Ausstellungsbesprechungen

Grass in Farbe. Die Aquarelle von Günter Grass, Günter Grass-Haus, Lübeck, bis 03. Februar 2019

Dass der bekannte Schriftsteller Günter Grass Radierungen und andere Druckgrafik schuf, weiß man seit Langem; aber wer kennt seine Aquarelle? Stefan Diebitz war von der Farbigkeit der Bilder sehr überrascht.

Schon als Kind wusste Grass, dass er Künstler werden wollte, und bewarb sich deshalb 1948 erfolgreich an der Kunstakademie Düsseldorf, nachdem er zuvor das Steinmetzhandwerk wenigstens in seinen Grundzügen erlernt hatte. Von Düsseldorf verabschiedete er sich aber schon bald wieder – die Akademie missfiel ihm, denn abstrakte Malerei und Aktionskunst waren nicht das, wonach es ihn verlangte. Bis 1954 studierte er deshalb in Berlin, aber dann kam die Literatur, die seine künstlerischen Ambitionen nicht ganz und gar verdrängte, aber doch zumindest in die zweite Reihe verwies. 1959, nach dem gigantischen Erfolg der „Blechtrommel“, schuf er kaum noch oder überhaupt keine farbigen Werke mehr. Wer an den Künstler Grass denkt, dem stehen deshalb Druckgrafiken vor Augen oder auch Bildhauerarbeiten. Aber Aquarelle?

So ist der Besucher der Lübecker Ausstellung überrascht über die Fülle der Farben, und der farbenfrohe Eindruck wird durch die Petersburger Hängung noch einmal verstärkt. In einem einzigen, nicht einmal großen Raum werden immerhin 80 Bilder unterschiedlicher Größe präsentiert, die einen Überblick über das gesamte Schaffen des Aquarellisten Grass geben. Über 1380 Arbeiten verfügt das Grass-Haus, davon liegen 480 im Archiv, und so hatte der Kurator Jürgen Fitschen genug zu tun, als er alles – offenbar ist das wörtlich zu verstehen –, als er sämtliche Arbeiten wenigstens einmal in die Hand nahm und davon seine überlegte, aber natürlich trotzdem vorläufige Auswahl traf, die er in fünf Kapiteln präsentiert.

Es kann nicht überraschen, dass im ersten Kapitel ein Epigone auftritt; man glaubt, mal Picasso, mal Dalí zu sehen, und die wahrscheinlich älteste Arbeit – die stimmungsvolle Ansicht einer nächtlichen Straße – erinnert mit ihren nächtlich-bläulichen Farben ein wenig an Edward Hopper. Sie gehörte wahrscheinlich zu der Mappe, mit der sich der junge Grass in Düsseldorf an der Akademie bewarb. Das zweite Kapitel, „Motive und Farben“ überschrieben, demonstriert die Treue des Künstlers und Autors zu seinen nicht selten etwas ekligen Motiven: Kröten, Insekten, Fische und überhaupt zu vielen eher hässlichen oder wenig geliebten Tieren, die man nur ungern anfasst. Links an der Stirnwand leuchten die gelben und roten Bilder, rechts die Aquarelle mit den eher gedeckten Farben, braun, blau und grün. Es waren diese Farben, die sich in seinem Werk durchsetzten.

Es schließt sich ein Kapitel an, in dem Wort und Bild einander treffen, in dem also Gedichte oder Widmungen in großen Buchstaben auf die Bilder gemalt wurden; „Aquadichte“ nannte Grass diese Ergüsse. In den meisten Fällen nicht unbedingt große Meisterwerke, teils weil der Lyrik jede Form fehlt, teils weil sie ihren doch eher privaten Charakter kaum leugnen kann. So kann dieser Teil nicht wirklich überzeugen. Ganz anders (und für mich überraschend) die Qualität der Landschaftsbilder, die sich daran anschließen. 1995, nach der sehr ungünstigen Aufnahme von „Ein weites Feld“ – man erinnere sich: Reich-Ranicki hatte sich nicht entblödet, sich als Kraftmensch auf dem Titel des „Spiegel“ bei einem buchstäblichen Verriss des Buches abbilden zu lassen –, 1995 nahm Grass endlich wieder den Kasten mit den Wasserfarben aus der Schublade und zog sich mit ihm in seinem Rucksack und Wasser in alten Tuborg-Buddeln in die Einsamkeit zurück: „Und jede Buche, die ich feucht in feucht portraitierte, hielt still. Aber auch ich war, während ich aquarellierte, für den Streit dieser Welt und dessen Nebengeräusche verloren.“

Muss man um diese Umstände wissen, wenn man sich die Bilder dieser Jahre anschaut? Ich finde sie fast durchweg sehr gelungen, wobei mir am meisten zwei Bilder eines Bruchwaldes gefallen; aber auch Ansichten der kleinteiligen schleswig-holsteinischen Landschaft, einiger Kastanien oder andere, meist ganz unspektakuläre Bilder können überzeugen. Ganz offensichtlich besaß Grass wirklich ein intimes Verhältnis zur Natur und hat aufmerksam und genau hingeschaut. Ein Foto, das seine Frau aufgenommen hat, zeigt ihn beim konzentrierten und vielleicht selbstvergessenen Malen. Weil er es nicht geschätzt hat, beim Malen fotografiert zu werden, gibt es davon sonst kaum Bilder.

Den Abschluss der Ausstellung bilden die Aquarelle des letzten Lebensjahrzehnts, in dem der Blick voraus auf den Tod ebenso wie die Selbstreflexion eine wichtige Rolle spielen. In der Mitte der Stirnwand hängt ein großes Selbstporträt, aber gelungener scheinen doch die kleineren Bilder, zum Beispiel die zweifellos symbolisch zu verstehenden, langsam niedersinkenden (Schreib-)Federn. Das sind schöne und lebenskluge, aber auch maltechnisch gelungene Aquarelle, die sehr schön zu seinem allerletzten Buch passen, zu „Vonne Endlichkait“. Dessen Einband zeigt dasselbe Motiv wie das zuletzt angesprochene, aber natürlich nicht als Aquarell.

Das Grass-Haus nennt sich ja „Forum für Literatur und Bildende Kunst“, und wirklich ist die Begegnung beider Kunstformen das, was seine Sonderausstellungen zu etwas Besonderem macht. Es sind ja nicht selten dieselben Motive, die in den Büchern wie in den Aquarellen auftauchen – die Unke, die Feder oder etwas anderes –, und das gibt Gelegenheit, über das Verhältnis von Bild und Wort nachzudenken. So ist es eine anregende und schöne Ausstellung.

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