werden sollte, um ihn dann in aller Ruhe abschlachten zu können.

Vielleicht ist die Thematik dieser Blätter ganz einfach darauf zurückzuführen, dass infolge der napoleonischen Kriege in ganz Europa das Nationalgefühl erwachte; und was Spanien von anderen Ländern und ganz besonders von Frankreich unterscheidet, das war und ist eben der Stierkampf. Dabei widmet sich Goya auch dem vermuteten Ursprung des Stierkampfs in den Sitten der Mauren. Auch auf diesen Blättern ist sein Umgang mit der Farbe von großer Virtuosität; man sieht etwa die weißen Männer mit dem Turban vor dem dunklen Sand und dem schwarzen Stier. Und der schief geneigte Kopf des Stieres zeigt hier, aber auch auf anderen Blättern, mit seinen Hörnern den islamischen Halbmond.

Besonders überzeugend ist Goyas Kunst dort, wo er sich mit großer Könnerschaft den dynamischen Bewegungen der Tiere und des Matadors widmet, ihren dynamischen Wendungen und Drehungen, und die berühmteste seiner Radierungen zeigt, wie ein Schnappschuss, den Sprung eines für seine Eleganz berühmten Matadors, Luis Apiñani, mit der Hilfe einer Lanze über die Hörner des Stiers hinweg. Seinen Schatten – den des springenden Toreros – können wir auf dem Sand der Arena sehen.

Trotz der Schönheiten dieser Radierungen: Die Blätter der „Disparates“, die in Kiel auf einer ganz schwarzen Wand präsentiert werden, sind uns wohl näher – sie wirken moderner. Es sind keine einfachen Botschaften, die hier übermittelt werden, sondern deutungsbedürftige, ja sehr häufig rätselhafte Visionen – sie sind das, was man während des Schlafes der Vernunft zu sehen bekommt. Überhaupt nicht auszudeuten sind Visionen von fliegenden Menschen oder von merkwürdigen Giganten, von denen der eindrucksvollste die Angst symbolisiert. Die riesige Gestalt mit dem verhüllten Kopf, vor der die Soldaten zurückschrecken, erinnert an die traditionelle Darstellung des Todes, aber sie erinnert nur an ihn, ohne dass sie wirklich schon der Tod wäre.

Symbolisch oder gar allegorisch auflösbar ist hier also nur wenig; eben das macht ja die Modernität Goyas aus. Und sein Spiel mit den Formen – auf einem Blatt hat das Gestein im Hintergrund das Wesen lauernder Tiere angenommen: man glaubt hier ein Auge zu sehen, dort einen Kopf… Auch gibt es keine Untertitel wie in den „Proverbios“ oder seiner Kriegsserie, so dass der Betrachter mit dem Bild allein bleibt. Und es lohnt sich, länger hinzuschauen, denn jedes einzelne Bild besitzt überraschend viel Tiefe und zahlreiche Details. Die Kieler Ausstellung, die 35 Blätter in drei Räumen zeigt – blutrot, dunkelblau und schwarz –, sollte dafür eine gute Gelegenheit bieten, zumal die Gestaltung der Wände in drei düsteren Farben den ernsten und tiefen Eindruck der Meisterblätter noch einmal hervorhebt.

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