Ausstellungsbesprechungen

Herbert Franz – Die sieben Siegel der Offenbarung

Mit der Präsentation "Die sieben Siegel der Offenbarung", die in der Kreuzkirche Dresden bis zum 19. April 2009 zu sehen ist, begegnen dem Besucher meisterlich verknüpfte Bildwelten, die von einem lebendigen Pinselduktus sowie einem filigranen Zeichenstrich zeugen und deren Inhalte scharfsinnig, gesellschaftskritisch und lebensnah sind.

Mit der Ausstellung „Die sieben Siegel der Offenbarung“ zeigt die Kreuzkirche Dresden noch bis zum 19. April 2009 die Werke des 1953 in Wernigerode geborenen Künstlers Herbert Franz. In Tuschezeichnungen, Radierungen und Mischtechniken artikulieren sich einerseits die Gegenwartsbewältigung des Künstlers und andererseits die behutsame Hinwendung zu religiösen Mythen des Alten Testaments, die menschliches Leben in seiner ganzen Vielfalt erfassen. Dabei steht – wie Anneliese Hübscher es in ihrem Katalogbeitrag formuliert – die „Suggestivkraft der Bildsprache […] der Wortgewalt der Texte in nichts nach.“

Bereits beim Betreten des in die Kirche integrierten Ausstellungsraumes begegnet dem Besucher die zentral positionierte, siebenteilige Arbeit „Die sieben Siegel der Offenbarung“. Hier vollzieht sich zeichnerisch ein schrittweiser Übergang von Linien und Farbflächen – die eindeutig „Gegenstände“ umschreiben – in solche Kurvaturen und Töne, die unbestimmt und verschwommen bleiben und neben der biblischen Vorlage mit individuellen Bedeutungsgehalten aufgeladen werden können.

Die zweite Arbeit dieser Werkserie „Der Reiter auf dem roten Pferd“ besteht aus dynamisch-kraftvoll gesetzten Pinselzügen, die auf dem braunen Papiergrund weiße, schwarze, blaue und erdbraune Farbfelder formulieren sowie filigranen Lineamenten, die Menschen, Tiere und Pflanzen zum Leben erwecken. Es ist die alptraumhafte Vision von einem „feuerroten Pferd“, auf dessen Rücken jener saß, der ermächtigt wurde, „der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten.“ Jene Bibelstelle bildete den Ausgangspunkt der künstlerischen Transformation, wobei dem Künstler weniger an einer „wörtlichen“ Adaption des Themas als vielmehr einer kritischen, zeitgemäßen Auseinandersetzung damit gelegen war.

Mit der Arbeit „…und die Sonne wurde wie ein schwarzer Sack…“ gestaltet der Künstler die Öffnung des sechsten Siegels, als die Sonne sich dem Schwarz ergab „und der ganze Mond wie Blut [wurde]. Die Sterne des Himmels fielen herab auf die Erde […]. Der Himmel verschwand wie eine Buchrolle, die man zusammenrollt […]. Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und Mächtigen, alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge.“ Hier gipfelt das Staccato der Linien und Farbakkorde im unteren Bildteil und führt dem Betrachter mit schonungsloser Offenheit die Schreckensvision vor Augen. Erst mit der abschließenden Arbeit „…und es war eine große Stille im Himmel…“ finden Form und Farbe zur Ruhe: In langsam fließenden vertikalen und horizontalen Farbbahnen verläuft sich das Chaos der vorangegangenen sechs Siegel. Anhand dieses Bildzyklus’ wird deutlich, dass Herbert Franz nicht sichtbar, sondern uns sehen macht. Indem er die Textpassagen reflektiert, sich ihres Gehaltes klar wird und die bisweilen grausamen Spannungsmomente ästhetisch aufgreift, evoziert er beim Betrachter zunächst eine Irritation. Doch wenn wir uns auf die Werke einlassen, so erblicken wir das Wesentliche – die überzeitliche Wirkung, die sowohl der Bibel als auch der Kunst innewohnt.

Die auf dem Boden im Ausstellungsraum gezeigten „39 Augenblicke“ sind Zeichnungen, die der Künstler nach Reportagefotografien angefertigt hat. Mit Feder und Tusche hat Herbert Franz beispielsweise Soldaten mit Gewehren, eine asiatische Verkäuferin, einen gebeugt sitzenden alten Mann, jene an eine Wand gelehnte Frau, die Zigarette rauchend uns entgegenschaut, Ballerinen mit Spitzenschuhen und Tutu oder ernst blickende Kinder eingefangen. Dabei zeigt sich immer wieder die Schattenseite des Lebens, die auch bei den graziösen Tänzerinnen nicht geleugnet werden kann. Denn auch sie werden nicht im Rampenlicht der Bühne, sondern beim Training gezeigt, das hart und Kräfte zehrend ist.

„Pingo, ergo sum“, so ein Ausspruch Horst Janssens, einem der wohl begnadetsten Zeichner des 20. Jahrhunderts. „Ich zeichne, also bin ich“ – ein Motto, das auch auf Herbert Franz zutrifft, der zeichnend sich dem Menschen und möglicherweise auch sich selbst annähert. Besonders in seiner Serie „Gesichter“, die im Kontext der „Sieben Siegel der Offenbarung“ entstanden sind, erforscht der Künstler mit jedem Strich die menschliche Physiognomie und die Stimmungen, die dem Antlitz eingeschrieben sein können. Hierbei changieren die menschlichen Züge zwischen Leben und Tod und weisen vereinzelt jene Janusköpfigkeit auf, die auch die Selbstbildnisse Janssens prägen.

Inmitten dieser thematisch nicht leicht aufzunehmenden Arbeiten finden sich die beiden kleinformatigen in Aquatinta gefertigten Werke „Schmetterling“ und „Kröte“, die in ihrer feinen, beschwingten und sicheren Linienführung den anderen Zeichnungen in nichts nachstehen.

Das den Ausstellungsrundgang abschließende Werk „Kriegsgefangenenlager Irak 2006“ besticht neben der einfühlsamen Darbietung des Motivs besonders durch die Technik: Auf dem ockerfarbenen Grund positioniert der Künstler eine mit Tusche gezeichnete sitzende Figur, deren Haupt von einer großen, am Ende spitz zulaufenden Kapuze verhüllt ist. Im rechten Arm ein Kind haltend, verdeckt die Person dessen Gesicht mit der linken Hand. Es ist eine „Momentaufnahme“ in irgendeinem Kriegsgefangenenlager im Irak, doch geht sie nicht so schnell an unserem Auge vorbei, wie wir es bei Nachrichtenmeldungen am heimischen Fernseher gewohnt sind. Sie konfrontiert den Betrachter, fordert ihn auf genau hinzusehen und wahrzunehmen, dass dies eine menschenunwürdige Situation ist. Dabei verzichtet Herbert Franz bewusst auf detaillierte Ausgestaltung der Körper und räumliche Tiefenwirkung, sondern zeichnet stattdessen mit Verve die Konturen der Sitzenden, deutet mit einem dunklen Braun und einigen wenigen Linienbündeln Schattenpartien an. Zudem betont er mit weißen Höhungen den Rücken des Erwachsenen, der sich schützend über den Kinderkörper beugt. Weitere weiße Flächen finden sich auf der erahnbaren Bodenfläche und vor den Köpfen der Sitzenden. Der Künstler berührt mit dieser Arbeit ganz besonders stark den Betrachter, der sich nicht in zeichnerischen Detailbeobachtungen zu verlieren droht, sondern das Tragische in seinem Kern erkennen kann.

Mit „Die sieben Siegel der Offenbarung“ überzeugt die Kreuzkirche Dresden durch eine wohl strukturierte Werkpräsentation, ein meditatives Raumambiente und nicht zuletzt durch die zeichnerisch beeindruckenden Arbeiten von Herbert Franz. Fazit: Meisterlich verknüpfte Bildwelten, die gleichermaßen von einem impulsiv-lebendigen Pinselduktus und einem sanft-filigranen Zeichenstrich zeugen und deren Inhalte scharfsinnig, gesellschaftskritisch und lebensnah sind!

Informationen

E-Mail: shen@herbertfranz.de

http://www.herbertfranz.de

Öffnungszeiten

täglich 10-18 Uhr (außer bei Veranstaltungen)

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