Buchrezensionen

Henry Keazor: Täuschend echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung, Theiss 2015

Jedes Jahrhundert hatte seine Kunstfälscher, deren Machenschaften früher oder später aufgedeckt wurden. Fälschungen sind skandalträchtig, denn die Betrüger stellen Kunsthistoriker und Experten bloß, woraufhin deren Wissen von der Gesellschaft in Frage gestellt wird. Henry Keazor ist Kunsthistoriker und forscht zu dem Phänomen der (Kunst-) Fälschung und legt nun eine Geschichte der Kunstfälschung vor. Thyra Mecklenburg hat sich auf die Spuren der Fälscher begeben.

Gegenwärtig bringt der Fall Beltracchi den Kunstmarkt aus dem Gleichgewicht. Wolfgang Beltracchi hat mit Unterstützung von Büchern und einem Kinofilm eine enorme Popularität erlangt und wird in der Presse gleichermaßen als gute wie böse Figur dargestellt. Seine Fälschungen moderner Kunst fanden weltweit Zuspruch, doch letztendlich wurden ihm Titanweiß und gefälschte Aufkleber auf der Rückseite der Gemälde zum Verhängnis: 2011 konnte er wegen »gewerbsmäßigen Bandenbetrugs«, anhand von vierzehn Bildern verurteilt werden. Angeblich soll er in den letzten vierzig Jahren bis zu 300 Bilder gefälscht haben, die noch heute im Umlauf sind. Durch das Einschleusen der Fälschungen führte er das System des Kunstmarktes regelrechtvor.

Beim Lesen wird schnell klar: Es braucht immer wieder einen neuen Fälschungsskandal, um das Interesse an dem Thema zu wecken. Keazor erläutert daher in chronologischer Abfolge von der Antike bis in die Gegenwart bekannte, aber auch fast vergessene Fälle der Kunstfälschung. Diese Fälschungen müssen in ihrem historischen Kontext betrachtet werden, denn sie sind nur über einen bestimmten Zeitraum hinweg glaubwürdig. Der Fälscher braucht eine gewisse Begabung, damit seine Fälschungen als originale Kunstwerke am Markt anerkannt werden. Letztlich werden aber, betrachtet man die Beispiele Henry Keazors, stets Ungereimtheiten auftauchen, die ihn entlarven. Das Wissen über eine Fälschung verändert dabei den Blick des Betrachters auf das vermeintlich originale Werk und zugleich dessen Wert.

Im Folgenden erläutert er dies anhand mehrerer Beispiele. Als Beispiel für eine Antikenfälschung dient die »Tiara des Saitaphernes«, die im 19. Jahrhundert vom Kunsthandwerker Israel Rouchomovsky hergestellt wurde. Den Archäologen kamen Zweifel an der Echtheit der Tiara, da sich die Details innerhalb des Werks widersprachen. Die Goldkrone wurde nichtsdestotrotz sogar 1896 vom Louvre angekauft und befindet sich noch heute in dessen Depot. Rouchomovsky gab an, der Fälscher des Werks zu sein, woraufhin ihm nicht geglaubt wurde, sodass er vor den Augen eines Gremiums eine Arbeitsprobe anfertigen musste, um sein Können als Fälscher zu beweisen.

Ein weiterer Fall beschäftigt sich mit dem Maler Lothar Malskat, der im Zuge von Restaurierungsarbeiten im Jahr 1937 im Schleswiger Dom gotische Ornamentfriese wiederherstellen sollte. Da keine mittelalterlichen Wandmalereien mehr vorhanden waren, ersetzte er sie kurzerhand durch eigene Interpretationen. Der erfundene Truthahnfries weckte Zweifel an seiner Arbeit. Selbst die Meister der Kunstgeschichte haben keine weiße Weste: Unter anderem war Michelangelo dafür bekannt sich in einen Künstler hineinzufühlen und ihn nicht nur zu kopieren. Einerseits war er selbst als Fälscher tätig, indem er einen »Schlafenden Cupido« in ein antikes Kunstwerk verwandelte. Andererseits wurde ihm ein David-Modello zugeschrieben, das mit der Ähnlichkeit zum Marmor-David in Florenz spielte.

Keazor macht aber mehr als nur eine Geschichte der Fälschung nachzuzeichnen, er entwickelt auch Methoden für den Umgang mit unechten Kunstwerken. So plädiert er für den Aufbau von Fälschungsarchiven, da viele Fälschungen trotz ihrer Enttarnung nach einigen Jahren dann doch wieder als Originale in den Kunstmarkt gelangen. Die Krux dabei ist, dass der Kunsthistoriker hofft, als erster ein verschollenes Kunstwerk wiederzuentdecken. Dieser Fund bietet ihm die Chance auf einen Karriereaufschwung, wissenschaftlichen Ruhm und finanziellen Anreiz. Der Kunsthistoriker folgt den Spuren des Fälschers und wird somit unweigerlich zu dessen Komplizen.

Aber auch im Bereich des Kunsthandels kann die Verbreitung von Fälschungen unterstützt werden, indem Werke aus Geldgier zum Original erklärt werden, obwohl es sich dabei ursprünglich nur um die Stilaneignung eines Künstlers handelte. Den Fälschern will man dabei also glauben, dass ihre Werke echt sind, wohingegen die Stimmen der Experten, die an deren Originalität zweifeln, ignoriert werden.

Fälscher können auf erfolgreich sein: Im 20. Jahrhundert stellte Alceo Dossena Renaissancefälschungen her und war nach seiner Entlarvung als Fälscher weiterhin erfolgreich als Künstler tätig. Ihm wurde sogar eine eigene Ausstellung gewidmet. Mit der Zeit wurden seine Werke kritisiert, da er sich bei deren Ausführung nicht mehr besondere Mühe machte: Die Kritiker vermissten ein künstlerisches Profil – Parallelen zum Fall Beltracchi. Dieser wird für seine Fälschungen nicht nur verurteilt, sondern auch für sein Können bewundert, weshalb er heute Werke unter dem eigenen Namen verkaufen kann.

Einer der meist gefälschten Künstler des 19. Jahrhunderts ist Vincent van Gogh. Bei ihm fällt auf, dass Fälschungen nicht zwangsläufig einen großen zeitlichen Abstand zu ihren Vorbildern besitzen müssen. Sie können bereits ein paar Jahre nach dem Tod des Künstlers entstehen und sogar authentischer wirken! Die Van-Gogh-Fälschungen von Otto Wacker wie Selbstporträts und Landschaftsdarstellungen wirkten auf die Zeitgenossen im Vergleich zu den originalen Bildern echter und interessanter. Erst bei der direkten Gegenüberstellung von Original und Fälschung wurden die Unterschiede sichtbar.

Zu den Fälscherberühmtheiten des 20. Jahrhunderts gehört auch Han van Meegeren. Seine Fälschung von Vermeers »Christus und die Brüder von Emmaus« entsprach in den 1930er Jahren den Vorstellungen der Gesellschaft im Hinblick auf den Idealtypus eines Vermeer-Gemäldes. Der Blick des Betrachters hat sich mit dem historischen Abstand auf das Bild verändert, denn heute empfinden wir genau dieses Gemälde als untypisch für Vermeer. Die Geschichte um die Vermeer-Fälschungen wurde zum Vorbild für diverse Romane und Filme. Van Meegerens Lebensgeschichte sowie die Verbindung Fälschung und Nationalsozialismus (Vermeer-Fälschung landeten schließlich in Joseph Goebbels‘ Sammlung) fasziniert die Menschen.

Besonders spannend sind in Keazors Studie die Verknüpfungen der Geschichten über Fälschungen mit Romanen, Biographien und Filmen über ehemalige Kunstfälscher. Im Fließtext wird oft auf Inhalte in der Einleitung verwiesen, was den Leser dazu verleitet hin und her zu springen. Auch wären zum Verständnis einiger Beispiele mehr Abbildungen sicherlich hilfreich gewesen. Hingegen verschaffen die Anekdoten der Fälschungsfälle dem Leser einen hervorragenden Überblick, sodass er dazu angeregt wird sich vertiefend mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür empfiehlt der Autor denn auch gleich die Datenbank arthistoricum.net, die Zugang zur gesamten Fälschungsliteratur bietet. Diese Publikation zeigt, dass das Interesse an dem Phänomen der Kunstfälschung dauerhaft besteht, denn die Fälscher ziehen die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich. Im aktuellen Fall erhofft sich Wolfgang Beltracchi, als einer der großen Kunstfälscher des 21. Jahrhunderts in die Geschichte einzugehen.

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