Francisco José de Goya y Lucientes (1748 - 1828), ein Künstler zwischen zwei Zeitaltern – doch kein Vermittler zwischen den Zeiten, sondern ein Kritiker par excellence. Der Künstler hat fünf Könige als Herrscher erlebt. Ihm ging es darum, alles mit seiner Malerei zu erfassen, alles war für ihn das Äußerliche und das Innere zugleich, eben das Seelische. Ganz offensichtlich stehen seine Arbeiten für eine „Wandlung“, bezeugen doch seine frühen Werke eine Helligkeit, die geradezu eine strahlende Wirkung hinterlässt. Doch ganz anders seine späteren Werke, in welchen das Dunkle und Distanzierte, der Schrecken in den Fokus geraten. Wie genau lässt sich dies deuten? Goya, der sich stets zu den Ärmeren der Gesellschaft hingezogen fühlte, um ihre Welt zu malen, eben diese Welt zu charakterisieren und den folgenden Zeitaltern zu offerieren, zeigte sein Genie in einer oft grausamen Direktheit, womit er sich der Nachwelt als Kritiker überlieferte. Melanie Obraz hat das detailreiche wie anspruchsvolle Werk Helmut C. Jacobs mit Genuss gelesen.
Die zwei Seiten des Francisco de Goya waren und sind für die Betrachter:innen seiner Werke, immer wieder von Neuem eine Herausforderung. Man will wissen, warum sich seine Bildwerke so und nicht anders entwickelten und fragt nach der Person, die jene Werke erschuf. Der geschichtliche Hintergrund wird in dem Buch von Helmut C. Jacobs mit einer Frage nach dem Sozialen kombiniert und fordert das Publikum geradezu auf, den Forschungen und den sich daraus ergebenden Perspektiven des Autors zu folgen, um diese dann wiederum selbstständig zu reflektieren. Eine an die Leser:innen hoch spannende und ereignisreiche Reise in die Welt der Rezeption um das Werk von Goya wird hiermit ausgeführt. Zuerst war Goya Auftragsmaler, später dann als Maler nur für sich tätig, um seiner Gefühlslage wie auch seiner Erfindungsgabe Ausdruck zu verleihen. Vor allem zeigt sich dies auch in den Betrachtungen der einzelnen Autoren, die von Helmut C. Jacobs aufgerufen werden und die ihre spezielle Inspiration und Wirkgeschichte die von Goya initiiert wurde, erzählen, um damit stets die starke Persönlichkeit Goyas zu fokussieren, die der Künstler nie zurückdrängte, um etwaige Zugeständnisse an seine Kunst zu machen.
Goya ist modern, gerade in seinem so selbstständigen Ansinnen, das Eigene in der so sehr persönlichen Perspektive darzustellen. Davon war auch Gorka Hermosas in der Weise begeistert, dass er eine Komposition zu eben der berühmtesten Radierung Goyas „Capricho 43“ beisteuerte. Daraus wird ersichtlich, wie sehr die Werke Goyas die Disziplinen überschreiten und für die Musik, aber auch für den Roman und sogar für die Sparte des Kriminalromans so überaus interessant sind. Warum ist dies so? Goyas Werke sprühen von einer Lebendigkeit, die auch als destruktiv und dunkel bezeichnet werden darf und gerade auch deshalb das Auge der Betrachter:innen in so unterschiedliche Richtungen der Interpretation lenken.
So sieht der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes, Goya als einen tragischen Maler. Die Leser:innen fragen sich sogleich, worin denn diese Tragik im Leben Goyas bestand. Zweifellos waren Leben und Werk des Künstlers ineinander verwoben, doch sind hier die Bezüge sehr deutlich aneinandergereiht und erleichtern den Zugang zu dieser sehr ernsten Thematik. So fragt Carlos Fuentes „welche Art von Spiegel hätte Goya unserem Jahrhundert, [das 20. Jahrhundert] dem Jahrhundert von Auschwitz, des Gulags, von Hiroshima, der Apartheid, der salvadorianischen Todesschwadronen und des Contra-Kriegs in Nicaragua, vorgehalten? Man denkt sofort wieder an das große Saturn-Gemälde.“
Ebenso lenkt Jacobs den Blick auf die intermediale Transformation von Goya-Bildern und beruft sich auf den Roman „Volavérunt“ von Antonio Larreta und verweist auf die gleichnamige Verfilmung von José Juan Bigas Luna (1946-2013). In diesem Abschnitt wird ein rätselhaft, ein geheimnisvoll anmutendes Bild „Capricho 61“ thematisiert, womit das Entschwebende ausgedrückt wird, jenes was den Menschen verloren ging und von so grundsätzlicher Wichtigkeit ist, so dass sich letztlich eine Leere und auch Verzweiflung auftut. Leichtigkeit, Schönheit gepaart mit einer bedrückenden Hässlichkeit, die sich bis zur Groteske verzerrt, ist in diesem Bild dargestellt und fordert nach einer spannenden und vielfältigen Deutung. Die Inszenierung der Frau als ein besonderes und rätselhaftes Wesen, in einer Gesellschaft, die nicht eben auf das was man das Feminine nennt zugeschnitten ist, kann auch hier als Problematik der Zeit und ebenso verweisend auf die Jetztzeit angewandt werden.
Die Verfilmung „Volavérunt“ von Bigas Luna, übrigens mit Penélope Cruz, zeigt das Ekstatische ebenso wie den Wunsch, dass jenes Feminine in der Gesellschaft ankommt – endlich ankommen möge und ernsthaft wahrgenommen werde. Darüber hinaus wird auch hier eine Kriminalgeschichte gleich mitverankert. Die Darstellung, die Goya in diesem Film erfährt, ermöglicht es dem Publikum – und hier ist es ein internationales Publikum – den Goya von Neuem und für sich selbst zu entdecken.
Auch die Interpretation des Goya als Maler des Barock, ja eines Malers der der Unregelmäßigkeit, im Sinne eines sich jeder rationalen Vermessung entziehenden Topos widmete, um so sein eigenes Schönheitsideal zu präsentieren, es zum Leben zu erwecken, wie es sich in den Romanen des Kubaners Alejo Carpentier andeutet, wird hier in exponierter Manier einer Darstellung zugeführt. In diesem Abschnitt des Buches lässt Jacobs, Alejo Carpentier sagen, dass Goya mit seinen Werken vor allem auch als Motivation für die Menschen gesehen werden solle. Eine Motivation, die den Menschen auf die Überwindung seiner Grenzen aufmerksam mache und jene Grenzen in Frage stelle. Auch hier ist es wieder die Überschneidung zwischen Dichtung und Malerei, die jene Horizonte auftut und so ist auch der sehr wichtige Hinweis auf das Zeitalter der Romantik gegeben, die eben nicht die Zeit des nur weichen Dahinfließens und der Sanftheit war, sondern den neuen Menschen, in seiner neuen Freiheit fokussierte. Ein Mensch, welcher sich des eigenen Könnens und seiner Fähigkeiten bewusst wird und an einer Veränderung der gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht nur interessiert ist, sondern auf jene Veränderung auch hin arbeitet.
Sehr deutlich zeigt sich Goyas Bild als eines Erneuerers und Ideengebers einer neuen Zeit, so wie es in den Rezeptionen der Autoren:innen aus völlig unterschiedlichen Ländern der Erde zum Ausdruck gebracht wird. Goya war seiner Zeit ein Sinnbild für eine anbrechende Moderne und ist auch heute modern. Warum? Weil sich seine Ideen und die Kundgabe jener in seinen Werken auf und in unsere Zeit transformieren lassen. Modern war Goya auch aus dem Grunde, weil er die Ideen der Aufklärung nicht kritiklos übernahm und nicht dem Fortschrittsglauben der Wissenschaften anhing. Goya malte seine Werke in diesem aufgeladenen Spannungsverhältnis. War er dabei vom Pessimismus bestimmt? Nicht nur ein reiner Pessimismus scheint dafür verantwortlich, denn dies mag nicht der alleinige Beweggrund gewesen sein, solche Werke zu erschaffen. Bezüge zu Missständen in der Gesellschaft waren gegeben und obwohl offensichtlich, so doch nicht die schlechthinnige Antriebskraft für Goya, zeigen sich doch auch in jenen so düster und grotesk anmutenden Werken immer auch heitere, gar verspielte Anleihen. Dennoch bleibt letztendlich der Zweifel bestimmend? Wohl eher nicht, denn Goyas Ausrichtung bekundet eine deutliche Wunschvorstellung, dass infolge seiner Werke sich ein Verständnis für die Gesellschaft ergeben möge, aus welcher eine Besserung entstehe.
Düsternis, Gewalt, Grausamkeit und Tod mögen doch nicht das letzte Wort haben. Aus diesem Grunde hält Goya den Menschen seinen Spiegel in einer Direktheit vor, um dem im Menschen innewohnenden Negativen doch Einhalt gebieten zu können. Doch immer wieder lassen sich auch die anderen Interpretationen vertreten, die an Hand des Saturnbildes jenes ausdrücken, welches mit dem nie aufhörenden Schrecken verbunden ist, da der Mensch in seiner Sündhaftigkeit, gar Dummheit, in der er auf immer verharrt, niemals aus diesem Kerker seines eigens veranstaltenden Elendes wird ausbrechen können. Ein Lichtblick könnte hier Goya als Inspirationsquelle für die Malerin Maruja Mallo (1902-1995) gewesen sein. Für die Malerin war die „Einschätzung Goyas durch Eugenio D‘Ors: Goya stehe an der Schwelle zur Romantik“ geradezu richtungweisend. Von dem Aspekt einer absoluten künstlerischen Freiheit aufgefordert, ging sie ihren eigenen Weg. Die früheren Bilder Goyas wie „Der Strohmann“ (1791-1792) oder „Der Sonnenschirm“ (1777) zeigen Goya nicht als Meister des Dunklen und Bedrohlichen. Mallo sieht Goya sogar als „Vorläufer des weltweiten Impressionismus: ein Kult der Farbe…, des Lebens, im Gegensatz zur toten Malerei.“ Doch später interpretiert Mallo Goya auch nicht mehr nur als Romantiker, sondern doch eher als der Aufklärer, da er vornehmlich gesellschaftskritisch gesehen werden könne und so auch Impulse für ein „postfranquistischen demokratischen Spanien“ initiierte.
Die Rezeptionen, die zeitübergreifende Dimensionen offenlegen und in diesem Buch von Jacobs vorgestellt werden, lassen mehrere Perspektiven hinsichtlich des Dunklen, des Verzweifelns wie auch des Neuen und Zuversichtlichen erkennen. Ein großangelegtes Personenverzeichnis wie eine ausführliche Bibliographie runden die Betrachtungen des Autors ab und geben den Leser:innen hilfreiche Handhabungen. Damit wird auch indirekt zu einem weiteren Selbststudium aufgefordert. Das Buch ist nicht nur jedem Goyakenner „ans Herz zu legen“, sondern allen, die sich einer weiterführenden Perspektive, hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte zu Goya als Phänomen der Kunst öffnen.
Dem Autor ist ein äußerst erbauliches Werk gelungen, welches sich nun in die (seine) Goya Studien einreiht. Es verlangt aber auch eine gewisse Hingabe und Anstrengung der Leser:innen, sich dieser überaus vielseitigen Gesichtspunkte zu widmen.
Titel: Goya-Studien III
Die Rezeption Goyas in Spanien und Lateinamerika. Zahlreiche farbige Abbildungen
Jacobs, Helmut C.
Gebunden, 536 S.
Sprache: Deutsch
Königshausen & Neumann (2024)
ISBN-13: 978-3-8260-8790-5