Ausstellungsbesprechungen

Halb Ready, halb made - Die Jenaer Kunstsammlung zeigt Werke des Künstlers Moritz Götze

In den Räumlichkeiten der Kunstsammlung Jena setzt sich der Hallenser Moritz Götze bis zum 2. August 2015 mit den romantischen Liedern Clemens Brentanos und Achims von Arnim auseinander. Bild, Text und Musik verbinden sich zu einer Einheit in der Schau »Des Knaben Wunderhorn«. Luise Schendel hat sich das angeschaut.

Verknickte Dosen und Zubehörteile für Modelleisenbahnen – Moritz Götze sammelt. Und er sammelt viel. Über Jahrzehnte türmten sich in seiner Wohnung, in seinem Atelier zahllose Fragmente des alltäglichen Lebens auf. Jedes Element entnimmt er seiner ursprünglichen Zuordnung, spaltet durch den Prozess der Kollektivierung seine Bedeutung auf und schließlich ab, entsammelt die Welt um sich herum, um sie nachhaltig neu zu sortieren und ihre Facetten zu einer neuen Ordnung zu bringen.

Das ist nicht neu. Bereits Marcel Duchamp verblüffte mit seinen Ready Mades die Kunstwelt des 20. Jahrhunderts und gerade in den vergangenen zehn Jahren zeigt sich unter Nachwuchskünstlern immer wieder die Tendenz, die gewohnte Welt anhand kleiner Alltags-Artefakte neu zu ordnen. Diese kleinen Museen der Gegenwartskultur speisen sich nicht selten aus dem Versuch, Konstanten in der sonst schnelllebigen und konsumorientierten Wegwerfgesellschaft zu schaffen. Auch in Jena stellt sich dieser Eindruck sehr schnell ein. Auch, wenn sich mit Moritz Götze ein Großer der zeitgenössischen Kunst die Ehre gibt. Einer mit einem eigenen, non-konformen Kopf. Einer mit Vergangenheit, der verschiedene Gesellschaften erlebte, sich immer wieder neu positionierte.

Götze, der Künstler und Ex-Sänger der Punkband »Größenwahn«, der sein Lehrgeld in der DDR-Zeit zahlen musste, der dennoch »so lebte, als habe es diese Zeit nie gegeben«, der über die Zeit von vor 25 Jahren kaum noch spricht, und wenn, dann in einem launigen Ton, der kaum zu den Vorgaben des ehemaligen SED-Regimes zu passen scheint – er ist heute sein eigener Herr. Als Herrscher über das bewusst geschaffene künstlerische Chaos kreiert er bis zum 2. August in der Jenaer Kunstsammlung unter dem Ausstellungstitel »Des Knaben Wunderhorn« ein prismatisches Mikro-Universum, das sich weniger als Gesamtkonzept, als vielmehr als Ersatzteillager für kreative Ideen erweist. Jede Schraube hat eine Bedeutung und doch keine, jede Email-Arbeit wird aus einem intuitiven, klugen Selbstverständnis heraus geschaffen, das sich dem Betrachter nur mühsam erschließt.

Wenn sich seine Mädchenfiguren lust- und freudvoll an den Betrachter wenden und gleichzeitig ein quietschbuntes Eigenleben führen, hat dies natürlich einen unbestreitbar ästhetischen Wert. Wenn Johann Wolfgang von Goethe von einer Arbeit auf den Rezipienten hinunterblickt, vergesellschaftet mit Papierzetteln und technischen Errungenschaften der Moderne, und wenn allseits bekannte Kultur-Giganten wie Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und Johann Gottlieb Fichte sich ein unfreiwilliges Stelldichein in der bunten Sammellandschaft des gebürtigen Hallensers geben, dann gesellt sich auch eine dezidiert inhaltliche Konnotation in den avantgardistischen Vielklang aus gebrochenen Harmonien und schrillen Untertönen, wie ihn die Musikindustrie der Nachkriegsmoderne so liebte.

Auch, wenn diese Rezeption der Vergangenheit sich vielmehr auf das Gesehene besinnt, darf natürlich eine große Arbeit, in der verschiedene Musikrichtungen für einen disparaten romantischen Kanon gemixt werden, nicht fehlen. Das weckt die Neugier, das lässt den Besucher der Schau zum Sammler von Eindrücken werden. Eindrücke, wie Götze selbst sie in dem fast vergessenen »Bermudadreieck« zwischen Eisleben, Mansfeld und Sangerhausen aufspürt. Dort, wo das Leben beinahe zum Erliegen gekommen ist, wo die Zeugnisse der Vergangenheit verstauben, um nur wenig Inspiration für die Zukunft zu bringen, dort findet der Künstler seine entscheidenden Impressionen der zeitgenössischen Sub-Kultur.

Das »Wunderhorn« ist indes eine romantische Erfindung von Clemens Brentano und Achim von Arnim, die seit dem vergangenen Jahr von Götze für die Jenaer Schau vollkommen neu aufgearbeitet wird. Künstlerisch, versteht sich, und ebenso poetisch wie verschlüsselt. Die Kunstwerke verlangen nach Vorkenntnissen, nach einem umfangreichen bildungsbürgerlichen Wissen, wie es heute kaum noch zu finden ist. Dies erleichtert die Rezeption des Gesehenen nicht. Eine eingängigere Möglichkeit zur Konsumierung romantischer Bildinhalte liefert erst die Ausstellung »Das Unendliche im Endlichen«, die sich in der Jenaer Kunstsammlung ab 30. August den spannungsgeladenen Dialogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart widmet.

Vielleicht hätte Götzes privates Welttheater eine größere Wirkkraft auf den Rezipienten entfaltet, wäre es in der Folge der Großausstellung gezeigt worden. So bleibt in Jena vorerst nur der Genuss einer schönen, fremden Welt, die beim besten Willen zu romantisch für die Gegenwart und zu plakativ für die Kunst des 19. Jahrhunderts geraten ist. Man könnte meinen, das wäre Absicht.

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