Ausstellungsbesprechungen

Große Gefühle – Von der Antike bis zur Gegenwart, Kunsthalle Krems, bis 30. Juni 2013

Suizidgefährdete Eichhörnchen und büßende Marien, das World Trade Center und eine barocke Meuchelszene: Kontrastreiche Gegenüberstellungen laden in der Kremser Ausstellung zur Auseinandersetzung mit Emotionen und ihrer Darstellung gestern und heute ein. Günter Baumann berichtet.

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Gefühle sind ein heikles Thema im Kunst-Gewerbe. Es gibt sogar ernstzunehmende Kritiker, die den Gefühlshaushalt in der gegenwärtigen Kunst bewusst herunterdimmen in der Überzeugung, dass alle Gefühle – die landläufig individuell verstanden werden – in Wahrheit bereits im 19. Jahrhundert belegt und somit ein Anachronismus sind. Dass die Kunsthalle Krems nun das Thema regelrecht an die große Glocke hängt, mit einer Extraportion Pathos im Titel, ist fast schon ein Affront gegen ein unausgesprochenes Verdikt: nicht über »Große Gefühle« zu reden. Das Kremser Museum macht es doch und präsentiert damit eine grandiose Ausstellung, die wohl weltweit ihresgleichen sucht. Alle Geschütze werden aufgefahren – Liebe, Zorn, Freude, Trauer. Schon die Konstellation der Kooperations-Schau ist phänomenal: Das Kunsthistorische Museum Wien hat vorwiegend aus den emotionsgeladenen Stilen barocken Zuschnitts Werke seit der Antike beigesteuert, während die Turiner Fondazione Sandretto Re Rebaudengo um die 40 Arbeiten aus der Gegenwart ins Rennen schickte.

Ideengeber der Ausstellung, die hier und da an Tabus des emotionalen Geschmacks rührt, ist der Kulturphilosoph Aby Warburg, der der Kunst noch das Recht zusprach, Gefühle darzustellen, sofern sie auch geformt seien. Auch dass der historische Brückenschlag von früheren Jahrhunderten bis zur Gegenwart versucht wird, geht auf Warburgs System des sozialen Gedächtnisses zurück, das wiederum heutzutage hoch im Kurs steht. Das Ausstellungskonzept war ohne Mut zur Lücke nicht denkbar, umso mehr überzeugt die Kuratorenleistung durch abwechslungsreiche, mal laut aufbrausende, mal still dahinschmelzende Stationen, die den Betrachter sowohl reinziehen in die hochfliegenden wie tiefstbetrübten Stimmungen als auch herausfordern, sich intellektuell mit den testosteron- und adrenalingesteuerten Schwankungen auseinander zu setzen.

Um sich eine Vorstellung von den Protagonisten zu machen, seien einige Namen in den Raum gestellt. Die alten Meister sind würdig vertreten u.a. durch Hans von Aachen, Jacob van Ruisdael, Johann Heinrich Schönfeld, Bartholomäus Spranger, Tizian und Paolo Veronese; die Liste der Gegenwartskünstler ist gar spektakulär zu nennen: Matthew Barney, Berlinde De Bruyckere, Maurizio Cattelan, Hans-Peter Feldmann, Urs Fischer, Douglas Gordon, Damien Hirst, William Kentridge, Sharon Lockhart, Sarah Lucas, Shirin Neshat, Thomas Ruff, Jeff Wall u.a.m. Erstaunlich sind die Bezüge, Vergleiche und souverän gesetzte Konstellationen. Thematisch angelegt, wird der Betrachter begrifflich und bildlich rundgeleitet und konfrontiert mit »Schock«, »Melancholie«, »Liebe«, »Trauer«, »Sehnsucht«, »Leid«, »Zorn«, »Einsamkeit« und »Erregung«. Dass dabei auch die Fallhöhe von der pathetischen Überhöhung zur ironischen Anspielung ausgeschöpft wird, tut der Schau gut – Cattelans suizidgefährdetes Eichhörnchen nimmt der büßenden Maria Magdalena etwas die Bedrängnis, andrerseits wird sie sogar als gestellt entlarvt neben Filmstills, in dem ein Mädchen den Tod eines Hasen zu beklagen hat. Wie wirklich Gefühle sind, ist am Ende des Parcours nicht mehr so einfach zu sagen, nur soviel: Es gibt sie, früher wie heute. Eine wichtige Frage der Ausstellung ist dabei immer wieder: Wie beeinflussen Bilder unsere Gefühle? Dies wird unmittelbar bewusst, wenn man eine hochbarocke Meuchelszene vor einem anonymen Tempel gegen die journalistischen Bilder von der Zerstörung der Doppeltürme des World Trade Centers ausspielt. Gerade im Katastrophenbild ist die Grenze zwischen Dokument und Gräuelszenario fließend.

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Die Resonanz in den Medien war verhalten – ein Zeichen für den Tabubruch der Gefühlsüberladung? Freilich, der Anspruch auf eine mehrtausendjährige Kulturgeschichte seit der Antike liefert massenweise ungeschützte Breitseiten. Aber geben wir dem Gefühlszirkus seinen Lauf, eröffnen sich doch viele wunderbare kleine Geschichten am Rande der großen Geschichte. Österreichische Reminiszensen darf man durchaus tolerieren wie etwa die »Große Trauerrobe der Kaiserin Elisabeth«, die im Kontext von Shirin Neshats »Graceful Death« aus der Serie »Women of Allah« steht. Da mag die Kontrolle über die Gefühle je nach Betrachter sehr unterschiedlich ausfallen. Herausragend ist das provozierende Porträtzitat von Yinka Shonibare, das einen Schwarzen in barocker Robe zeigt, gegenüber einem Adelsbildnis Adriaen van der Werffs.

Manchem wird es sicher auch missfallen, wenn Jake und Dinos Chapmans ausblutender »Cyber Iconic Man« als Konsequenz zum »Hl. Sebastian« von Veronese platziert wurde. Wohlgemerkt, es werden keine »echten« Gefühle versprochen, die mag allein der Rezipient ausmachen, sondern »große« Gefühle in einer großartig subjektiven Auswahl. Ob nun Nathaniel Mellors’ »Hippy Dialects« als geeignetes Sehnsuchtsbild durchgeht, sei tatsächlich dahingestellt – aber es taugt als Gruß von der letzten Biennale in Venedig. Wer weiß, welche Gefühle sich daran anknüpfen.

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