Ausstellungsbesprechungen

Grünewald und seine Zeit, Eine Trilogie

Die große Landesausstellung in Baden-Württemberg mit ihren zwei Standorten in der Kunsthalle Karlsruhe (»Grünewald und seine Zeit«) und im Unterlinden-Museum in Colmar (»Blicke auf ein Meisterwerk«) gab den spektakulären Auftakt zu einem fast einjährigen Grünewald-Jubiläum von 2007 bis 2008. Im Anschluss daran folgt die dritte Grünewald-Ausstellung in Berlin.

Die noch erhaltenen 25 Grünewald-Gemälde und 36 Zeichnungen werden heute von keinem Museum mehr vorbehaltlos verliehen. Die Münchner Alte Pinakothek besitzt das Hauptwerk, die »Erasmus-Mauritius-Tafel«. Sie blieb für jede Ausleihanfrage taub. Colmar besitzt den noch viel größeren »Isenheimer Altar«, einen Wandelaltar mit zwölf übergroßen Tafeln. Beide Museen leihen diese Werke grundsätzlich nicht aus. Entscheiden sich heute Museen wie Karlsruhe, Colmar (Zeichnungen) und Berlin dennoch zu gegenseitiger Leihgeberschaft im Fall Grünewalds, dann nur unter besonderen Bedingungen. Berlin besitzt weltweit den Hauptbestand an Grünewald-Zeichnungen. So konnte mit Karlsruhe und Colmar und anderen europäischen Museen vereinbart werden, im direkten Anschluss ab 13. März (bis 1. Juni) erstmals fast alle (35 von 36) Zeichnungen an einem Ort zusammenzubringen. Die Ton-in-Ton Gemälde aus dem Heller-Altar werden ihnen zur Seite gestellt: im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen unter dem Titel »Matthias Grünewald. Zeichnungen und Gemälde«.

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In der Berliner Ausstellung stellt man sich wieder dem »Rätsel Grünewald«, allerdings von einer anderen Seite als in Aschaffenburg (Bayerische Landesausstellung 2003). Gemälde wie Colmar und Karlsruhe sie besitzen gibt es in Berlin nicht. Das Konzept muss von den vorhandenen Zeichnungen ausgehen. Auf diese wird die Kamera mit dem Teleobjektiv gerichtet. Jedes einzelne Blatt wird zum großen Kunstwerk, jedes Detail herangezoomt.  Diese Nahsicht trifft auch auf den wissenschaftlichen Bearbeitungsansatz zu. In Berlin sind von 36 weltweit erhaltenen Zeichnungen 35 ausgestellt. Bis auf eins, werden alle heute nachweisbaren Studienblätter aus deutschen und ausländischen Museen in Europa und in den USA erstmals an einem Ort zusammengebracht. Dazugestellt sind die Grisaille-Tafeln vom Heller-Altar aus Frankfurt am Main, welche die vier Heiligen Cyriakus, Laurentius, Elisabeth und eine andere moderne Heilige zeigen. Neben der musealen Präsentation dieser Seite des Grünewaldschen Werkes wird das Ergebnis langjähriger Forschungen vorgestellt. Die Zeichnungen des Malers sind einer Autopsie unterzogen worden. Dazu gehören die Materialbestimmung und die Klärung der Funktion jedes einzelnen Blattes als Entwurf zu Entwicklungsstadien der Gemälde. Vorgelegt wird der Catalogue raisonné der Zeichnungen.

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Heute erscheint uns Matthias Grünewald (1475/80 Würzburg – 1528 in Halle) als der charismatischste unter den Renaissance-Größen Albrecht Dürer, Hans Holbein und Lucas Cranach d. Ä. Das liegt an der ergreifenden, expressiven Erneuerungskraft seines Œuvres. Doch war das nicht immer so. Schon kurz nach seinem Tod vergessen, ist Mitte des 16. Jahrhunderts der untere Teil seines Grabsteins abgeschlagen und mit neuer Inschrift wieder verwendet worden. Grünewalds Neuentdeckung beginnt zögerlich Anfang des 19. Jahrhunderts und wird erst im 20. Jahrhundert zur Erfolgsgeschichte.

 

Ohne ernsthaften Blick auf Grünewalds Biografie kam die Karlsruher Ausstellung aus. Sie war eine rein kunsthistorische Ausstellung zum Œuvre und Umkreis Grünewalds. »Das Rätsel um Grünewald«, um dessen Lösung sich die Bayerische Landesausstellung im Jahr 2003 in Aschaffenburg bemüht hat, steht hier nicht zur Debatte. Sie wird an keinem Punkt erwähnt.– Dort brachte man u. a. Licht in das letzte Lebensjahr, in dem Grünewald Frankfurt a. M. fluchtartig verlassen hatte und nach Halle an der Saale übersiedelte. Auch wurde dort die Diskussion um Luthers Einflüsse auf den »Wasserkunstmacher« weitergeführt. Der Umgang mit den Quellen war in Aschaffenburg notwendig, weil man bis auf zwei Frankfurter Heller-Altar-Tafeln nur Zeichnungen, aber keine Original-Gemälde ausgeliehen bekam.

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Wegen der Vernachlässigung der Biografie konnte in Karlsruhe Grünewalds exorbitante Stellung unter den zeitgenössischen Künstlern nicht klar werden: Kein geringerer als Markgraf Albrecht von Brandenburg, der höchstrangige Fürst Bischof und Kanzler im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in dessen Händen der gesamte Schriftverkehr Kaiser Karl V. lag, ernennt Grünewald 1515/16 zum kurmainzischen Hofmaler. Des Malers Gehaltsforderungen werden direkt vom Domkapitel in Mainz beglichen. Mit Wappen und Siegel ausgestattet, war Grünewald sprichwörtlich aus dem Schneider, d.h. der Pflichten städtischer Zunftordnung enthoben, unter denen Dürer, Cranach, Veit Stoß u.a. vielfach stöhnten, weil sie nur nebenbei als Künstler tätig waren, ansonsten aber dem Handwerkerstand zugerechnet wurden. Die Erasmus-Mauritus-Tafel (München) und die zwei Tafeln des Tauberbischofsheimer Altars, »Kreuztragung« und »Beweinung Christi«, sind Auftragsarbeiten eines freien Künstlers. – Der Fall Grünewalds aus dieser Höhe war tief.

 

Von Astrologen wurde schon für das Jahr 1500 das Ende der Welt prophezeit, danach für 1524. Mit den Voraussagen war jedes Mal das »Jüngste Gericht« angekündigt. Der Umsturz traf bald ein: der Bauernkrieg mit 70.000 Toten, Luthers Reformation, der Bildersturm – die Urfesten der alten Welt waren erschüttert. Mit den Bauernunruhen um 1525 bricht die Krise auch in das Leben des 50jährigen Grünewald ein: Neun Städte unter Götz von Berlichingen schließen sich zusammen im Kampf gegen das Erzstift Mainz. Auch Grünewald war ein Gesinnungsgenosse. Kardinal Albrecht von Brandenburg strafte auf raffinierte Weise. Er ließ niemanden foltern, stattdessen zieht er je nach Strafmaß Teile oder das ganze Vermögen von Sympathisanten ein. 1526 gibt Grünewald den Dienst in Mainz auf. 1526/27 wohnt er beim Seidensticker Hans von Saarbrücken in Frankfurt am M., nachgewiesen als Seifensieder. 1527 geht er nach Halle als Brunnenbauer, ein Jahr später stirbt er.

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In Grünewalds Nachlass finden sich 27 Luther-Predigten. Wie Cranach d. Jüngere näherte er sich lutherischem Denken. Während Cranach seinen Stil änderte und damit ein Erfolgsproduzent wird, bleibt Grünewald altgläubig in seiner Kunstsprache. Er erhält keine Aufträge mehr. – Die volle Tragik Grünewalds ist noch nicht dargestellt worden.

 

Nun zu den Sensationen der Karlsruher Ausstellung. 

 

Zwei Hauptwerke Grünewalds werden hier seit dem 18. Jahrhundert erstmals wieder zusammengefügt. Erstens: die vom Jakob Heller-Altar aus Frankfurt a. M. noch vorhandenen »stainfarb« (Dürer) Bilder der vier Heiligen Cyriakus, Laurentius, Elisabeth und einer Unbekannten. Zweitens: der Tauberbischofsheimer Altar von 1523/25. Die ursprünglich Rücken an Rücken verbundenen Karlsruher Holztafeln mit »Der Kreuztragung« und »Der Beweinung« sind im 19. Jahrhundert voneinander getrennt worden. In der Ausstellung sind sie erstmalig wieder in der alten Aufstellung zu sehen.

 

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Der Heller-Altar

 

 

Handelskaufmann Jakob Heller (1460-1522) beauftragte Dürer mit der Marienkrönung (Verlust). Nach 1509 ergänzt Grünewald die Seitenflügel mit den vier Heiligen. Bestimmt waren die Tafeln für die Familiengrablege des Ratsherrn Heller und seiner kinderlosen Frau Katharina von Melem am Thomas-Altar in der Dominikanerkirche. Heller hat die besten Maler seiner Zeit, Dürer und Grünewald, für den Retabel und die Seitenflügel verpflichtet. Das weltanschauliche Glaubensverständnis seiner Zeit legte dem Wohlhabenden nahe, mit dem teuersten Einsatz bei Gott für sein Seelenheil zu bitten, d.h. auch, seine Seelenreinigung im Fegefeuer zu verkürzen. Denn nach altgläubiger Auffassung war das Seelenheil nur durch täglich erneuerte Gebete zu erlangen, niemals durch abgelegte Erinnerungen. Jakob Heller legte in seinen mehrfach aktualisierten Testamenten außerdem Stiftungen fest, mit denen er auf fünfhundert Jahre im Voraus - er kalkulierte also bis in das Jahr 1911 - das tägliche Gebet für sich und seine kinderlose Frau durch Dominikanermönche vorausbezahlt hatte. 1519 verfügt er: Brot an Hausarme zu verteilen, Tafelsilber und Schmuck für eine Wärmestube für Bedürftige zu verkaufen. Auch bezahlte Jakob Heller einen Pilger, der mit seinen Kleidern und doppelt besohlten Schuhen für ihn in der Kirche St. Laurentius in Rom beten sollte. Geöffnet zeigt der Wandelaltar die »Himmelfahrt und Krönung Mariens« mit der Signatur von Dürer: »Albertus Alemanus Faciebat Post Virginis Partum 1509«. In den zweizonigen Flügeln werden die Namenspatrone, die Heiligen Jakobus und Katharina, mit ihren Martyrien-Geschichten präsentiert. Viel kleiner als die heilige Personage treten in den unteren Feldern die Stifter selber auf: Jakob Heller und seine Frau Katharina. Der geschlossene Zustand führt die Krankenfürsorger vor, links die Heiligen Laurentius (oben) und Elisabeth (unten), rechts die Heiligen Cyriakus (oben) und unten eine anonyme Heilige der Gegenwart. Die Mitteltafel beherbergte die Kirchenältesten Petrus und Paulus, die ersten Anbeter des neugeborenen »Königs« Jesus, die Heiligen Drei Könige und den Namenspatron des Altars, Thomas von Aquin, sowie den Heiligen Christophorus.

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Die Heiligen in Graumalerei

 

Neben der Seelsorge stellt die Krankenpflege für Jakob Heller in Frankfurt a. M. die größte Herausforderung dar. Die Menschen fürchten das ansteckende Antoniusfeuer – im Isenheimer Altar ein großes Thema –, Lepra, Geisteskrankheiten wie Epilepsie und seit 1493 die Syphillis. Man verstand damals Krankheiten als Heimsuchung des sündhaften Menschen durch böse Geister. 

 

Für diese Krankenfürsorge sind dem Retabel des Thomas-Altars die heiligen Laurentius und Cyriakus, die neuzeitliche Heilige Elisabeth von Thüringen und eine Unbekannte zugeordnet. Die umrätselte unbekannte Heilige war möglicherweise ein Hinweis auf die Gegenwart. Auch in Zeiten drohenden Umsturzes ist der Ruf nach Menschen mit außergewöhnlichem Einsatz und Mut groß, denen die Heiligsprechung höchstmöglichen Lohn verspricht. Im Unterschied zu dem Heilsgeschehen, das im Heller-Altar in Dürers »Krönung Marias« eine farbige Ausführung erhielt, sind die Heiligen, die einer späteren Zeit zugehören, in schlichterer Graumalerei dargestellt. Als Nachfolger Christi gehören sie einer minderen Mitteilungsebene an. Stifter dürfen ihnen näher als dem Christusgeschehen stehen. Verkleinert dürfen sie sich zu ihren Füßen porträtieren lassen. Auf diese Weise bekennen sie sich zu ihnen als Vorbilder. 

 

Cyriakus befreite die Königstochter Artemia von Besessenheit. Nach ihrer Heilung ließ sie sich taufen. Auf seinem Buch steht die Exorzismusformel: »Durch die Autorität unseres Herrn Christus beschwöre ich dich (bösen Geist) durch diese drei Namen …des Vaters, des Sohnes und des Hl. G., Amen.« Um den Hals der Frau zu seinen Füßen, der knienden Besessenen, hat Cyriakus seine Stola fest geschlungenen und drückt mit dem Daumen kräftig gegen ihr Kinn. Damit verhinderte man den gefährlichen Zungenbiss bei epileptischen Anfällen. Als Schutzpatron und einer der 14 Nothelfer sorgte der so praktisch Handelnde für das Gelingen einer Krankenheilung und ebnete einen glaubensmäßigen Weg.

 

 

 

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Der Tauberbischofsheimer Altar

 

Der Tauberbischofsheimer Altar (Abb. 2 und 3) mit den zwei Tafeln der »Beweinung« und »Kreuztragung«, Spätwerk von 1523/24, gehört zu Grünewalds erschütternden Arbeiten, in denen das Leiden Jesu im Mittelpunkt steht. »Umb der sund willen […], hab ich yhn geschlagen« (Jesaia 53). Dieses Zitat setzt Grünewald in seiner »Kreuztragung« in den Architrav des Stadttors von Jerusalem, unter dem Jesus zusammengebrochen sein soll. Das Altarbild befindet sich mindestens seit dem 18. Jh. in der Tauberbischofsheimer Pfarrkirche St. Martin. Es ist 1883 gespalten worden. 1900 wurde es von der Karlsruher Kunsthalle gekauft.

  

Mit 160 Werken von 60 Leihgebern ermöglichte die Große Landesausstellung Karlsruhe eine Zusammenschau des einmaligen Werkes von Grünewald und anderer vergleichbar hochrangiger Künstler.

Grünewald wird heute kaum noch ausgeliehen. Daher geht die Kunsthalle Karlsruhe von ihrem eigenen Bestand aus. Das sind: eine Zeichnung mit dem gekreuzigten Christus aus markgräflich-badischem Besitz, zwei Tafeln, die Hans Thoma 1900 vom Tauberbischofsheimer Altar erworben hat. 1971 sind die Grisaillen des Heller-Altars aus der Frankfurter Dominikanerkirche gekauft worden. In der Ausstellung sind weitere 12 Leihgaben aus Aschaffenburg, Basel, Berlin, Coburg, Frankfurt a. M. und Oxford zu sehen. Das ist ein Viertel des Gesamtwerkes. Mit diesen Originalwerken von Grünewald sind 140 Gemälde und Graphiken der größten Renaissance-Künstler zusammengeführt worden, darunter Albrecht Dürer, Albrecht Altdorfer, Hans Burgkmair, Meister H.L.

 

 

 

Öffnungszeiten

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