Ausstellungsbesprechungen

Helen Levitt

Die Fotos »der großen alte Dame der amerikanischen Fotografie«, wie der Direktor des Sprengel-Museums, Ulrich Krempel, sie nennt, sind fast alle in ihrer Heimatstadt New York, in der Lower East Side, der Bronx, Harlem und Brooklyn, aufgenommen – ausgenommen jene Arbeiten, die 1941 auf einer Reise nach Mexiko entstanden sind.

Jahrzehntelang war Levitt, 1913 geboren, mit ihrer Leica unterwegs, um das alltägliche Schauspiel auf der Straße festzuhalten: Kinder, Frauen und Männer, beim Spielen, Kämpfen, Lachen, Warten oder Tratschen. Ganz unsentimental sind so Bilder mit einer intensiven, zum Teil skurrilen Aufmerksamkeit für das Detail entstanden ohne das soziale Elend zu dokumentieren. »Die Ästhetik« ist, wie sie sagt, »bereits in der Wirklichkeit vorhanden.«

Gemeinsam mit der Kuratorin Inka Schube hat Helen Levitt in ihrer New Yorker Wohnung die Fotografien aus den Jahren 1936 bis 1993 für die Schau ausgesucht. Die festgehaltenen Situationen erzählen Geschichten – intim, einfühlsam, von Spontaneität und Zufall geprägt, dabei aber immer mit Distanz – oftmals einem Winkelsucher an ihrer Kamera zu verdanken. Etwa wenn sich ein Mädchen neben ihrer schwangeren Freundin zwei Milchflaschen vor die Brüste hält, eine dicke Frau sich mit zwei Kindern in eine Telefonzelle drängt, plötzlich Hühner auf dem Bürgersteig der Großstadt auftauchen, sich ein Mädchen vor einem grünen Auto merkwürdig in den Rinnstein quetscht oder eine ältere Frau mit Kittel und Badehaube scheinbar verwirrt durch die Straßen irrt.

Helen Levitt, Wegbegleiterin von Walker Evans und Henri Cartier-Bresson, ist eine bedeutende Vertreterin der so genannten »Street Photography«. Sie entstammt einem russisch-jüdischen Elternhaus und lernt Mitte der dreißiger Jahre neben der New Yorker Fotografen- und Film-Boheme auch den Schriftsteller James Agee kennen. Mit ihm und Janice Loeb entsteht der mittlerweile als bahnbrechend geltende Experimentalfilm »In the Street« (1944-1952). Angeregt durch Luis Buñuel widmet sich Levitt dem Film und findet ihr Auskommen als Cutterin. Ende der fünfziger Jahre nimmt sie ihre fotografische Arbeit wieder auf, nun in Farbe; 1959 und 1960 jeweils unterstützt von einem Guggenheim-Stipendium. Bis Ende der siebziger Jahre entstehen die typischen farbintensiven Dyer-Transfer-Prints, später C-Prints. In den achtziger Jahren wendet sie sich noch einmal der Schwarzweiß-Fotografie zu.

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Gegen Deutungen ihres Werks wehrt sich die Künstlerin vehement: »Trust the pictures not the words«. Weil sie alle Interpretationen ablehnt und ihre Fotos generell ohne Titel und Jahr vermerkt, sprechen die Bilder für sich.

Die bislang einzige Station in Hannover gibt mit 300 Arbeiten den bisher breitesten Überblick über das Werk: Gezeigt werden unter anderem die ersten, 1936 im Central Park und Umgebung entstandenen Aufnahmen, kleinformatige Bildsequenzen, Arbeiten aus dem Motivkreis der Graffitis ebenso wie die 1941 in Mexiko entstandenen Fotografien, dazu der Film »In the Street« und späte Farbaufnahmen.

 

Levitts zum Teil surreale Blickweisen auf die Straße sind nach wie vor von großer Aktualität, auch wenn sie, heute altersbedingt ihr Appartement in Greenwich Village zum Fotografieren nicht mehr verlässt. Aus diesem Grund hat sie den mit 15 000 Euro dotierten Preis auch nicht selbst in Empfang nehmen können. Dieser wurde ihrem langjährigen Berater Marvin Hoshino anlässlich der Ausstellungseröffnung übereicht. Zusammen mit ihrer Galeristin Vicki Harris von der Laurence Miller in New York und Sandra S. Phillips vom San Francisco Museum of Modern Art waren würdige Vertreter nach Hannover gekommen, die sich auch in ihrer Freizeit viel um die 94-jährige Dame kümmern und ihr beispielsweise beim Footballschauen Gesellschaft leisten – auch wenn dies wahrscheinlich alles andere als ein Vergnügen ist, denn angeblich hat Levitt nur einen kleinen Fernseher, den sie auf Schwarzweiß umgestellt hat.

 

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Öffnungszeiten
Dienstag 10-20 Uhr
Mittwoch bis Sonntag 10-18 Uhr
Montag geschlossen

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