Buchrezensionen

Günther Fischer: Leon Battista Alberti. Sein Leben und seine Architekturtheorie, WBG Darmstadt 2012

Leon Battista Alberti zählt zu den großen, prototypischen Universalgenies der Renaissance. Trotz einer Vielzahlt an Publikationen jedoch fehle, so Günther Fischer, bis heute ein konsistentes Bild von Leben und Werk dieser außerordentlich vielseitigen, freilich auch widersprüchlichen Persönlichkeit. Insbesondere vermisst er eine umfassende Auseinandersetzung mit seinen architekturtheoretischen Überlegungen. Er beließ es aber nicht beim Schimpfen, sondern löste das Problem selbst. Ulrike Schuster hat das Ergebnis gelesen.

Fischer ist ein profunder Kenner der Materie. Er lehrt Architekturtheorie an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Fachhochschule Erfurt. Erst vor wenigen Jahren publizierte er eine Neuübersetzung beziehungsweise einen ausführlichen Kommentar zu Vitruv. Alberti, der Vitruvs geistiger Nachfolger, Erbe, aber auch sein Überwinder war, bietet sich in diesem Zusammenhang fast folgerichtig als Fortsetzung an.

Battista Alberti (er sollte sich erst später Leon nennen), wurde 1404 in Genua als zweiter, illegitimer Sohn von Lorenzo di Benedetto Alberti und Bianca di Carlo Fiesci geboren. Die Albertis waren eine angesehene und wohlhabende Florentiner Kaufmannsdynastie. Doch der Vater starb früh, und der Onkel verweigerte ihm die Auszahlung des testamentarisch festgelegten Anteils am Erbe, der »Makel« der unehelichen Geburt diente als bequemer Vorwand dafür. Der junge Alberti studierte kanonisches und ziviles Recht an der Universität von Bologna. Er verwandte auf seine Studien die für damalige Verhältnisse außergewöhnlich lange Dauer von sieben Jahren und legte in dieser Zeit wohl den Grundstock für sein stupendes Allgemeinwissen.

Auch schrieb er sehr viel, und zwar in den unterschiedlichsten Wissensbereichen. Aus Albertis Feder stammen – neben seiner Autobiographie und den bekannten kunsttheoretischen Schriften – Übungen in Rhetorik, Elegien, Liebeslieder, auch ein anonym veröffentlichtes Theaterstück wird ihm zugeschrieben. Sein Schicksal war zunächst jedoch dasjenige eines brotlosen Akademikers: »Von tausend jungen Scholaren«, so klagte er, »erreichen nur dreihundert ihr 30. Lebensjahr [...] Nur hundert von diesen dreihundert hielten an ihren humanistischen Interessen fest, nur zehn von diesen brächten wirklich Interessantes zustande – und nur drei von diesen zehn gelangten zu Ruhm.« – Worte, die irgendwie zeitlos aktuell klingen.

1432, im Alter von 28 Jahren, erhielt er die Stelle eines Abbreviators an der päpstlichen Kurie in Rom. Er hatte damit ein leidliches Unterkommen in der Verwaltung gefunden. Doch es war nur eine untergeordnete Stellung, die er im Vatikan ausübte. Alberti war einer von vielen, ein kleines Rädchen im Getriebe. Fischer wendet sich gegen die vielfach kolportierte These, wonach Alberti ein bedeutender Berater im Rahmen der päpstlichen Bauprogramme gewesen wäre. Das »oft beschworene freundschaftliche Verhältnis zwischen Alberti und Nikolaus V.« verweist er entschieden ins Reich der Legende: Alberti trat in seinen römischen Jahren weder als Ratgeber noch als Baumeister in Erscheinung, auch nicht unter Ennea Silvio Piccolomini, Papst Pius II.

Dafür widmete er sich umso intensiver der Erforschung der antiken römischen Ruinen. Mit der Zeit erwarb er sich den Ruf eines profunden Kenners des Altertum, der überdies als Mathematiker und Ingenieur geschätzt und gefragt war. Er pflegte Freundschaften mit dem berühmten Kartographen Paolo dal Pozzo Toscanelli und dem Mathematiker Regiomontan. Im Jahr 1447 zog Kardial Colonna Alberti zu Rate, weil er sich für die Bergung zweier römischer Palastschiffe vom Grund des Nemisees interessierte (es handelte sich um jene berühmten Schiffe, die erst 1928 gehoben werden konnten und während des 2. Weltkrieges zerstört wurden).

Irgendwann, im Laufe der späten 1440er Jahre, entstand schließlich jene Schrift, die seinen Namen unsterblich machen sollte. Das Manuskript von »De re aedificatoria« hat Alberti zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht. Dabei hätte er durchaus dazu Gelegenheit gehabt! In seiner zweiten Lebenshälfte stellte sich, endlich, der langersehnte Erfolg ein. Alberti reüssierte als Architekt von bedeutenden Bauwerken, die heute als Inkunabeln der italienischen Renaissancearchitektur gelten. Paradoxerweise befinden sich Theorie und gebaute Praxis aber keineswegs in Deckungsgleiche: Alberti, der große Klassik-Fan, realisierte zeitgemäße moderne Bauten, indem er die antiken Vorbilder erheblich modifizierte. Wollte er seinen Traktat deshalb noch einmal überarbeiten, seine eigenen Gebäude mit einbeziehen? Doch dieses Geheimnis hat der Meister wohl ins Grab mitgenommen.

Den Text des Architekturtraktats unterzieht Fischer einer eingehenden Untersuchung. Er verweist auf die Übereinstimmung zum Vorbild Vitruvs, aber auch auf die Abgrenzungen, die Alberti an vielen Stellen vornahm. Ausführlich setzt er sich mit den berühmten Schlüsselbegriffen der Bautheorie auseinander, indem er auf den lateinischen Originaltext des Manuskripts zurückgreift. Bei dieser Gelegenheit übt er mehrmals Kritik an der bis heute gebräuchlichen, deutschen Alberti-Übersetzung. Diese kann gleichfalls schon auf ein respektables Alter zurückblicken, sie wurde 1912 vom Wiener Architekturprofessor Max Theuer veröffentlicht. Aus heutiger Sicht liefere sie undeutliche, manchmal sogar missverständliche Implikationen, so Fischer, und dieser Befund dürfte für die Alberti-Exegese nicht ohne Brisanz sein.

Doch letztlich geht es dem Autor um weit mehr als um Fragen nach der kunsthistorisch korrekten Auslegung. Er verweist vor allem auf »moderne Aspekte« bei Alberti: auf dessen visionäre Gedanken bezüglich der Rolle des Architekten, sein neues Bild der Stadt und vor allem auf seine originelle Auffassung von der Aufgliederung der Wand in horizontale und vertikale Trageelemente, diesbezüglich die Skelettbautechnik der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts vorwegnehmend.

Fischer erzählt die Geschichte von Alberti kompakt und kompetent. Gleichzeitig erbringt er den Nachweis, dass eine Auseinandersetzung mit dem Meisterwerk der klassisch-humanistischen Architekturtheorie weder überholt noch verstaubt noch vorgestrig ausfallen muss.

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