Rezensionen

Hans Zitko: Von Giotto bis Matrix. Zur Darstellung und Wahrnehmung von Gewalt in Malerei und Film. transcript-Verlag

Der Ausdruck der Gewalt ist das Faszinosum der Kunst? Hans Zitko betrachtet die Darstellung und Wahrnehmung von Gewalt in der Malerei und dem Film. Sogleich stellt sich die Frage, Kunst und Gewalt – wie geht das zusammen? Der Autor bewertet 52 Abbildungen, davon 19 in Farbe, um sich eindrucksvoll wie provokant dieser Thematik zu widmen. Zitko interpretiert die Spur, die sich als eine Symbiose zwischen Kunst und Schrecken auftut, da jene geradezu von Darstellungen des brachial Schrecklichen erfüllt zu sein scheint. Ist also der Malerei wie auch dem Film, ein Aspekt des Gewaltsamen basal? Zitkos provokante Arbeit hat das Interesse von Melanie Obraz geweckt.

Cover © transcript Verlag
Cover © transcript Verlag

Gleich zu Beginn bezieht sich Hans Zitko auf den Bethlehemitischen Kindermord, der sich - dank Giotto di Bondone - so spektakulär in der Arenakapelle in Padua präsentiert. Es gelingt hier, den/die Betrachter:in teilhaben zu lassen und so wird der Horror fühlbar. Das Brachiale, in Form von Zerren und Schlagen, ist als Ausdruck der Grausamkeit scheinbar greifbar. Die Expression und Ungeheuerlichkeit des Gewaltsamen zieht sich durch alle von Zitko zitierten Werke der sogenannten großen Kunst. Der Titel „Von Giotto bis Matrix“ verweist überdeutlich auf die Allgegenwart der Misshandlungen als ein Faszinosum.

Der Autor zeigt etwa anhand von Kriegsdarstellungen und Schlachten wie die Sicht auf alles Gewaltsame als grobe und grausame Handlung durch die Malerei einer steten Transformation unterliegt, indem teilweise die sterbenden und hingemetzelten Körper der Menschen wie auch der Tiere fast graziöse Posen einnehmen. Gewalt, Tod und Schrecken bekunden sich in einer Ästhetik, die teilweise in Anmut erstarrt. Von der Gotik, über die Protorenaissance, Renaissance, Klassizismus und bis in die Neuzeit und neueste Zeit hinein, sind diese Phänomene in der Kunst sichtbar. Künstler wie Tintoretto, Tizian, Rubens, Poussin und Luca Giordano, dessen Darstellung des hl. Michael das Cover ziert, beweisen ihre Virtuosität gerade in der Darstellung des Gewaltsamen. Der Ästhetik der Anmut steht jene des Grausamen, Grotesken und des Schmerzverzerrten gegenüber.
Hiermit wird deutlich: Die Handlungen und Auswirkungen der Gewalt sind vielfältig und verweisen in aller Entsetzlichkeit auf die seelischen Abgründe des Menschen. Zitko greift auch die Eigenarten einzelner Kunstrichtungen, wie den Manierismus auf und vernetzt seine Untersuchung mit vielschichtigen Anleihen hinsichtlich philosophischer Überlegungen. Stets verleihen religiös-theologische Tendenzen wie auch psychologisch intendierte Wahrheiten den Werken ihren speziellen gewaltigen Glanz. So darf auch danach gefragt werden, wie sich die Darstellung der Schönheit mit jener der Gewalt in Einklang bringen lässt. Der Autor deutet hier auf ein äußerst diffiziles Terrain innerhalb der Kunstgeschichte hin. Forcierte Stilisierung ummantelt oft jeden Affekt und so gipfelt die Darstellung der Gewalt in einer Salonfähigkeit.

© Städelsches Kunstinstitut
© Städelsches Kunstinstitut

Massive Präsenz und voluminöse Körperlichkeit gehen oft in einer hypnotisch wirkenden Klarheit auf und bescheren den Betrachtern:innen anspruchsvolle Interpretationsaufgaben. Zitko wählte die Gemälde und Filme in der Weise aus, so dass sich jedes Werk als Ausschnitt eines Martyriums manifestiert. Große Themen wie Reformation und Gegenreformation spiegeln die Gewalt ebenso wider wie literarische Themen, die sich bei Nicolas Poussin hervortun oder die Grade des Drastischen in den Filmen des Italo Western bekunden. Obwohl sich die Eigenart des Stils der Gewaltdarstellung durch die Epochen der Kunstgeschichte wandelt, bleibt die Grundaussage doch stets die Gleiche: Die rohe Gewalt wird als Ausdrucksmittel genutzt, um die Aufmerksamkeit auf das Ethische neben dem Aspekt des Ästhetischen zu lenken. Ethik und Ästhetik stehen hier in einer wechselvollen Symbiose nicht nur einander gegenüber, sondern beeinflussen den Blick der Betrachter:innen. In diesem Sinne sind die Ausführungen Hans Zitkos unter dem Aspekt einer hoch intellektuellen wie empathisch ausgerichteten Kunstphilosophie zu verstehen. Die Gewalt gerät hier zu einer energiegeladenen Dynamik, die jeden Betrachtungsvorgang dominiert. Auf diese Weise wird auch ein Mitleiden möglich. Grenzen zwischen Künstler, Werk und Rezipienten werden durch Bewegungen und Blickrichtungen, die aus dem Bild nach außen dringen gekonnt überschritten. Das Töten und die Brutalität des Aktes kann so - oftmals wie in Trance - zur Darstellung gelangen.

Ebenso stellt Zitko die Frage nach einer Legitimation solch massiver Gewalt. Teilweise wird bewusst die Diskrepanz zwischen göttlich erteiltem Auftrag und der folgenden Ausführung thematisiert. Aus diesem Grunde könnte die Frage lauten: Wieviel Moral und Unmoral verträgt die Kunst? So verdeutlicht das Gemälde „Die Blendung Simsons“ von Rembrandt wie sehr das Auge als wichtigstes sinnliches Organ den Platz einnimmt, um sogleich die stete Anspannung hervorzuheben, die benötigt wird, um Bilder zu erfassen. Gewalt wird effektvoll inszeniert, um einen ästhetischen Hochgenuss zu erzielen. Aber nicht nur die von Menschen ausgeführten Taten sind hier das Thema, auch die Gewalt der Natur, denen jede Kreatur nur ohnmächtig gegenübersteht, wird durch die Auswahl der Bilder hervorgehoben. Damit greift der Autor den Aspekt des Erhabenen auf, der sich in einer Macht der Natur zeigt und sich im dynamisch-Erhabenen gegenüber einem mathematisch-Erhabenen kontrastiert.

Filmstill aus Sam Packinpah, The Wild Bunch
Filmstill aus Sam Packinpah, The Wild Bunch

Andererseits erscheint die Gewalt in Filmen von Sergio Leone als etwas geradezu Gewöhnliches, ja Alltägliches. Das unheilvoll Brachiale wird durch den Film absorbiert und beeindruckt die Zuschauer:innen. Anstatt Realitäten entstehen neue künstliche Welten und fordern, dass jene Künstlichkeit erkannt wird. Selbst hier werden Anleihen aus der Welt der christlichen Theologie klar. Die Protagonisten greifen gewaltsam in das Leben ein und scheinen über unbegrenzte Macht zu verfügen. Der Einsatz von Gewalt ist an die Stelle einer göttlichen Gnade getreten. Auch die Filme vereinen eine Ethik mit einer Ästhetik, um die beiden Pole in optimaler Sublimierung zu präsentieren. Doch immer wieder zeigt sich die Gewalt gleichsam in Formen einer Entfesselung des Dionysischen im Sinne Nietzsches.
Hier eröffnet das Medium des Films jene Übergänge, die sich auch schon in den ausgewählten Gemälden andeuteten. Doch weist der Autor im Besonderen darauf hin, dass sich im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich der Gewaltdarstellung herauskristallisierten. Sam Peckinpah veränderte mit seinen Western-Filmen etwa die Gewaltdarstellungen in einer Art, die Gewalt dezidiert in den Fokus rückt und damit einen speziellen visuellen Stil erzeugt

Filmstill aus Die Schwestern Wachowski, Matrix reloaded
Filmstill aus Die Schwestern Wachowski, Matrix reloaded

Effektvoll inszenierte Kampfszenen zeigen sich ebenso in der Matrix-Trilogie die eine neue Ästhetik der Gewalt gar in die Nähe des Tanzes rückt. Es geht schließlich nicht mehr um das Erhabene, um eine höhere Stufe, auf welcher sich die Gewalt etabliert, sondern sie zeigt sich als das, was sie ist – als ent-sublimiertes, auf niedrigster Stufe stehendes Potential. Eros, Gewalt, Macht und Tod zeigen sich in Zitkos Untersuchung in wechselseitiger Abhängigkeit. Sinnlichkeit, Farbe, Licht verbinden sich in den Darstellungen der Gewalt und ihrer spezifischen Symbolik in einer aufreizenden Sinnlichkeit. Zitko eröffnet damit den Reigen der Bildsprache und entwirft eine spannende wie erlebnisreiche Reise in die Welt der Künste, indem er auch interdisziplinäre Fragen an die Historie, Kunsthistorie und Soziologie stellt.

Titel: Von Giotto bis Matrix. Zur Darstellung und Wahrnehmung von Gewalt in Malerei und Film
Autor: Hans Zitko
Transcript Verlag, Bielefeld 2023
284 Seiten
ISBN 978-3-8376-6513-0
PDF-ISBN 978-3-8394-6513-4

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