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Gregor Langfeld: Deutsche Kunst in New York. Vermittler - Kunstsammler - Ausstellungsmacher 1904-1957, Dietrich Reimer Verlag 2011

Derzeit scheint unter Kunsthistorikern die Frage nach den Bedingungen der Kanonbildung verstärkt diskutiert zu werden. Auch der in den Niederlanden wirkende deutschstämmige Gregor Langfeld hat sich in seiner Dissertation dieses Themas angenommen, und Franz Siepe ist ihm mit Aufmerksamkeit gefolgt.

Zu Beginn des Buches, das sogleich durch die 130 sorgsam ausgewählten und sehr gut reproduzierten Abbildungen optisch Gefallen erregt, rekurriert der Autor auf die historische Tatsache, dass in den Niederlanden nach dem Ende der deutschen Besatzung 1945 deutsche Kunst plötzlich und erstaunlich hoch im Kurs stand. Um zu erkunden, ob andernorts, speziell in den USA, eine analoge Rezeptionsgeschichte zu beobachten sei, konzentriert sich seine Studie auf New York als ein Zentrum des Kunstgeschehens.

Langfelds Interesse ist darauf gerichtet, zu erforschen, ob, in welcher Weise und in welchem Maße die Vermittler in der Kunstszene (hauptsächlich Kunstsammler und Ausstellungsmacher) in den ersten sechs Dekaden des 20. Jahrhunderts zur Kanonisierung bestimmter Kunstrichtungen beitrugen. Anders gefragt: Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass einige Künstler zu Urhebern von Geltungskunst avancierten, während andere marginalisiert oder gar diskriminiert wurden? Letztlich geht es also auch um gesellschaftliche und (kultur)geschichtliche Determinanten der Genese unserer eigenen ästhetischen Präferenzen, die von der Kanonbildung nach 1945 erheblich geprägt sind. Methodologische Anregungen bezieht Langfeld vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu.

Drei Hypothesen waren untersuchungsleitend:
1. »Die Institution des Museums übernahm in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die zentrale wertbildende Rolle bezüglich moderner deutscher Kunst.«
2. »Für die allgemeine Anerkennung moderner deutscher Kunst in New York war die ideologische Haltung der Rezipienten ausschlaggebend.«
3. »Die Auswirkungen des Nationalsozialismus sorgten für eine abrupte Kanonisierung der modernen deutschen Kunst in New York.«

Weil nun Hypothesenbildung niemals völlig erfahrungsungesättigt geschieht, wird es kaum überraschen, wenn Langfeld seine Vorannahmen am Ende weitgehend bestätigt sieht. Allerdings seien Präzisierungen vorzunehmen wie etwa die, dass moderne deutsche Kunst in den USA durchaus nicht erst nach 1933 ausgestellt wurde. Denn beispielsweise hatte die mit Marcel Duchamp befreundete, esoterisch angehauchte Katherine Dreier bereits in den 20er Jahren Werke deutscher Avantgardisten lanciert, die auch heute noch zum Kanon gehören: so Paul Klee, Heinrich Campendonk und vor allem Wassily Kandinsky. Die Reaktionen auf Dreiers Aktivitäten waren zunächst überwiegend negativ, war doch die US-Kunstkritik noch nicht bereit, unisono in das Lob der Abstraktion und den Abgesang auf die Tradition naturalisierender Figürlichkeit einzustimmen.

Das änderte sich gründlich in der zweiten Hälfte der 1930er, indem die amerikanischen Reaktionen auf die rigoristische Kunstpolitik der Nationalsozialisten die Sache der Kunstanschauung zum Lackmustest für demokratische Gesinnung machten und somit ihrerseits Ästhetisches zum Politikum erhoben. 1939 hielt Präsident Franklin D. Roosevelt anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Museum of Modern Art (MoMA) eine Rundfunkrede, in der er die USA als Land der Freiheit pries, das als solches auch ein Hort der uneingeschränkten Kunstausübung sei. Er erklärte das MoMA zum »integralen Bestandteil des demokratischen Systems«; und Alfred H. Barr, Jr. führte als MoMA-Direktor die Ansprache des Präsidenten gern ins Feld, wenn es galt, seine Ankäufe zu rechtfertigen.

Dergestalt sorgten, so Langfeld, »[d]ie politische Weltlage und die dadurch bedingte Positionierung amerikanischer Autoritätsinstanzen gegenüber moderner Kunst« für eine allgemeine Umwertung der künstlerischen Werte: »Im Zuge dieses Umschwungs öffneten sich die Rezipienten einer Ästhetik, die nicht eigentlich ihren Schönheitsvorstellungen entsprach.« Und erst in diesem Klima antinationalsozialistischer Ideologisierung der Kunstvermittlung in New York konnte etwa auch Wilhelm Lehmbrucks Skulptur »Die Kniende« von 1911 den Rang eines repräsentativen Meisterwerks der Moderne erobern.

Die geschichtslose Ornamentlosigkeit der Bauhausarchitektur und des Bauhausdesigns widersprachen anfangs ebenfalls den Schönheitsvorstellungen des amerikanischen Publikums. Und wieder war es das MoMA, das unter der Regie seines Direktors Barr eine Trendwende inszenierte. Barr stilisierte die Bauhäusler, die sich selbst als dezidiert apolitsch gaben und überhaupt nicht darauf bestanden, als Exilanten angesehen zu werden, zu Kündern und Opfern ihrer freiheitlichen Gesinnung. Bauhaus-Prominente wie Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius bekamen daher bald Schlüsselpositionen im US-Bildungswesen zugewiesen; allein Gropius hatte 250 Schüler, die später selbst Lehrämter besetzen sollten. Also verbreitete sich die Bauhaus-Ästhetik mit dem Nimbus einer legitimen, weil demokratischen Kunstform, ohne selbst im mindesten demokratisch gegründet zu sein, wie Langfeld pointiert: »Wenn große Teile der Bevölkerung keine Affinität mit dem Bauhaus hatten, so war das – meiner Ansicht nach  für den Kanonisierungsprozess relativ unerheblich, da die Bevölkerung keinen Einfluss auf den Prozess hat, der von einer relativ kleinen Elite bestimmt wird.«

Nach dem 2. Weltkrieg wurden die in den Kriegsjahren praktizierten Kanonisierungsstrategien stabilisierend fortgeführt. So zelebrierte das Busch-Reisinger Museum in Cambridge/USA unter dem Kurator Charles Kuhn den Expressionismus als individualistisch, rebellisch und antitotalitär und förderte auch das Bauhaus, wobei man gänzlich davon absah, dass es im Kreise der favorisierten Künstler durchaus einige gab, die, sei es aus Überzeugung, sei es aus opportunistischen Gründen, teils mit dem Kommunismus, teils aber auch mit dem Nationalsozialismus sympathisiert oder gar kollaboriert hatten. Möglicherweise war Kuhn nicht zuletzt von der Absicht geleitet, mit dem deutschen Expressionismus zugleich den zeitgenössischen Abstrakten Expressionismus als die legitime Nachfolgeerscheinung aufzuwerten.

In Westdeutschland taten sich der Kunsthistoriker Werner Haftmann und Alfred Hentzen, der Direktor der Hamburger Kunsthalle mit seiner ausgeprägten Vorliebe für Lehmbruck und Barlach, als Propagandisten des »genuin demokratischen« Expressionismus hervor. »Im Gegensatz dazu konnten«, so Langfeld, »weniger progressive Künstler, die nach 1945 nicht in den Genuss einer Anti-Nazi-Aufwertung kamen, kaum auf eine Würdigung rechnen. Sie wurden marginalisiert, selbst wenn sie nicht nazikonform oder ideologisch angepasst waren«.

Mit »Deutsche Kunst in New York« legt Gregor Langfeld ein gescheites, aufklärerisches und dazu noch flüssig lesbares Buch vor, das durchaus nicht immer sine ira et studio (ohne Zorn und Vorliebe) geschrieben zu sein scheint. Indem es die Geschichte der Kanonisierung moderner Kunst an einem neuralgischen Punkt rekonstruiert, mahnt es seine Leser, gerade auch den vermeintlich herrschaftsfreien Raum der »autonomen Kunst« auf ideologische Implikationen hin zu examinieren. Auch unser Schönheitsempfinden hat einen historischen Kern.

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