Ausstellungsbesprechungen, Meldungen zum Kunstgeschehen

Henri Rousseau, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, bis 9. Mai 2010

Henri Rousseau (1844-1910) hat mit seiner Malerei Grenzen überwunden und neues Terrain betreten. Der Zollbeamte Rousseau hatte keine Kunstschule besucht und malte zunächst nur in seiner Freizeit Bilder, die außerhalb der akademischen Tradition lagen. Lange als naiver Maler verkannt, schaffte er den Durchbruch in den Pariser Salons erst spät. Es waren Dichter wie Apollinaire und Künstler wie Picasso, Léger, Delaunay und Kandinsky, die als Erste seine herausragende Bedeutung erkannten. Mit seinen wunderbaren, oft traumartigen Bildkompositionen steht Rousseau für die Wiederentdeckung der Fantasie am Anfang der Moderne. Es gelang ihm so, der Kunst neue Welten zu eröffnen, welche etwa die Kubisten und die Surrealisten beeinflussten und bis heute kleine und große Kunstliebhaber begeistern. Unser Autor Günter Baumann hat die Ausstellung für PKG besucht und sich von dieser Begeisterung anstecken lassen.

Die Rolle Van Goghs und Cézannes für die frühe Moderne ist vielfach dokumentiert, der hinlänglich bekannte Henri Rousseau (1844–1910) ist unter diesem Aspekt eher selten untersucht worden. So einleuchtend dieses Ansinnen auch ist, das die Fondation Beyeler in ihrer aktuellen Ausstellung erkennen lässt, so mächtig steht eine Hürde auf dem Weg zum Wegbereiter: die des Spiritus rector der Naiven Malerei, die ja geradezu im Widerspruch zu den Phänomenen der Moderne steht: Hier die Zeitlosigkeit, der Versuch einer Rettung des Idylls, dort die Haltlosigkeit einer sich selbst gefallenden Zeit. Dabei schauen die Ausstellungsmacher nur genau hin und zerpflücken die heile, urwüchsige Welt, in der Leben und Tod ein zwar mitunter grausames, aber eben natürliches Zusammenspiel miteinander eingehen – was herauskommt, ist ein kalkulierender, scharf inszenierender und ästhetisch reflektierender Blick auf das Motiv, ob nun Harlekin oder Löwe. Was wir eigentlich immer schon ahnten, wenn nicht insgeheim wussten, tritt hier wie selbstverständlich zu tage: Die Paradiese des »Zöllners« Rousseau sind keine, und der undurchdringbare Wald ist kein umgrenztes Rückzugsgebiet, sondern gibt den Dschungel in uns und auch die Verflechtungen des Daseins mit und in unseren Städten wieder. Kein Wunder, den Urwald lernte Rousseau ohnehin nie authentisch kennen, und die Abgründe, die malerisch gesehen durch den naiven Duktus fast putzig daher kommen, entpuppen sich bei Rousseau tatsächlich als Abgründe, die alles andere als bloß naiv sind. Damit wechselt der Künstler unvermittelt die Seiten und kommt da an, wo ihn Picasso, mehr noch Fernand Léger, Max Ernst & Co. bereits früh abholen. So erklärt sich, warum die Kuratoren bei Beyeler, darunter Philippe Büttner, nun einen »Pionier der Moderne« feiern.

Die 40 Werke müssen dabei gar nicht mühsam umgewidmet werden. »Ein Karnevalsabend«, ohnehin eine der stärksten Arbeiten von Rousseau, nimmt in der symbolistischen, wenn nicht prä-existenzialistischen Bedeutungsperspektive (Mensch und Umwelt), in der wohldurchdachten Komposition (Senkrechte/Waagerechte von Vegetation und Bewölkung; Mond/Menschenpaar usw.) und dem Thema (Karneval) wie selbstverständlich einen Platz in der frühen Moderne ein. Zudem zeigt der Seriencharakter der späteren Urwald-Bilder, dass der Maler einem stringenten Programmplan folgte – im Detail geht dies bis hin zu Selbstzitaten –, der sich nicht mit der Launenhaftigkeit vieler Naiver deckt; ob sie die Tierwelt mal spielerisch, mal hungrig oder mal verschwörerisch gibt: immer ist die lauernde Gefahr fast mit Händen zu greifen, zumal das Hauptgeschehen in der Regel übergroß im Vordergrund dargestellt wird. Ganze Werkgruppen lassen sich zusammenfassen, sodass man einen facettenreichen Rundumblick auf das Œuvre erhält. Ganz stimmig ist da, dass die Schau Abstand von einer chronologischen Ordnung genommen hat. Empfangen wird der Besucher von Porträts, erst dann folgen Landschaften, die den Besucher in formatbestimmten Etappen bis zu den großen, überwältigenden Dschungelbildern, die spielend – ja, wörtlich genommen: explizit im themenverwandten »Ballspieler« – den Surrealismus vorwegnehmen: Die aufgekratzten Männer, die sich wie Ballerinen gebärden, scheinen mit dem roten Ball zu spielen, der auf anderen Gemälden noch als Sonne über der üppigen Pflanzen- und wilden Tierwelt steht. Dass die Werkgruppen sich dabei gar nicht nur thematisch zusammenfinden, wird da schon angedeutet. In anderen Kontexten, die freilich auch der (vor)gegebenen Auswahl an Gemälden Rechnung tragen, treten kompositionelle Aspekte in den Vordergrund wie die von Vegetation umgebener Figurengruppen (die auch – das ist der Clou – animalischer Natur sein können).

Wer nun dennoch den Naiven, den autodidaktischen »Zöllner« für sich bewahren will, muss nicht auf ihn verzichten. Kaum ein Künstler schafft diesen Spagat zwischen dem weltfremden Blick des einfältigen Dilettanten und dem analytischen Visier auf eine außer Kontrolle geratene Welt. Dass sich Henri Rousseau dazwischen so sicher bewegte wie ein selbstbewusster Traumwandler, zeigt nicht zuletzt sein Umgang mit der Fotografie, die er interessiert zu Rate zieht und – untergründig hinterlegt – malerisch elegant überspielt. Und jenseits solcher Kategorisierungen sieht man in der Ausstellung etliche Arbeiten, die völlig unverbraucht sind, weil sie kaum auf Kalenderblättern auftauchen, die ihresgleichen suchen wie etwa »Das Schiff im Sturm«, das kurz vor der Jahrhundertwende 1900 mit einem starken Zeichen die Epochengrenze zur Moderne hin markierte.

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