Buchrezensionen

Hans–Ulrich Thamer: Kunst sammeln – Eine Geschichte von Leidenschaft und Macht, Philipp von Zabern 2015

Was verbindet prüde Kirchenfürsten, mächtige Herrscher, reiche Bankiers und strebsame Industrielle? Richtig, die Kunst und das Sammeln von Kunstwerken! Die Geschichte dieser Leidenschaft schreibt nun Hans-Ulrich Thamer. Andreas Maurer hat sich in sein Buch vertieft.

Es gab sie zu allen Zeiten: Passionierte KunstsammlerInnen. Angetrieben durch Frömmigkeit, Machtstreben und Besitzerstolz häuften sie bestimmte Gegenstände und künstlerische Hervorbringungen an, die ihnen sammlungswürdig erschienen. Mal, weil sie mit den Objekten eine spezifische Erinnerung oder Wertschätzung verband, ein anderes Mal, weil sie den jeweiligen Exponaten eine besondere Bedeutung zuerkannten. Die Vereinsmitglieder der Darmstädter WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) ermöglichten nun die Herausgabe eines Sachbuches, welches einen umfassenden Überblick zur Kulturgeschichte dieser Leidenschaft gibt. Beginnend mit dem Mittelalter bis hin zur Gegenwart sucht Autor Prof. Dr. em. Hans–Ulrich Thamer nach den verschiedenen Motiven der SammlerInnen, ihren ästhetischen Präferenzen und der Bedeutung des Sammelns für das kulturelle Leben. Denn an dem Schicksal vieler Sammlungen lassen sich nicht nur die Biografie, die soziale Einbindung und Stellung einer Sammlerin/eines Sammlers ablesen, sondern eventuell auch ihr/sein Scheitern und ihre/seine Verluste an Eigentum und persönlicher Existenzgrundlage.

Von den frühen kirchlichen und dynastischen Sammlungen bis hin zur aktuellen Expansion des Kunstmarktes gewährt der Autor zudem Einblicke hinter die verschlossenen Türen der barocken Kunst– und Wunderkammern, Kuriositätenkabinette und der Studiolos (die Studierstuben italienischer Fürsten und Gelehrter), welche zu Beginn noch im klerikalen oder fürstlichen Besitz waren, und schließlich langsam von den Sammlungstätigkeiten des neuen aufstrebenden Bürgertums abgelöst wurden und in vielen Fällen später als Grundbaustein eines Museums endeten. Große staatliche, meist im 19. Jahrhundert gegründete Institutionen verdanken noch heute wichtige Bestände ihres Inventars privaten Sammlungen, die sie als Geschenk erhielten oder ankauften. Im 20. Jahrhundert traten die PrivatsammlerInnen der Moderne aber schließlich vollends an die Stelle der staatlichen Einrichtungen, anfangs als Ergänzung, später als Konkurrenten und dominante Figuren des Kunstbetriebes, die ihre eigenen Museen errichteten und damit ihre Autonomie bzw. Unabhängigkeit von der Kulturpolitik des Staates demonstrierten.

Die Qualität oder die Linie einer Sammlung hängt aber immer vom Individuum ab, und der Lust sowie des Glückserlebnisses beim Erwerb eines Objektes, das eng mit der Jagd verbunden ist. Einer Empfindung, die wohl nur von echten SammlerInnen verstanden werden kann.
Neben einigen Agenten, Kritikern und Kuratoren werden deshalb in dieser Publikation natürlich auch zahlreiche beispielgebende SammlerInnen selbst vorgestellt, darunter etwa Paulus Praun, Friedrich der Große, Katharina die Große, Pierre Crozat, Graf Adolf Friedrich von Schack, Alfred Flechtheim, Gertrude Stein oder das Ehepaar Ludwig. Andere wichtige Persönlichkeiten wie etwa der berühmte römische Kardinal Scipione Borghese (der schon Gianlorenzo Bernini zu seinem Ruhm verhalf), Peggy Guggenheim, Charles Saatchi oder die vor einigen Jahren versteigerte und durch alle Medien gehende private Sammlung des Modeschöpfers Yves Saint Laurent und seines Lebensgefährten Pierre Bergè finden in diesen Seiten aber leider keine Erwähnung.

Der Autor und Historiker lehrt an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Neueste Geschichte und beschäftigt sich im Zuge dessen u.a. intensiv mit dem Nationalsozialismus und dem europäischen Faschismus und so ist ein Kapitel dieses Sachbuches natürlich auch der Verfolgung der Moderne und dem Schicksal vieler jüdischer Sammlungen gewidmet.
Auf sehr gut beschriebenen Wegen folgt man als LeserIn den Spuren vieler Sammlungen, die oft zuerst als private Bereicherung begannen, bevor sie später in einem für die breite Öffentlichkeit bestimmten Museum endeten, wo sie bis heute ihren Nachklang erleben.

Kunst zu sammeln ist aber vor allem eine Leidenschaft, wie es auch im Untertitel erwähnt wird, jene ist im Text aber leider nur sehr subtil wahrzunehmen. Die Mengen der Kunstkammerobjekte oder Sammlungen werden zwar sehr akkurat aufgelistet, lassen aber den Verdacht aufkeimen, dass hier mehr die Suche nach Quantität, denn Qualität im Vordergrund stand. Zwar lässt der Autor mittels Zitat auch SammlerInnen selbst zu Wort kommen, aber der/dem interessierten Leserin/Leser hätten hier genauere Querverweise oder Fußnoten sicherlich weitergeholfen, zumal es sich auch um eine wissenschaftliche Publikation handelt.
Die zum großen Teil älteren Fotografien lassen durch ihre durchwegs in schwarzweiß gehaltene Farbgebung bei erwähnten Werken aus Sammlungen oder Kunstkammern weder eine spezielle Aura spüren, noch geben sie den ästhetischen Glanz oder die Qualität der einzelnen Objekte wider.

Für jene, die sich weniger für die persönlichen Hintergründe der SammlerInnen und mehr für die Geschichte und die Entstehung von Sammlungen und deren kunst- und kulturhistorische Verknüpfungen interessieren ist dieses Buch aber eine spannende Lektüre, zumal der Autor auch zeigt was das Sammeln wirklich bedeutet: Nämlich Zerstreutes zusammenzutragen, es zu bewahren, zu ordnen und anzuschauen – ein Grundzug des menschlichen Verhaltens, den schon Sigmund Freud als »Bemächtigungstrieb« in seinen Werken verewigte, und den echte SammlerInnen bis heute beim Betrachten ihrer Kunstwerke verspüren und sich daran laben.

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