„Er ist der Größte von uns allen“ waren die lobenden Worte des großen Pablo Picasso über seinen Kollegen Henri Matisse (1869–1954). Nicht weniger begeistert von Matisse’ Werk ist Ernst Beyeler, Gründer der Fondation Beyeler: „Das Resultat ist großartig, ich bin selbst überrascht, wie viel noch zu entdecken ist“.
Die retrospektiv angelegte Ausstellung „Figur Farbe Raum“ in der Fondation Beyeler setzt sich vor allem mit Matisse’ Lieblingssujet auseinander: der weiblichen Figur. Die stetige Entwicklung seiner Arbeit ist durch die chronologisch angeordnete Ausstellung hervorragend zu beobachten. Matisse war ein großer Experimentator, sehr ehrgeizig, immer an sich arbeitend, sogar als schwer kranker Greis, im Rollstuhl sitzend, sorgte er mit seinen wunderbaren Scherenschnitten für großes Aufsehen. Besonders die „Papiers decouples“ sollten eine Quintessenz seines künstlerischen Schaffens sein, das Ergebnis einer Suche. Doch die Phase mit den eindrucksvollen Scheren-Arbeiten stand ganz am Ende seines großen Künstlerlebens. 160 Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen zeigen eindrucksvoll die ganze Spannbreite seines Schaffens und bestätigen ohne Zweifel, dass Henri Matisse die Bewunderung seiner Kollegen, Kritiker, Kunstliebhaber und Betrachter seiner Werke verdient hat.
„Ein Spaziergang durch Matisse’ Kunst, ein Flanieren,“ schwärmt Ulf Küster, einer der Kuratoren der Ausstellung, soll die ganze Schönheit, das leuchtende Streben der Harmonie zeigen. Chronologisch angeordnet, mit Sichtachsen verbunden, steht der Entdeckungsreise im Werke von Matisse nichts im Wege. Frauen dominieren von den frühen 1890er Jahren bis zum Spätwerk in den 1950er seine Kunst. Zuerst sehr traditionell, ruhig und zurückhaltend, das Gesicht abgewendet und in dunklen Farben präsentiert sich das Gemälde „La Liseuse“ von 1985. 15 Jahre später sieht dies schon ganz anders aus: grelles Pink, leuchtendes Rot, strahlendes Gelb, sattes Grün, eine wahrhaftige Farbexplosion zieht sich durch seine fauvistische Phase. Durch „einen lebhaften Farbzusammenklang“ entstehe „eine Harmonie, ähnlich derjenigen einer musikalischen Komposition“ beschreibt Matisse in den „Notes d`un peintre“ seinen Weg, die ideale Kunst zu erreichen. Den bildlich dargestellten Rhythmus und die Harmonie werden am deutlichsten in den Gemälden „La danse II“ und „La musique“ von 1910, die leider nicht in der Ausstellung zu sehen sind, sondern in der Eremitage in St. Petersburg hängen und zu seinen bekanntesten Werken zählen. Einen kleinen Ausschnitt von „La danse“ ist jedoch in dem Gemälde „Nature morte a „La danse““ zu erkennen, der untere Teil des Tanzbildes ist sozusagen als Bild im Bild gemalt. Die Liebe zur Farbe, vor allem aber auch zum Detail wird durch den oft außergewöhnlichen „ornamentalen Hintergrund“ deutlich.
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Das Gemälde „Figure decorative sur fond ornemental“, 1925/26 weist wie kein anderes Werk die emblematischen Attribute seiner Malerei auf: eine Frau, Blumen und vor allem die wunderbar bunten Stoffe im Hintergrund. Aus vielerlei Aspekten ist dies wohl das bedeutendste Werk der „Nizza-Periode“ (1918-1929), zum einen wegen dem Modell Henriette Darricarrere, die in dieser Phase für viele Gemälde posierte und zum anderen wegen den fantastischen Farben und der ornamentalen Vielfalt. In Nizza veränderte sich einiges an Matisse’ Arbeitsweise, er veränderte sein Atelier; er dekorierte es mit Stoffbahnen, Teppichen, Vorhängen und schenkte die ganze Aufmerksamkeit der Präsentation seines Modells. Der mit Blumen übersäte Stoff in der „Figure decorative“ scheint es Matisse sehr angetan zu haben, denn er erscheint noch bei weiteren Werken: in „Deux odalisques“, 1927/28, „Odalisque au fauteuil turc“, 1928 und in „Le repos des modeles“, 1928. Und wenn man bei der „Figure decorative“ ganz genau hinschaut, ist ein winziges Detail zu erkennen: eine kaum sichtbare winzige Geige, die zwischen dem Blumentopf und einem blauen Ornament gequetscht ist. Warum und weshalb und ob das die Geige seines Modells Henriette ist oder nicht, bleibt dahingestellt und unserer Phantasie überlassen: wichtig ist einzig und allein das Detail an sich und die Geschichte, die es erzählen möchte.