Ausstellungsbesprechungen

Hannah Höch, Aller Anfang ist DADA!

»Und immer mehr Zeit – und doch keine Zeiger auf Zeit«, so lautete einer von Hannah Höchs (1889–1978) Haussprüchen. Er stammt von Hans Arp und ist Teil einer Bild-/Text-Montage der Künstlerin von 1922, wo sich zudem Aussagen von Baader, Friedlaender, Hausmann (»Gefährlich ist nur eine unentschiedene Meinung«), Huelsenbeck gleich doppelt und dreifach, Nietzsche, Schwitters und Serner befinden.

Von diesen Fast- und Oberdadas weiß die Rezeptionsgeschichte unheimlich viel Monographisches zu berichten. Aber wenn von Hannah Höch die Rede ist, wird sie trotz wachsender Bekanntheit zumeist als Eine von Vielen genannt. In Ausstellungen wird sie gerne beteiligt unter ferner liefen – aber eine Einzelschau von den Ausmaßen dieser von Berlin übernommenen und für Basel erweiterten Schau ist doch ein überfälliger Erfolg der Künstlerin, die selbstbewusst noch die quasimännlichen Domänen zu besetzen wusste – wenn man denn Theorie und handwerklichen Anspruch dort ansiedeln würde. »Wir nannten die Technik Fotomontage«, so meinte Höch rückblickend, »weil dies unsere Aversion enthielt, den Künstler zu spielen. Wir betrachteten uns irgendwie als Ingenieure, wir gaben vor, zu konstruieren, unsere Arbeit zu montieren (wie ein Schlosser)«. Hier wird deutlich, dass die einzige (eingetragene) Frau in der Berliner Dada-Gruppe einen beachtlichen, selbständigen Beitrag zur Geschichte der anarchischen Bewegung des organisierten Gegen-Sinns geleistet hat und darüber hinaus eine Brücke von Dada zu Tinguelys Maschinenwelt einerseits und zur Pop-Artistik andrerseits schuf – was die meisten ihrer Kollegen kaum annähernd hinbrachten. 

Mit ihren mitunter auffallend farbigen Collagen ragte Höch sogar als eine Art bunter Vogel aus der Menge jener Gruppe hervor. Im Gegensatz zu vielen ihrer Dada-Kollegen schuf die unermüdliche Künstlerin auch ein phantastisches, ideensprühendes Spätwerk, das seinesgleichen suchte. Kurzum: Hannah Höch steht in der Damenriege ihrer Zeit neben Sonja Delaunay (Paris – hier weniger bekannt Gabriele Buffet und Suzanne Duchamp), Emmy Hennings und Sophie Taeuber-Arp (beide Zürich), und noch vor Angelika Hoerle (Köln) oder Käthe Steinitz (Hannover).

Zu den vielen neuen Techniken, die der Dadaismus gerade der Kunst bescherte – bei aller sonstigen Verweigerung auch ihr gegenüber –, gehörte auch die Fotomontage, die Hannah Höch wohl zusammen mit Raoul Hausmann wenn nicht erfand, so doch perfektionierte. Dabei blieb Höch immer etwas poetischer, sensibler, später auch entschieden ästhetischer als ihr (verheirateter) Lebensgefährte und selbsternannter »Dadasoph«. Davon zeugen die über 160 Arbeiten, die nur noch kurze Zeit im Basler Tinguely-Museum zu sehen sind. Es wird hier freilich auch deutlich, dass Höchs künstlerisches Spektrum ebenso die klassischen Techniken wie Aquarell und Malerei, Druckgrafik und Zeichnung umfasste. Als Redakteurin einer Handarbeitszeitschrift befasste sie sich auch mit der Stickerei, eine Karriere als Bühnenbildnerin verlief wohl nur durch Zufall im Sande (ein Schwitters-Stück, für das sie arbeitete, kam nicht zur Aufführung). »Ich habe alles gemacht«, schrieb sie, aber »emotionale Hemmungen sind mit der Fotomontage leichter zu überwinden«. Die Fülle der Exponate vermittelt auch den Bruch im Schaffen der Künstlerin um das Jahr 1922, als die nie einfache Beziehung zu Hausmann gescheitert und der »heimische« Club Dada aufgelöst war. Aber »aller Anfang ist Dada« (Höch), und so blieb sie ihm gewissermaßen aus Glaubensgründen auch später im Wandel treu, selbst als sie bekannte, Dada hinge ihr »zum Halse raus«. An anderer Stelle hieß es sehr viel versöhnlicher: »Ich würde heute die Welt aus der Sicht einer Ameise wiedergeben und morgen so, wie der Mond sie vielleicht sieht.«

Politisch blieb sie bis zuletzt, die Rolle der Frau in der Gesellschaft hatte sie als bestimmendes Thema ins Visier genommen – in einer Zeit, als die Männer sich im Krieg totschießen lassen mussten, hatten die Frauen ohnehin ihren Mann zu stehen. Zunächst nahm sie kritisch und frech Stellung, ließ die Frauen in Seidenstrümpfen posieren, während sie Friedrich Ebert in lustvoller Scherenarbeit Badehosen verpasste, konfrontierte in anderen Collagen Asta Nielsen (als Hamlet!) mit Mussolini usw. Im Spätwerk entwickelte sie dann eine hinreißende weibliche Handschrift von außerordentlich poetischer Größe, die sich zuweilen jenseits aller Geschlechterunterschiede in einer Paul-Klee-haften Phantasiewelt einrichtete – wie in dem schönen Bild von 1969, »Den Männern gewidmet, die den Mond eroberten« (es war der Zeit geschuldet, dass es eben nicht die Frauen waren). Nicht ausgespart wird in der Ausstellung auch die düstere Seite ihrer Kunst, die zumal unter dem patriarchalen Gebaren Hausmanns und am Vorabend des Naziterrors pessimistische Züge annehmen konnte. Vielleicht war es da eine Art Flucht, dass in Höchs Œuvre auch exotische, völkerkundlich interessante Arbeiten von Maskeraden bis hin zu Götzenpuppen auftauchen, die lange unentdeckt blieben.

Das Werk Hannah Höchs umspannt eine Vielfalt von schönstem Dadaismus bis hin zu einem grotesken Surrealismus, von der Ironie bis hin zur Melancholie, das sich ganz eigenständig entfaltete, mit der größten Nähe zu Kurt Schwitters, der die geborene Anna Therese Johanne, kurz Hanna Höch übrigens zu dem zweiten, nein vierten »h« im Namen überredete – vielleicht in behauchter Verlängerung seiner künstlich-künstlerischen Muse ANNA. Höchs Signatur »HH« bekam so auch eine zusätzliche, neben der formalen eine fast intim-verborgene Note. Wer sich über die Ausstellung hinaus mit diesem reichhaltigen Werk auseinandersetzen will, dem sei dringend der vorzügliche Katalog an Herz gelegt.

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 11–19 Uhr

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