Kataloge

Henatsch, Martin (Hrsg.): Henry Moore. Wie die Natur, Kerber Verlag 2007.

Das Werk Henry Moores gilt zurecht als Inbegriff der Moderne – sowohl was das Menschenbild angeht wie auch die Form –, ein Werk, das wie kaum ein anderes den Raum mit einbezog.

Da verwundert es zunächst, dass Moore bereits in seinen surrealistischen Anfängen einem Schönheitsbegriff zustrebte, der den Ausformungen, ja Ausformulierungen der Natur entsprechen sollte. Bei genauer Betrachtung muss man dann anerkennend feststellen, dass der Bildhauer in einer genialischen Metamorphoseleistung tatsächlich naturhafte Formen in sein Schaffen integrierte, sie vereinnahmte – und so Aussagen zum schicksalhaften Dasein des Menschen machte, die ganz bei der Kunst waren. Die Grundformen waren Knochen, Steine, pflanzliche Strukturen, deren naturhaft rhythmisches Spiel Moore willentlich ins kunstvolle Spiel wendete. »Beim Knochenbau findet man ... Prinzipien, die für die Bildhauerei sehr wichtig sein können«, so ein Zitat in dem von Martin Henatsch herausgegebenen Buch »Henry Moore. Wie die Natur« im Kerber Verlag. »Man kopiert die Knochen nicht, sondern verwendet die gleichen Prinzipien, wie die Natur sie benutzt hat, um aus dieser Form kräftige Formen zu gestalten.«

Das Buch, erschienen anlässlich einer Ausstellung im abgelegenen Neumünster, wo unter der Regie der Herbert-Gerisch-Stiftung ein Skulpturenpark entsteht, der Anschluss an die großen Projekte sucht, stellt den Plastiken Moores dessen Druckgrafik gegenüber, die den Naturbezug noch deutlicher machen als die Skulpturen – sei es, dass sie direkt als skizzenhafte Naturstudien durchgehen könnten, sei es, dass sie im Detail die formale Verwandtschaft natürlicher und künstlerischer Elemente offen legen. Ermöglicht wurden die Ausstellung wie das Katalogbuch durch die Kooperation mit der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum – Zentrum Internationaler Skulptur, Duisburg.

Ganz neu ist die Beleuchtung der Mooreschen Grafik im Rahmen seines bildhauerischen Werks nicht, aber die konzentrierte Präsentation in einem erfreulich schmalen Band profiliert diesen Aspekt einmal mehr: Immerhin ist nicht oft genug zu sagen, dass Plastiker zumeist auch wahre Zauberer mit dem Zeichenstift oder der Radiernadel sind, und es ist zudem ein Genuss, gerade bei Moore die plastische Form gleichsam aus der Fläche heraus zu begreifen. Leider scheint die Papierwahl für das Buch nicht optimal gewesen zu sein. So gut die Qualität der Farbabbildungen ist, so dumpf und dunkel kommen manche grafischen Arbeiten daher, die nicht mit dem Dunkel der Blätter selbst gleichziehen können.

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Und dann gelingt dem Band doch auch eine Überraschung, die gerade die dunkelsten Bilder betreffen: die fulminanten literarischen Mappenwerke, die tatsächlich weniger bekannt sind. Aus persönlicher Verbundenheit entstand etwa eine Grafikfolge zu Gedichten Wystan Hugh Auden (1907–1973, hierzulande eher bekannt als Gatte der Erika Mann), die Moore weniger illustrierend als assoziativ umsetzte. Der Naturbezug ist hier zwar nicht mehr ausschlaggebend – der kehrt dann in den »Stonehenge«-Blättern wieder –, aber mit den naturähnlichen Stimmungsmotiven wie Mond, Nacht, Wind usw. fügen sich die Arbeiten gut in das Gesamtkonzept ein.

Was am Rande erwähnenswert ist – obwohl es im Katalog keinen Niederschlag findet –, dass Moore zur Eröffnung des Skulpturenparks antrat und in seinem Umfeld Kollegen wie Abakanowicz, Antes, Finlay, Kadishman, Paladino, Poirier & Co trifft. Bei einer solchen Riege hätte man freilich Moore auch gern in anderem Zusammenhang gesehen – ein Gigant, der überall zu Hause ist.

 

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