Buchrezensionen, Rezensionen

Hans-Joachim Müller: Erich Heckel. Der stille Expressionist. Über Leben und Kunst, Verlag der Stadt Villingen-Schwenningen 2009 und Magdalena M. Moeller u.a. (Hg.): Erich Heckel. Aufbruch und Tradition. Eine Retrospektive, Hirmer 2010

Vor 40 Jahren, am 27. Januar 1970, starb der Maler Erich Heckel in Radolfzell am Bodensee. Das ist weit weg von seinem sächsischen Geburtsort Döbeln, auch weit weg von den Orten, die ihn berühmt gemacht hatten, Dresden und Berlin. Aber auch innerlich hatte sich der große Expressionist weit von dieser Zeit entfernt. Unser Autor Walter Kayser hat sich mit zwei Publikationen über den "stillen Revolutionär" beschäftigt.

Der »junge Wilde« und das Frühwerk des Brücke-Malers Erich Heckel sind sattsam bekannt und haben einen unbestrittenen Platz in der Geschichte des Aufbruchs zu dem, was wir heute klassische Moderne nennen. Aber was ist mit den Jahrzehnten danach? Der »ganze« Heckel wurde lange nicht in Betracht gezogen, vielleicht nicht einmal in den großen Ausstellungen in Essen und München anlässlich des 100. Geburtstags im Jahre 1983. Aber auch das ist lange her. Betrachtet man die Fotoportraits, die ihn später, vor allem nach dem 2. Weltkrieg zeigen, so meint man einen Zen-Mönch vor sich zu haben, der das Satori erreicht hat: ein ernster, kahlköpfiger, ziemlich ausgemergelter, schmallippiger, hagererer Vogelkopf schaut uns da aus tief liegenden Augen an, ein zerfurchtes Gesicht, aus dem Askese, Sensibilität und Vergeistigung spricht. Das ist nicht mehr der vom revolutionären Élan vital getriebene, malende Student der technischen Fachhochschule, der mit grellen Farben und wuchtigen Pinselstrichen zu denen gehört, die »unmittelbar und unverfälscht das wiedergeben, was zum Schaffen drängt« ( so das Gründungsprogramm der »Brücke« vom 7. Juni 1905). Ein Romantiker mit melancholischer Grundhaltung ist aus Heckel geworden, der sich, bedeutungsschwer und manchmal auch hart am Kitsch, mit Vorliebe in der Maske des ernsten Clowns portraitierte.

Dabei war Erich Heckel zunächst eindeutig der Kopf der Gruppe. Als »sehr ernsten Visionär« beschrieb ihn schon der Dichter Theodor Däubler. Aber nicht erst im Alter war es still um diesen stillen Expressionisten geworden. Und nicht nur die Katastrophe des 20. Jahrhunderts hatte in besonders hart getroffen: »entartet«, »ausgebombt« und dann »wie aus der Zeit gefallen« - so könnte man es mit wenigen Stichworten umreißen. Es ist wahr: Kaum einen anderen Maler hatte die Barbarei der Nazis so brutal »auszumerzen« versucht. Mit 729 in deutschen Museen beschlagnahmten Arbeiten traf ihn die faschistische Säuberungswut gegen alles, was nicht dem »gesunden Volksempfinden« entsprach, besonders hart. Und was erhalten blieb und nicht einem Autodafé im Hof der Berliner Feuerwache 1939 zum Opfer fiel, verbrannte am 30. Januar 1944, als Bomben das Berliner Atelier in der Emser Straße 21 restlos zerstörten.

Anlässlich seines 40. Todestages sind in diesen Wochen zwei Bücher erschienen, die das Gesamtwerk ins Auge fassen. Beiden ist gemein, dass sie das künstlerische Werk der Nach-»Brücke«-Jahrzehnte, also nach 1913, besonders beleuchten und Ausstellungen begleiten.
Da ist einmal Hans-Joachim Müllers kleines Paperbackbändchen mit dem schlichten Titel »Erich Heckel. Der stille Expressionist . Über Leben und Kunst«. Es ist das knappe Resümee dieses Malerlebens, und das Augenmerk wird vor allem auf die Frage gelegt, wie es Heckel nach dem 2. Weltkrieg in den Südwesten Deutschlands verschlagen hat. Mehr als 120 Aquarelle und Lithographien vor allem aus den späten Jahren sind in der Städtischen Galerie Schwenningen zu sehen. Zur Abgelegenheit der südlichen Region am Bodensee, die ja auch Otto Dix suchte, kam bei Heckel die Abneigung gegen die Großstadt und die Suche nach der intakten Natur hinzu. Die Kontakte zu einem Gönner wie Walter Kaesbach, dem Sammler, mäzenatischen Freund und ehemaligen Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, der sich nach seiner Amtsenthebung 1933 auf die Halbinsel Höri unmittelbar an die Schweizer Grenze zurückgezogen hatte, und seine ganz konkreten Hilfestellungen bei der Bewältigung des Alltags waren hierbei wohl entscheidend.
Verschiedene Maler und Kunstsinnige gründeten in jenem Arkadien am Untersee eine Künstlerkolonie, wo sich schon um 1900 der junge Hermann Hesse familiär niedergelassen hatte. Sie suchten dabei aber wohl eher die Einsamkeit als Geborgenheit in der Gruppe. Noch bevor Heckel 1949 mit der Berufung an die Karlsruher Kunstakademie so etwas wie eine späte Würdigung zuteil wurde, fand er durch den persönlichen Einsatz des musisch interessierten Arztes Lovis Gremliza in Schwennigen erste Ausstellungsmöglichkeiten. Was den Künstler einst berühmt gemacht hat, das Furioso an Spontaneität und wilder Eruptivität, das ist in den Jahrzehnten am Bodensee nur noch ein fernes Echo und in einem klassizistischen Bemühen geglättet.

Zum andern und ungleich gewichtiger ist der bei Hirmer als Monographie zum malerischen Werk konzipierte Sammelband »Erich Heckel. Aufbruch und Tradition«. Die von der Direktorin des Berliner Brücke-Museums herausgegebene Sammlung von einem guten Dutzend Aufsätzen beschäftigt sich mit unterschiedlichsten Aspekten, welche neben dem Frühwerk von Bedeutung sind. Den Forschungsbeiträgen folgen eine repräsentative Auswahl von Gemälden und schließlich noch eine ausführliche Chronologie des Lebens mit Fotos.
Zugleich begleitet der Bildband eine Ausstellung, die gerade im Schloss Gottorf in Schleswig eröffnet wurde und anschließend vom Berliner Brücke-Museum übernommen wird. Drei Jahre lang wurde diese Werkschau von der Kuratorin Jannina Dahlmanns vorbereitet, wobei es ihr gelang, auch Bilder aus den USA auszuleihen, die sogar als verschollen galten. Wie der Untertitel schon andeutet, deutet auch Dahlmanns Heckels Gesamtwerk im Spannungsfeld, macht aber in ihrem Basisartikel auch deutlich, wie viel Romantisches hinter der expressiven Wildheit von Anfang an steckt, vor allem das Erbe Caspar David Friedrichs: die Sehnsucht nach Einsamkeit; das Motiv des einzelnen Menschen in der Landschaft; überhaupt die Natur als transzendierender Andachtsraum; die Vorliebe für die Farbe Blau, zumal im Element des Wassers; das Bemühen, mit dem „inneren Auge“ zu schauen und visionär zu malen.

Natürlich geht es auch in diesem Buch um Heckel innerhalb der Künstlergruppe »Die Brücke« und um sein besonderes prekäres Verhältnis zu Ernst Ludwig Kirchner. Neben diesem ungleich spektakulärerem Exzentriker und antibürgerlichem Bohemien mit psychopathologischen Zügen wirkte jener geradezu brav und bieder, so Karin Schick. Kirchner akzeptierte und bewunderte von Anfang an die ungleich intellektuelleren Kapazitäten Heckels. Zugleich aber entwickelte er in seinem Verhältnis zu ihm eine geradezu krankhafte Ambivalenz. Kirchner warf Heckel über Jahre hinweg vor, lediglich geschickt die Bilder von ihm zu kopieren und unterstellte ihm, dem ehemaligen Weggefährten, absichtlich geschlechtskranke Frauen vermittelt zu haben, um ihn zu vernichten.
Hanna Strzoda beschäftigt sich mit der vergleichsweise aufrichtigen und herzlichen Freundschaft, die Heckel als Sprecher und Kopf der Brücke zu Künstlern des »Blauen Reiters« pflegte: zu Franz Marc, der gewisse »franziskanische Wesenszüge« als Gemeinsamkeiten erahnte, und zu Lyonel Feiniger. In einem weiteren Aufsatz geht dieselbe Autorin der Auseinandersetzung mit dem Sujet Stillleben nach. Wenngleich dieses sicherlich nicht zu den bevorzugten Gattungen des Expressionismus gehört (war dieser doch »vorzugsweise mit der unmittelbaren und unverfälschten Darstellung des vitalen und lebendigen Menschen in natürlicher Bewegung« beschäftigt), so ist doch auffällig, wie Heckel hier alte Traditionen aufnimmt und mit neuen formalen und kompositorischen Ideen verknüpft. Insbesondere die Einbindung des Figürlichen.
Das Triptychon definiert Klaus Lankheit vor Jahren als »Pathosformel« innerhalb einer profanisierten Welt. Wenn Heckel in den Jahren nach der Auflösung der »Brücke«-Gemeinschaft immer wieder die an den Moritzburger Teichen entwickelte Szene des Aktes in der kosmischen Landschaft nun in dieser überhöhenden Form als altarähnlichen Aufbau variiert, dann verrät er damit seine zutiefst romantische Sehnsucht nach Naturverschmelzung. Im Triptychon »Jungen am Strand« von 1934 gerät er aber (unfreiwillig?) in die Nähe einer den männlich-heldischen Körper verherrlichenden Blut-und-Boden-Malerei.

Eher ungewöhnlich, dass auch der Dichter Heckel berücksichtigt wird. Von Anfang an steht er, wie so viele seiner Zeitgenossen, im Banne Nietzsches. Womöglich ist auch die Bezeichnung »Die Brücke« ein Niederschlag von dessen pathetischem Aufruf, die Menschheit zu befreien. Aber Heckel kennt sich aus in der gesamten Weltliteratur, wie seine Holzschnittillustrationen zeigen (dazu die Aufsätze von Janina Dahlmanns bzw. Reinhold Heller). Zeitweilig ist er beeinflusst von einem männerbündlerisch-strengem Führerideal, wie ihn die »innere Gemeinschaft« des Kreises um Stefan George pflegte. Die Wandbilder im Erfurter Angermuseum aus den Jahren 1922-1924 künden von dieser Geisteshaltung. Schon der erste Auftritt innerhalb der »Brücke«-Freunde lässt den »früheren Dichter« (wie sich Kirchner in seinen Memoiren erinnert) als philosophisch gebildet und ungemein belesen erscheinen: »So kam eines Tages ein junger Mann laut aus dem »Zarathustra« deklamierend ohne Kragen und Hut die Treppe hinauf und stellte sich als Erich Heckel vor«.
Der Hirmer-Band dürfte alles in allem so etwas wie ein neuer Referenzpunkt der Forschung sein. Der jüngst verstorbene Klaus Arnold und Peter Dreher, die ihm als Professoren nachfolgten, beschließen mit zwei sehr persönlichen, geradezu anrührenden Erinnerungen an den Lehrer Heckel an der Karlsruher Akademie die empfehlenswerte Monographie.

Weitere Informationen

Hans-Joachim Müller: Erich Heckel. Der stille Expressionist. Über Leben und Kunst, 120 Seiten, 31 Abb., Broschur, Verlag der Stadt Villingen-Schwenningen 2010 ist nur in der Städtischen Galerie erhältlich.

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