Hans von Trotha ist ein Historiker und Philosoph, dessen Spezialgebiet seit Jahrzehnten die Gartengeschichte Europas ist. Er wirkte als Verleger, Kurator, freier Journalist und Kulturberater. Nun hat er mit einem umfassenden Ansatz eine Kulturgeschichte der europäischen Gartenbaukunst in Bildern veröffentlicht. Walter Kayser hat sie sich angesehen.
Die Zeit, in der Literaturwissenschaftler nichts als Philologen waren, ist lang her. Seit nahezu einem halben Jahrhundert sind viele von ihnen zu „Medienwissenschaftlern“ mutiert. Das gedruckte Wort klang nach dem „iconic turn“ und der digitalen Revolution plötzlich nach verstaubtem Papier und irgendwie hoffnungslos old fashioned; „Medien“ wurde stattdessen zum allumfassenden Zauberwort.
Der von der Philosophie her kommende Hans von Trotha möchte die Geschichte des Gartenbaus nun ebenfalls ganz neu als „Genealogie des Mediums Garten“ verstehen. Denn ohne Zweifel ist diese derart komplex, dass sich vieles in ihr widerspiegelt, und zwar nicht nur das Verhältnis, in dem der Mensch sich selbst als Teil oder Gegenüber der Natur begreift. Richtig ist zweifellos auch, dass ein Garten wie sonst keine Kunstform alle menschlichen Sinne anzusprechen weiß. Architektur, Bildhauerei, Landschaftsmalerei, Literatur, Herrschaftsverständnis und Gesellschaftsbild, Botanik wie Kulinarik, die Perspektiven von Guckkastenkulissen, wie schließlich die sukzessive Bildfolge des Films – was spielt eigentlich nicht in die Gartenanlagen der letzten Jahrhunderte hinein? Doch wer so sehr ins Grundsätzliche geht, gewinnt nicht unbedingt an Differenzierung, sondern droht in „unterkomplexer“ Beliebigkeit auszuufern.
Hans von Trothas Buch ist ungewöhnlich konzipiert: Der Verfasser sichtet über gut 1000 Jahre (von etwa 900 bis 1900), was es an Bildquellen gibt, die bei der „Genealogie“ des europäischen Gartens (den Begriff des „Parks“ möchte er, aus welchen Gründen auch immer, für bestimmte Anlagen reserviert wissen) und seinen stetigen Transformationsprozessen aufschlussreich sein könnten. Es versteht sich, dass es darunter viel einschlägig Bekanntes gibt; anderes ist ungewöhnlich, da der jeweilige Bezug nicht unmittelbar offensichtlich wird.
Dass jeder Garten gestaltete, domestizierte, ästhetisierte Natur ist und einem wie auch immer gearteten Idealbild des Gartens Edens nachempfunden, liegt auf der Hand. In der Ambivalenz von Ein- und Ausgrenzung ist deshalb jede Art von Grenze konstitutiv. Schon das Wort „Garten“ selbst spricht davon, geht es doch ursprünglich auf die „Gerte“ zurück, also jene biegsamen Weidenzweige oder Haselnussruten, die man zu einem Zaun verflechten konnte, mit dem man das kultivierte Gelände von der Sphäre des Gefährlich-Wilden „umfrieden“ und „einhegen“ konnte. Dass der Topos des ummauerten „hortus conclusus“ nicht nur in die Marienikonografie des Spätmittelalters, sondern zu Recht in die Geschichte des Gartens gehört, lässt sich nicht bestreiten; weniger ergiebig ist der Erkenntnisgewinn beim Thema des „Noli-me-tangere“- Typs, bei etlichen Kräuterbüchlein oder der Bemalung von Spinettdeckeln.
Erst eine solche Betrachtung der Strukturveränderungen unter dem Blickwinkel der longue durée lässt erkennen, wie groß das Beharrungsvermögen gewisser Entwicklungslinien ist. Eine unglaubliche Dominanz der geometrischen Gestaltung wird so erkennbar. Denn der „geregelte Garten“ des Barock mit seinen terrassierten „Broderien“ und Bosquettes-Wänden, die einen Gartensaal vom nächsten abgrenzen, hat seine offensichtlichen Wurzeln nicht nur in den streng angelegten geometrischen Mustern der Renaissancegärten, wie er sich etwa im hortus palatinus von 1616 für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. darstellt. Letztlich spricht aus dieser Neigung zur strengen, reinen Form der Wunsch des Menschen, im Kampf mit der schwer beherrschbaren Natur jedem unkontrollierten Wildwuchs die reine Form aufzuzwingen und sich damit als Herrscher über die Natur zu legitimieren. Natur war für die meisten Menschen eben Arbeitswelt, mithin widerspenstige, feindliche Umwelt; und in dem Maße, wie in der frühen Neuzeit die Naturbeherrschung gelang, schritt auch die Entfremdung von der Natur und die Selbstentfremdung des Menschen als Naturwesen voran. Ausdruck dieses Zivilisationsprozesses ist die ornamentale Gestaltung, das Beschneiden der Pflanzen, die Anlage in möglichst reiner Formgebung. Dies zeigt sich in der uralten Vorstellung, dass der Paradiesgarten kreisrund, mit dem Baum der Erkenntnis als axis mundi im Zentrum, gewesen sein müsse - oder eben ein exaktes Quadrat. Die vier gleich langen Seiten mit ihren rechten Winkeln (und mit ihm die Vierzahl der Himmelsrichtungen, Elemente, Jahreszeiten, Lebensalter etc.) bestimmen dann, freilich in Variationen zu ausgedehnten Kompositionen entwickelt, für Jahrhunderte die Grundform aller Renaissance- und Barockgärten, von Neapel bis Stockholm, von Madrid bis St. Petersburg.
Die Abschnitte, die sich mit den klassischen Gartentypen, die man gemeinhin grob mit den Attributen „französisch“ bzw. „englisch“ gekennzeichnet hat, enthalten nichts, was man nicht auch andernorts finden kann. Der Verfasser dieses Bandes hat selbst mehrere vielbeachtete Bücher zum Landschaftsgarten (1999), zum Garten der Romantik oder zuletzt (2022) im Berliner Wagenbach-Verlag zu den Französischen Gärten rund um Paris geschrieben. Über die fließenden Übergänge vom Italienischen zum Französischen Garten, über das Vorbild Vaux-le-Vicomtes für das Paradigma Versailles, über das Genie André Le Nôtres, über den nach dem Vorbild der Schlossarchitektur gebauten Charakter der Barockgärten, über seine Sichtachsen und den gesamten Park als Spiegelbild absolutistischen Herrschaftsverständnisses, - über all diese stilistischen Merkmale kann man überall anderswo mehr erfahren. Ein Grundzug dieses Buches bleibt freilich: Man kann es wie eine Illustrierte durchblättern. Die Bilder sprechen für sich und die klein gedruckten Kommentare fassen konzis zusammen, worin von Trotha den jeweiligen Bezug zur Gartenbaukunst sieht. Und ein Zweites: Sämtliche Abbildungen haben selbst historischen Zeugnischarakter, denn es fehlen, wie sonst in den meisten Veröffentlichungen zur Geschichte des Gartenbaus, fotografische Ansichten von heute, welche auf die die historischen Intentionen Rückschlüsse zulassen. Stattdessen findet man kolorierte Stiche und Grundrisse, zeitgenössische Ansichten, Portraits berühmter Persönlichkeiten, Skizzen, Listen und Ansichten von seltenen Blumenzüchtungen, Herbarien oder die Frontispize einschlägiger Bücher.
Immer wieder wird so die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Gattungen deutlich. Etwa in den romantischen Aquarellen William Turners, wo sich die Abendsonne über einer Wiese mit asiatischen Zierhirschen von Petworth senkt, allerdings so, dass sich der Garten in der Natur und die Natur in der Malerei auflöst. Wenige Seiten später dokumentiert eine gestochene Ansicht des Pariser Jardin des Plantes von 1820, wie sich aus einem ehedem aristokratischen Renaissance-Garten nach der Französischen Revolution der erste nach wissenschaftlichen Kriterien geführte Zoo der Welt entwickelte. Die Beschränkung auf nicht mehr und nicht weniger als 333 Abbildungen ist angesichts des nach allen Seiten geöffneten Blicks nicht zwingend, sondern rein zufällig. Gerade in der angestrebten Vielfältigkeit liegt auch ein Moment der Beliebigkeit. Ein wenig scheint das Hans von Trotha selbst geahnt zu haben, wenn er in einer Nachbemerkung vor den abschließenden Indices schreibt: „Die Bildersammlung und ihre Kommentierungen erheben in dieser Form weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch unbedingt den auf Objektivität. Kriterium für die Auswahl war am Ende, dass sich anhand der Galerie die Genealogie des sinnlichsten aller künstlerischen Medien über die Jahrhunderte hinweg anschaulich machen lassen würde, ohne allzu weit ausholen zu müssen.“ – Weit ausgeholt hat der Verfasser allemal. Herausgekommen ist ein Buch, das nicht so sehr in die Tiefe wie in die Breite führt, - eines zum kurzweiligen Stöbern.
Hans von Trotha
Der Garten - Seine Geschichte in 333 Bildern
Gestaltung: Marius Schwarz
Hatje Cantz-Verlag,Berlin
384 Seiten, Klappenbroschur
22 x 23,4 cm,
€ 44,00 (D)
ISBN 978-3-7757-5831-4
auch erhältlich als eBook:
ISBN 978-3-7757-5852-9