Buchrezensionen

Graphic Novel of the Month: Matthias Gnehm: Der Maler der ewigen Portraitgalerie, Edition Moderne 2013

Gnehms Graphic Novel ist retro und unheimlich modern zugleich. Ein Erinnerungsroman, der mit dem Vergessen im digitalen Zeitalter abrechnet und nebenbei noch eine familiäre Tragödie aufdeckt. Rowena Fuß ist in die mitreißende Bilderwelt abgetaucht.

Seit der Antike identifizieren, repräsentieren und erinnern Porträts Menschen in einmaliger Manier. Auf diese Tradition greift nun der Züricher Architekt und Comiczeichner Matthias Gnehm zurück. Er arbeitet derzeit an einer Porträtgalerie, die auch im Internet zu sehen ist. In der dazugehörigen Graphic Novel geht es um Erinnerungen, ihre Konservierung und ihre Wirkung auf die Nachwelt.

Ein erfolgloser Kunstmaler entdeckt zwischen alten Fotos seiner verstorbenen Großmutter ein kleinformatiges, gemaltes Porträt von ihr. Das Bild gibt ihm ein Rätsel um seine eigene Herkunft auf, das ihn nicht mehr loslässt. Bis er bei seiner Recherche auf eine außergewöhnliche Portraitgalerie stößt, die niemand anders als sein Großvater für die Ewigkeit angelegt hat: eternalportraitgallery.com.

Die Wende bringt ein Gespräch mit der Kunsthändlerin Annette Faller, die sein Bild im Auftrag eines Kunden erwerben soll. Die Kunsthändlerin und unser Protagonist kommunizieren dabei über ein Smartphone, obwohl sie sich im selben Zimmer befinden. Diese Absurdität muss man sich ersteinmal vorstellen (und doch kann man dieselbe Situation real etwa in Hotellobbys beobachten). Schließlich folgt er ihr heimlich bis zu Rodins Höllentor vor dem Zürcher Kunsthaus. Faller deponiert hier das eben erworbene Bild und der Ich-Erzähler muss lange warten, bevor er weiterkommt. Dabei nickt er ein und stürzt in einen Alptraum. Durch das Höllentor gelangt er in die virtuelle Porträtgalerie, wo er zwar ein Bild, aber keine Stimme hat. Als er aufschreckt, holt gerade jemand den von Faller deponierten Umschlag ab. Und es ist nicht irgendwer, der das tut. Es ist der Großvater des Erzählers. Und zwar der Richtige. In einem gepolsterten Zimmer reden Enkel und Opa via Kamera darüber.

Alles begann mit einem Seitensprung der Oma. Der Vater des Hauptprotagonisten war ein uneheliches Kind, dessen Ziehvater sich umbrachte, als er es erfuhr. Dieses Geheimnis wurde bis zum Tod der Großmutter gehütet, erst auf dem Sterbebett enthüllte sie es ihrem Kind. Seither ist er ein gebrochener Mann, der in einer psychiatrischen Klinik wohnt und in Apathie versinkt. Man kann sich die Erschütterung unseres Hauptprotagonisten vorstellen, der nun nicht nur zum ersten Mal alles erfährt, sondern auch dem Urheber seines Leids gegenübersteht. Voller Reue berichtet der Opa davon, dass er alle Menschen liebt, nur nicht sein eigenen Fleisch und Blut und dass er sich lieber für die Kunst als für sein Kind entschieden hat. Nun ist er über Siebzig und quält sich damit, wer seine Arbeit fortführen soll, wenn er stirbt. Wer malt weiterhin die Bildnisse für die ewige Porträtgalerie? Wer bewahrt das Gesicht kommender Generationen? Natürlich bietet sich der Enkel an. Allerdings nur, wenn sich der Opa mit dem Vater aussöhnt.

Wie mit einem Kohlestift gezeichnet, erscheinen die detailreichen und präzisen Einzelbilder. Jeweils vier schmücken eine Seite. In regelmäßigen Abständen wird die Erzählung von größenteils schwarzen Panels unterbrochen, die nicht nur die Konterfeis so bedeutender Persönlichkeiten wie Rembrandt, Frida Kahlo oder Alfred Hitchcock enthalten, sondern auch Bildnisse aus der ewigen Porträtgalerie nebst Informationen zu derselben.

Dem Vergessen anheim zu fallen ist vermutlich fast so etwas wie die Urangst des Menschen vor der Dunkelheit. Insbesondere im digitalen Zeitalter, wo Archivierung ein temporäres Problem darstellt und Datenverluste an der Tagesordnung sind. Wie also erhält man sich am besten für die Nachwelt? Die ewige Porträtgalerie wäre eine Möglichkeit. Sie existiert tatsächlich. Von jedem Porträt in der Online-Galerie existiert ein reales, kleinformatiges, von Matthias Gnehm per Hand gezeichnetes Original. Diese Originale können innerhalb der Communitiy der ewigen Portraitgalerie vererbt werden, so dass sie auch auf lange Sicht bewahrt sind. »Denn die Ewigkeit ist nie nur digital« verlautet der Slogan auf der Website.

In der Graphic Novel selbst sind 62 Porträts aus der Galerie vertreten. Es wird wenig geredet, hauptsächlich ist es eine Geschichte in Bildern. Doch das macht sie keineswegs eintönig. Gnehm wechselt immer wieder zwischen den Bildeinstellungen. Fast die ganze Palette an Möglichkeiten wird genutzt, was die Geschichte rasant vorwärts schreiten lässt: Close-ups bei den Gesichtern, Detailaufnahmen bei Augen oder beim Finger auf dem Touchscreen des Smartphones, dem bewährten Universalwerkzeug, sowie die Totale bei Straßenzügen und Plätzen Zürichs. Alles in allem also eine runde Sache und einfach unerwartet gut!

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