Ausstellungsbesprechungen

Harald Gratz - Die Familie, Galerie Rothamel Erfurt, bis 5. Mai 2012

Die Familie als die kleinste soziale Einheit eines Staates war und ist von eminenter Bedeutung für dessen gesellschaftliche Ordnung und Stabilität. Der Thüringer Künstler Harald Gratz präsentiert in seiner aktuellen Ausstellung Reflexionen über den Begriff in chiffrenhaften Bildmotiven. Rowena Fuß hat es sich angeschaut.

Mit einem schmatzenden Geräusch öffnet sich die Galerietür neben der gesprayten Banane von Thomas Baumgärtel. Als hätte er eine Schleuse passiert, die den Lärm der Straße ausgesperrt, steht der Besucher nun in der Ruhe des großen Ausstellungsraumes. Gleichsam als Gegenpol zu den irritierenden Bildinhalten auf den Leinwänden, fordert sie dazu auf, durchzuatmen und den Geist für die Ausstellungsstücke zu öffnen.

Denn Sagenhaftes erwartet den Galerienbesucher gleich gegenüber der Eingangstür: Wie ein Schachtelteufel steht ein kleiner Junge mit Gewehr und Beutel über dem erlegten Körper des legendären Yetis. Groß ist ihm die Freude über seinen Fang ins Gesicht geschrieben und auch der treue Jagdhund steht mit stolzem Blick in der linken unteren Bildecke.

Der Mord des Schneemenschen, also der Mord an einer Figur, von der man nach wie vor nicht weiß, ob sie real existiert oder ein Mythos ist, beendet zunächst das Rätselraten um sein Dasein. Weiterführend besitzt er noch eine andere Funktion: als Gleichnis für einen Vatermord. Nach Freud führt der Mord am Vater durch die Söhne und dem anschließenden Verzehr seines Körpers zur Legitimation der Nachfolger. Aus Schuldgefühlen gegenüber der Tat etablieren sie zudem einen Totemismus: Der tote Vater wird zum ersten Opfer für eine neue Ordnung und dafür verehrt. Es entsteht das erste gemeinsame Kultobjekt für die neue Gemeinschaft. Der Mord ist, nach dieser Deutung, die Grundlage der sozialer Organisationen, der sittlichen Einschränkungen und der Religion.

Dem Ethnopsychoanalytiker Erdheim zufolge ist der Vatermord ein Indikator für einen Kulturwandel. Gratz spricht dem Jungen in seinem Bild mit dem Gewehr diese Macht zu. Er nutzt sie, um einen Mythos zu zerstören, eine Grundlage sozialer Organisation zu vernichten. In einem Zeitalter, in dem der Kulturabbau durch stumpfsinnige Fernsehsendungen oder Budgetkürzungen bei öffentlichen kulturellen Einrichtungen rapide voranschreitet, fordert das Bild zu einer kritischen Reflexion auf. Weiter noch: Sollte die neue Gemeinschaft und Kultur wirklich auf Grönemeyers Diktum »Kinder an die Macht« beruhen? Zu bedenken ist, dass Kinder nur nachahmen können, da ihnen noch keine eigene Reflexion zum Geschehen um sie möglich ist. Wollen wir also wirklich in einer Welt leben, in der nicht mehr nachgedacht wird, keine Rechte und Pflichten existieren, kurzum: in einer chaotischen Spaßgesellschaft voller Egoisten?

Das kleinste Glied der Familie wird zum wichtigsten, dem, zugegebenermaßen, viel aufgebürdet wird: Als nachfolgende muss diese die Fehler der vorhergehenden Generation ausbügeln und sich auch noch um die Alten selbst kümmern, den Generationenvertrag erfüllen. Zu dessen Erfüllung bietet die Sozialform der klassischen Familie aus Vater, Mutter und Kind(ern) die besten Voraussetzungen. Das Urbild einer patriarchalischen Familie parodiert das Titel gebende Werk der Ausstellung: In einer Blumenidylle sitzend, besteht die gezeigte Kleinfamilie aus Tarzan, Jane und einem Schimpansen. Glücklich lächelnd halten es seine „Eltern“ anscheinend für das normalste der Welt, einen Affen zum Kind zu haben. Cheeta selbst hält ihren Vater an der Hand und will ihn irgendwohin führen. Vielleicht zurück in eine Zeit, als alles noch einfach war?

Ach ja, die Kindheit! Wie schnell dieser Lebensabschnitt vorbei ist. Als Reminiszenz präsentiert sich die Bilderfolge »Alice I« und »III«. Neben dem »Yetijäger« angebracht, sitzt dort das Püppchen Alice, dessen Markenzeichen ein gewaltiger roter Haarschopf ist, verlassen in der Wiese, weit entfernt von seinem Thron im Bild daneben und die bevorzugte Behandlung durch die Eltern, vergangen ist der Zauber des Wunderlandes.

Das wohl eindringlichste Werk seiner Gesellschaftskritik ist »Die Bühne«. Insgesamt drei Szenen hat Gratz zusammen montiert. Da ist zum einen ein erhängter Mann vor einem obstverzierten Vorhang, eine hockende Blondine und ein grinsender Schneemann in frostiger Umgebung. Letzter steht über den zwei anderen auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Da die Frau vor der Bühne dem Erhängten den Rücken zuwendet, ist er ihr wohl egal. Das seltsame Geschehen komplettiert ein Fußboden, der an einen Seerosenteich erinnert. Was dieses Bild symbolisiert ist schlichtweg Ignoranz. In einer abweisenden Welt, in der sich jeder einen Dreck um seinen Nachbarn schert, ist es nicht verwunderlich, bald die ersten Opfer beklagen zu müssen. Soweit sollten Sie es allerdings nicht kommen lassen und sich die Schau unbedingt ansehen!

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