Buchrezensionen, Rezensionen

Grabkultur in Deutschland. Geschichte der Grabmäler. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2009

„Bisher wurde die Geschichte der Grabmale fast nur anhand jener großartigen Kunstwerke abgehandelt, die für Päpste, Kaiser und Könige, Herrscher und Fürsten und anderer hochgestellte Persönlichkeiten aufgestellt worden sind.“ – So schreibt Barbara Leisner, Mitherausgeberin und –autorin des vorliegenden Sammelbandes, in ihrem kurzen einleitenden Statement. Die Publikation der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal hat sich hingegen der Erforschung der ungenannten Masse verschrieben. Schließlich sind es die kleinen Einzelgrabmale, die als Kollektiv der Erinnerungszeichen dem Friedhof sein charakteristisches Erscheinungsbild geben. Dennoch sind sie erst in der jüngsten Zeit in den Fokus der Forschung gerückt – bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, wo sich ein tiefgreifender Wandel in der Grabkultur abzeichnet. Ulrike Schuster hat dieses Buch für PKG gelesen.

Die mitwirkenden AutorInnen betreten bei ihren Untersuchungen ein Gebiet, das aufgrund seiner Alltäglichkeit sehr vertraut erscheint, historisch aber noch wenig untersucht ist. Zwar existieren bereits zahlreiche Fachaufsätze zum Thema der Sepulkralkultur, jedoch eine umfassende Darstellung der Geschichte des Einzelgrabmales wurde für deutschsprachigen Raum noch nicht vorgelegt, so die Begründung des Herausgebers Reiner Sörries.

Tatsächlich findet man sich bereits im Eingangskapitel, das er selbst verfasst hat, mit einer überraschenden Feststellung konfrontiert: Die Friedhöfe gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als etwas Ewiges, von uralter Dauer und konstant im Erscheinungsbild. In Wahrheit ist jedoch nur wenig über das Aussehen der Grabstätten in früheren Jahrhunderten bekannt. Aufgrund der starken regionalen und lokalen Unterschiede lässt sich auch keine generelle Charakterisierung vornehmen. Sörries geht jedoch davon aus, dass in früheren Zeiten die Gräber keineswegs in Reih und Glied angelegt waren und auch nicht jedes Grab mit einem eigenen Grabzeichen ausgestattet war. Ein Großteil der Toten wurde wahrscheinlich anonym beerdigt.

Erst im 17. Jahrhundert trifft man allmählich auf häufigere Spuren von Grabsteinen, Bodenplatten und Kreuzen. Von 1800 an nahmen die Friedhöfe nach und nach die charakteristische Gestalt an, die uns heute die vertraute ist. Aufgrund einer neuen, radikalen Auffassung von Hygiene wurden damals die alten Totenäcker auf den Kirchhöfen aufgelassen und weitläufige Friedhofsanlagen vor den Toren der Städte angelegt. Zu jener Zeit bestand noch eine enge Symbiose zwischen Grabmalkultur und der anspruchsvollen Gartenkunst, die in den gleichzeitigen Landschaftsgärten zum Ausdruck kam. Dennoch, die neuen Friedhöfe folgten einer strengeren Ordnung. Erstmals wurden die Grabstellen in Reihen angelegt und das individuelle Grab, gekennzeichnet mit dem Namen des Verstorbenen, entwickelte sich schließlich zur Norm.

Entscheidenden Einfluss auf diese Entwicklung hatte die fortschreitende Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Dank neuer Materialien und Techniken, sowie der Beschleunigung und Vereinfachung der Transportwege, wurde ein Grabstein zum erschwinglichen Gut für jedermann. Mit der industriellen Massenfertigung entfaltete sich eine eigenständige bürgerliche Friedhofskultur, die sich allerdings nicht unbedingt zur Freude der Kunstverständigen entwickelte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts häuften sich die Klagen über Entgleisungen und Geschmacklosigkeiten des Grabschmucks, der nun oftmals als unangemessen und protzig empfunden wurde.

Als Reaktion darauf entstand eine breite Reformbewegung. In einem bemerkenswerten Schulterschluss sämtlicher maßgeblicher künstlerischen Organisationen Deutschlands rückte man dem Übel zu Leibe, mit regen kunstpädagogischen Tätigkeiten sowie mit immer rigideren Friedhofsverordnungen, die unerbittlich auf die Vereinheitlichung der Grabanlagen drängten.

Die VerfasserInnen gehen in ihren Aufsätzen sehr ausführlich auf die vielfältigen Aspekte der Grabkultur im 19. und 20. Jahrhundert ein. Dem Thema der Urnenanlagen ist ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet wie der Grabmalgestaltung zu Zeiten der DDR, Soldatengräbern, Grabmalen für Kinder, politischen Grabzeichen, und vieles mehr. Auch technische Details über die Fertigung des Grabschmuckes oder die Verwendung von Vorlagenbüchern werden dabei sachkundig erläutert.

Vor allem macht die detaillierte Darstellung deutlich, dass die Sepulkralkultur ebenso dem historischen Kontext und Wandel unterworfen ist wie alle anderen Phänomene des täglichen Lebens. Es ist sogar denkbar, dass die heutige Form der Friedhofsanlagen bald überholt sein wird zugunsten alternativer Bestattungsformen – die Diskussion darüber ist zumindest bereits im Gange.
 

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