Ausstellungsbesprechungen, Meldungen zum Kunstgeschehen

Häutungen - Malerei und Zeichnungen von Bettina van Haaren, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 6. Juni 2010

Die Städtische Galerie Neunkirchen präsentiert in der Ausstellung rund 130 neue Arbeiten der 1961 in Krefeld geborenen Künstlerin Bettina van Haaren. Diese Werke charakterisieren? Schwierig! Sie sind ungewöhnlich ästhetisch, provokant, aufrichtig, nachdenklich stimmend und gestalten einen ungeschönten, kritischen Blick auf Welt, die – in den Bildern aufgefangen – nicht magischer sein könnte. Dabei verwandelt die Künstlerin banale Dinge, wie etwa Autoreifen, Waschbecken oder Tierpräparate in hoch komplexe Gebilde und entwickelt damit eine autonome, neue Wirklichkeit. »Ich vermeide Atmosphärisches und verbindende Schatten,« so sagt sie, »um nicht surrealistische Wirkungen zu erzeugen. Vielleicht sind meine Bilder vielmehr irreale Installationen in einem Raum, der bei mir weiße Leinwand ist. Das Weiß ist Energieraum.« Verena Paul hat für Sie diese fraglos beeindruckende Ausstellung besucht.

Beim Betreten des ersten Ausstellungsraumes im Parterre wird mir bei der Konfrontation mit dem großformatigen Gemälde »Lagunen«, auf das der Besucher unmittelbar trifft, schnell klar, dass es hier nicht um „Schönmalerei“ geht, sondern um echte, intensive Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, mit den Spuren, die das Alter ihm einschreibt, mit Schmerz, Verletzbarkeit und Daseinsbehauptung, wobei nicht selten jene ernste Wahrnehmung eine belebende, ironische Brechung erfährt. Zu sehen sind zwei in den weißen Bildraum hineinragende, braune Pferdehälse mit zum oberen Bildrand gerichteten Köpfen. Aus der Schulterpartie des oberen Tieres erwächst eine in Eitempera gearbeitete zweiköpfige Frau, deren Leib mit feinen Pinselstrichen mehr skizziert und »dinghaft-distanziert« erscheint, denn gemalt und körperlich anwesend, so van Haaren. Neben ihr zwei Unterschenkel, die plastisch ausgestaltet sind und die in einer eigenartigen Verbindung dem Körper angehören. Aus dem Unterleib erwächst der Frau ein Waschbecken, dessen Umrandung in Ölfarbe real wiedergegeben ist, wobei das Innere als weiße Fläche stehen bleibt, in der – wie auf allen weißen Flächen – sanfte Kohlespuren zu erkennen sind. Bettina van Haaren begründet diese stehen gelassenen Spuren, wie folgt: »Der lange Entstehungsprozess von häufig drei Monaten ausschließlicher Arbeit an einer Leinwand bleibt teilweise lesbar in den mit Kohle angedachten Lösungen. Zeit wird so spürbar, denn während des Malprozesses arbeite ich nicht Ideen ab, sondern zerstöre, nehme weg und probiere aus. Das endgültige Ergebnis bleibt Möglichkeitsform.« Wie bei durchlöcherten Skulpturen formulieren auch in van Haarens Werken die weißen, scheinbar ausgesparten Zonen Volumen und Raum, sind also keine Leerstellen, sondern erarbeiteter Raum, der Entwicklungen und Gedankengänge aufzeigt und damit der Figur in einem festen Geflecht Halt und Sicherheit gibt. Neben den Pferdeköpfen mit ihrem glänzenden Fell, das jeden einzelnen Muskelstrang umspielt, wirken auch die gehäkelten, nostalgieträchtigen Topflappen in Blau und das Deckchen in zartem Rot sowie die vertrockneten Farne augentäuschend echt, so dass ich – in kindlicher Faszination – versucht bin, die Echtheit mit den Fingern in Erfahrung zu bringen.

An der gegenüberliegenden Wand hat die wandfüllende Arbeit »Kuppel« Platz gefunden. Auch hier eine nackte Frau, deren Korpus – im Gegensatz zum restlichen Körper – mit einer real wirkenden Epidermis überzogen ist, die an der Oberfläche Pigment- und Leberflecke sowie eine Narbe aufweist und die so dünn ist, dass bläuliche Adern wie Lebenslinien erkennbar werden. Aus ihrem Unterleib ragen drei phallisch besetzte Ausstülpungen, die zum Bildzentrum weisen, in welchem sich auf einer grün glänzenden Folie, die das Organische verbildlicht, drei braune Schafe sowie zwei Autoreifen türmen. Die Reifen verleihen – gegenüber dem wirren, zotteligen Fell der Tiere – durch ihr gleichmäßig gerasterte Profil sowie die parallele Anordnung sowohl dem Bildgefüge als auch der Kuppel Stabilität. Dergestalt entwickelt Bettina van Haaren auf ihren Leinwänden Räume aus Figur-Ding-Bezügen. Ausgangspunkte sind innere Wirklichkeiten und die direkte sinnliche Wahrnehmung von Welt. Gerade in diesen Selbstbildnissen arbeitet die Malerin gegen das „Sich-Verlieren“ an.

Über die Treppe gelange ich – vorbei an der Arbeit »Ophelia«, die etagerenartig mehrere Waschbecken und Frauenleib zeigt – zu den 56 Zeichnungen, die in den Jahren 2001 bis 2009 entstanden sind. In diesen kleinteiligen, formreduzierten Arbeiten auf Papier konzentriert sich Bettina van Haaren auf Linien und spart, wie in ihrer Malerei auch, jegliche Schattierungen aus. Uns begegnen Körper, die sich in Spiralen auflösen, die mit den Dornen eines Feigenkaktuses gemartert sind, Körper mit phallischen Ausstülpungen, die ihn leer zu saugen drohen, Körper mit netzartigen Strukturen, überzogen von Flechten und Pilzen oder Körper, die in geometrische Ordnungsgefüge übergehen. Die ganz großen Themen auch hier: Verletzlichkeit, Artikulation von Emotionen, Verwandlung, Neudefinierung und -erkennung des Leibes.

Um eine Ecke herum betrete ich den nächsten Raum, wo mir 26 Aquarelle sowie mehrere mittelgroße Gemälde begegnen, die neben dem Tastsinn zugleich durch unglaublich einfühlsame und wirklichkeitsnahe Darstellung – etwa von Orangenschalen – den Geschmacks- und Geruchssinn animieren. Bilde ich mir da bei der Betrachtung etwas ein oder sendet das Gehirn automatisch beim Erblicken der Fruchtteile dessen Geruchs- und Geschmackscodes weiter? Ich jedenfalls rieche die Orangen, rieche ihr süß-säuerliches Aroma, das sich beim Schälen entfaltet. Jenen Duft nehme ich ähnlich in meiner Nase auf, wie ich die Speck- beziehungsweise Pflaumenpfannenkuchen in den beiden Gemälden »Zerfall, warm« und »Golfen« im Erdgeschoss gerochen habe. Gegenüber der „multisensualistischen“ Malerei konzentrieren sich die Aquarelle inhaltlich auf Körperteile wie Füße, den weiblichen Oberkörper und immer wieder den Kopf, der sich sowohl aus Löffeln, spiralförmigen Gebilden, Architekturteilen, Zuckerwaffeln oder gar kleinen menschlichen Gestalten zusammensetzt. Obwohl van Haaren auch in ihren Aquarellen durch Lebensmittel oder Essbesteck die Sinne anspricht, bleibt die Wirkung – möglicherweise aufgrund der Technik – gegenüber jener in der Malerei verhalten.

Abermals über die Treppe führt mich der Weg schließlich ins zweite Obergeschoss, indem sich die großen Formate gegenüber der eigendynamischen Architektur mit ihren weißen Balken und den Dachschrägen behaupten. Hier wirken die Werke Bettina van Haarens noch intensiver mit ihren voluminösen Weißflächen, der klaren, konzentrierten Linienführung sowie der Fokussierung auf den menschlichen Körper, der in seiner Verletzlichkeit und Sanftheit der bisweilen steril und kalt anmutenden Dingwelt ausgeliefert ist, mit der er verschmilzt. »Zu den Figuren, den Eigenbildern, male ich mimetisch genau oder andeutungsweise beschriebene Dinge, ob als Tier, Gegenstand oder Naturstück. Sie bilden«, wie Bettina van Haaren betont, »keine Kulisse und sind von der Figur nicht klar abgegrenzt. Eher bieten sie mir die Möglichkeit, mich über die Beziehung zu den Dingen wahrzunehmen. Es entstehen unsichtbare Strukturen und Rhythmen aus Dingen und Menschen, so nah verbunden, dass ich von Geweben sprechen könnte. Die Dinge […] werden einverleibt oder bieten Widerstand.« Widerstand leistet beispielsweise ein kopfüber ins Bild ragendes, an das „Fallada“-Märchen gemahnendes Pferd, in dessen Hals eine Frau mit ihren beiden Fäusten boxt oder die Kirschen, die in einer anderen Arbeit aus dem Mund der Frau fallen oder jene ornamental verzierten und spiegelnden Vasen, die zu Grenzgängern zwischen Widerstand und Einverleibung werden, indem sie einerseits zwischen Birkenstämme gespannt sind und andererseits ihre Umgebung, wie etwa das Künstleratelier, reflektierend in sich aufnehmen. Einverleibung äußert sich dagegen in der Inkorporation des Pferdepräparats im Frauenleib oder den sexuell konnotierten Ausstülpungen, die das weibliche Körpergefühl neu ausloten.

Immer wieder überrascht Bettina van Haaren mit irritierenden Beziehungsgefügen im Bild, indem sie Versatzstücke unseres Alltags isoliert, verwandelt, neu definiert und mit dem eigenen Körper in Dialog treten lässt. In ihren Werken schöpft die Malerin aus der eingehenden Beobachtung des sie umgebenden Geschehens. Ihre Aufmerksamkeit ist jedoch nicht nur auf das große Ganze, sondern auch und vor allem auf Details, jene oft übersehenen Marginalitäten gerichtet, deren Bedeutung es im künstlerischen Schaffensprozess sichtbar zu machen gilt. Das bisweilen Obszöne, Provokante der Bilder scheint gegen eine an Schönheitswahn und Oberflächlichkeit krankende Gesellschaft zu protestieren, deren engstirnige Werbeboten täglich körperliche Makellosigkeit und ewige Jugend propagieren und das nicht ins Schema sich Einfügende als Störfaktoren radikal ausmerzen.

Fazit: Die hier gezeigten Werke Bettina van Haarens sind sowohl brutal ehrlich, unerbittlich provokant, weltenhaltig als auch einfühlsam, bisweilen geheimnisvoll und märchenhaft verrätselt und nicht zuletzt zeugen sie von einer altmeisterlichen Könnerschaft, mit der ein ästhetisch hohes Niveau erlangt wird. Für mich eine der eindringlichsten und im wahrsten Sinne des Wortes am meisten „unter die Haut gehenden“ Präsentationen der Städtischen Galerie Neunkirchen der vergangenen Jahre, der ich viele Besucher wünsche!

Weitere Informationen

Zur Ausstellung ist ein 104-seitiger Katalog der DASA Dortmund, der Städtischen Galerie Neunkirchen und der Saarländischen Galerie – Europäisches Kunstforum e.V. Berlin im Kerber Verlag, Bielefeld erschienen. Neben qualitativ hochwertigen Abbildungen überzeugt die Publikation durch Informationsmaterial zur Künstlerin sowie drei spannend zu lesenden Essays in deutscher und englischer Sprache. Während Bernhard Waldenfels sich mit »Körperwanderungen im Bild« der Fragmentierung, der Verschmelzung von Körpern und Dingen, der haptischen Sogwirkung oder der Bildorganisation widmet und dabei die von der Künstlerin selbst betonten Entsprechungen im Werk Maurice Merleau-Pontys einfließen lässt, setzen sich Philipp Horst und Marcus Starzinger in »Bettina van Haaren: Häutungen/Malerei und Zeichnung« mit Traditionslinien der Künstlerin sowie dem Spannungsverhältnis von Wirklichkeitssuche und Geheimnisbewahrung auseinander. Michael Freitag schließlich nimmt in »Das Tilgen oder über das gemalte Ding, das sich verneint« eine eingehende, sprachlich außerordentlich gelungene Analyse des Gemäldes »Kuppel« vor. Ein Katalogwerk, das ich in meinem Bücherregal nicht mehr missen möchte und deshalb allen an Gegenwartskunst Interessierten empfehlen kann!

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