Ausstellungsbesprechungen

Heimatrand – Klasse Güdemann, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim, bis 6. Januar 2013

Was ist Heimat? Was bedeutet sie uns? Und was bleibt, wenn wir aus der Heimat fortgehen? Diesen kontroversen Fragen ist die internationale Klasse von Cordula Güdemann an der Kunstakademie Stuttgart nachgegangen. Die verschiedensten Lösungen können Sie, wie unser begeisterter Autor Günter Baumann, in Hohenheim bestaunen.

»Heimatrand« – der Titel der Ausstellung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist wohl bedacht: Es klingt das Heimatland mit, weist aber in eine ganz andere Richtung. Zum einen geht es offenbar um eine randständige Position, die der Herzensangelegenheit der Heimat quasi den Katzentisch zuteilt, am Rand zu sein heißt nicht zum Kern zu gehören, fast schon draußen zu sein. Zum anderen muss man wissen, dass die Akademieklasse Cordula Güdemanns an der Stuttgarter Kunstakademie ein bewundernswertes Sammelbecken für alle erdenklichen Kulturkreise ist – hier treffen sich deutsche Studenten mit Kommilitonen aus aller Welt. Aktuell kommen die nicht-deutschen Jungkünstler aus Äthiopien, Australien, China, Südkorea und Polen. Das prädestiniert die Klasse im Verband zu einer Themenausstellung, die sich aus deutscher und internationaler Sicht mit der Heimat und der Identität auseinandersetzt. Alle Arbeiten sind speziell für diese Ausstellung entstanden.

»Der interkulturelle Austausch«, so Cordula Güdemann, »ist für beide Seiten Anregung und Bereicherung. Die Ausstellenden haben über zwei Semester zum Thema Heimat gearbeitet, haben sich umfassend informiert durch Literatur und Filme. So kam es zu der Titelfindung »Heimatrand«, denn was gemeinhin unter Heimat verstanden wird, kann für viele Menschen nur noch aus der Ferne gesehen werden oder lebt in der Erinnerung.« Die Malerin, bekannt für einen hochexpressiven, an die Grenzen der Abstraktion reichenden Realismus, distanziert sich und ihre Klasse freilich von jeder Form idyllischer Heimeligkeit oder gar miefiger Retrosehnsucht. »Die Künstler haben eine eigene Bildsprache gefunden, die eine Herausforderung für die Betrachter darstellt, denn es sind Arbeiten, die das Thema nicht illustrieren, sondern frei damit umgehen, sie sind ausdrucksstark, stellen und beantworten Fragen, sind anspielungsreich und beeindruckende, sinnliche Malerei.«

Die »Holy Criminals« von Tesfaye Urgessa etwa sind regelrecht an die Wand gestellte, in ihrer Nacktheit ins öffentliche Bild gezerrte, vorgeführte Menschen, deren vor die Brust gehaltene Tafeln sie als Inhaftierte ausgeben. Dem Titel nach darf man an der Rechtmäßigkeit der entwürdigenden Vorführung zweifeln, womöglich sind es kriminalisierte Menschen, denen zu Unrecht der Knast oder die Abschiebung droht. Gegenüber einer solchen politisierten Kunst geht es naturgemäß bei der Heimat- und Identitätssuche um Erinnerungen. So zeigt Yan Zhang einen monumentalen Häuserblock, dessen Sinnfälligkeit auf der Hand liegt: »Inside – Kunst – outside 2« reflektiert die Gemengezone, wo Drinnen und Draußen, Kunst und Realität, Wahrnehmung und Fiktion ineinander übergehen. Von der formal-kompositorischen Perspektive der Totalen vergleichbar, aber nicht nah außen, sondern nach innen gekehrt, ist das Gemälde »ZuGastbeiHelge« von Sabrina Fortner, die ihren tatsächlichen Blickwinkel auf eine ferne Bühne wiedergibt, als sei das Publikum mit einem Superweitwinkel oder einem Fisheye-Objektiv aufgenommen. Weder Haus noch Showbühne, sondern einen ganzen, mutmaßlich chinesischen Straßenzug beschreibt die grandiose Zeichnerin Weiran Wang in einer mehrteiligen Arbeit. Reine Phantasiewesen mit heimatlichen Assoziationen – zuweilen taucht ein Hirschgeweih auf – präsentiert Sarah Keim, die mit einer wunderbaren Unbekümmertheit an ihre fingierten Motive herangeht und dank ihrer Disharmonien Traditionsfäden der CoBrA-Gruppe aufgreift, welche zur Zeit eine Renaissance erleben. Die Kunst, für die die Klasse Güdemann steht, eine drastisch überspitzte Figuration, bieten nicht nur die Künstler Nina Joanna Bergold, Anna Huxel oder Agnes Mrowiec, sondern auch Dominic Dorsch, dessen pastose Porträts nahe am Werk Güdemanns entstehen, sowie – mit ganz eigener Vielschichtigkeit, Nigatu Tsehay Molla. Seo-yi Son pflegt einen bestechenden, ins Phantastische ragenden Realismus, hier mit einer farblich exzentrischen, aber in klaren Formen aufgebauten Hausfront-Impression.

Doch nicht nur die Farbe ist für die Klasse kennzeichnend, sondern auch rein grafische Positionen. Sie sind vertreten durch Lisa Steinbauer, die in einem Siebdruck-Unikat ein akribisches Textbild zeigt, dessen Leerstellen eine menschliche Figur ergibt. Diesen Erinnerungslokalisierungen stehen die Linoldrucke von Anna Stöcker gegenüber, die ein bildnerisches Tagebuch erstellt hat. Wie Kindheitserinnerungen wirken die spielerisch-freien, aber anspielungsreichen Acryl-Skizzen von Johanna Hermann, und auch Andreas Beck mit seinen Grafiken, die phantasievoll halb ausgesprochene Bedingungen bzw. Erwartungen illustrieren: »Wenn sich Kühe mit Eichhörnchen paaren«, »Wenn die Erde sich erhebt« oder »When Alice meets in church«. Es mag sein, dass mancher Betrachter das Heimatgefühl vermisst, doch darum geht es eben nicht, zumindest nicht allein. Der Rand meint hier auch jene Stimmung, die brüchiger ist als im Zentrum, die sozusagen am Tellerrand entsteht, von wo aus es sich auch drüber hinwegsehen lässt. Die vorwiegend in den 1980er geborenen Künstler sind auf jeden Fall Hoffnungsträger der bildenden Kunst. Ihre Namen sollte man sich merken.

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