Ausstellungsbesprechungen

Grünewald und seine Zeit

Diese prachtvolle Grünewald-Schau ist – auch – eine Ausstellung über den Verlust. Während in Colmar zeitgleich mit Karlsruhe der epochemachende Isenheimer Altar Matthias Grünewalds gezeigt wird, der aus dem Vollen heraus schöpfen und zeigen kann, was alle von jeher wussten:

dass wir hier (neben Albrecht Dürer) einen der bedeutendsten Künstler nördlich der Alpen vor Augen haben, so stehen in der badischen Nachbarschaft ganze Menschentrauben etwa vor der "Donaueschinger Magdalenenklage" des Christoph Krafft, eine schwer lädierte Kopie nach Grünewald, die ahnen lässt, welch ungeheure Schätze wohl verloren gingen. Die außergewöhnlich exzentrische Perspektive, die Brutalität in der Darstellung des geschundenen Menschen, seine Mimik und Gestik verraten ganz Grünewalds Handschrift. Erschütternd auch die Tatsache, dass wir als Betrachter das Leid Christi nicht lindern können – mehr noch, wir sehen noch nicht einmal den Gesichtsausdruck des Gekreuzigten, der schräg von hinten gemalt ist, und dessen Gebärde Schlimmstes nahelegen. Leider haben sich viele Werke des Meisters nicht erhalten, so dass man eigentlich kaum zwei Ausstellungen gleichzeitig füllen kann.

 

Die Karlsruher Ausstellung muss mit recht wenig Grünewald-Werken auskommen, von denen manche aber immerhin zum Bestand des Hauses gehören (darunter der Tauberbischofsheimer Altar, um 1523/24). In Zahlen: knapp über ein Dutzend Bilder tragen den Namen Grünewald, vier davon gehören nach Karlsruhe. (Das gesicherte Gesamtwerk umfasst etwa 25 Arbeiten.) Da könnte man denken, sich die überfüllten Säle sparen zu können. Doch haben die Ausstellungsmacher das kleine Wunder vollbracht, eine Magie aufzubauen, die die Schau zum faszinierenden Spektakel machen. Albrecht Dürer, Urs Graf, Mabuse und andere Zeitgenossen mehr haben sich zur feierlichen Parade aufgemacht, als wollten sie alle diesem Kühnsten und Expressivsten in ihrer Mitte huldigen. Insgesamt kommt die Ausstellung auf rund 160 Exponate von mehr als 60 Leihgebern. Schwerpunkte liegen auf der Grisaillemalerei und der Zeichnung.

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Das geheimnisvolle Etwas hat der Maler allerdings auch selbst zu verantworten: Biographisch ist er kaum greifbar, sein Name ist eine Mutmaßung, eine Konvention, weil die wahrscheinlichere Form sich nicht so recht einbürgern will – Mathis Gothard Nithart, so wird er wohl richtig geheißen haben, wirkt so spröde, dass man lieber bei Grünewald bleibt. Aschaffenburg, Mainz und Halle verbinden sich mit diesem Namen, als Lebensdaten bieten sich 1475/80 bis 1528 an. Mehr ist nicht zu ermitteln, und es stellt sich umso drängender die Frage, wie ein Mensch um 1500 eine derartig moderne Drastik, einen fast schon Dix’schen Verismus entwickeln konnte – was wiederum nicht zusammen geht mit der Vermutung, Grünewald sei auch ein Ingenieur der Wassertechnik gewesen. Vielleicht macht aber auch gerade das den Reiz aus: Das offensichtliche Kalkül eines wachen Verstandes, der die Proportionen auf eine Zerreißprobe stellte und die Perspektive im Farbkosmos ad absurdum führte, und das mit einer Leichtigkeit, die staunen macht – Grünewald hat kaum nachbessern müssen, wie gründliche Untersuchungen seiner Arbeiten gezeigt haben. Nicht unerwähnt soll schon deshalb sein, dass die Karlsruher Ausstellung gleich eine Dokumentation über die Arbeit der Restaurierungswerkstatt mitliefert.

 

So ist die Grünewald-Schau von Karlsruhe ein einziger Genuss, der am besten »mundet« vor Ansturm der zurecht neugierigen Menschenmengen. (Man beachte die erweiterten Öffnungszeiten.) Nur einen Wehmutstropfen muss man schlucken: Die genialste Schöpfung Grünewalds kann man allein in Colmar im Musée d\'Unterlinden ansehen – so viel Umweg muss sein.

 

 

 

 

Öffnungszeiten

Täglich 10–21 Uhr

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