Ausstellungsbesprechungen

Hiromi Akiyama – Stein und Stahl, Galerie Schlichtenmaier Stuttgart, bis 18. Juli 2015

Der Japaner Hiromi Akiyama gehört zu den wichtigsten Bildhauern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Karlsruher Professor (1937–2012) hat die Symposionskultur wesentlich mitgeprägt. Er verband wie kaum ein anderer die westeuropäische und ostasiatische Kultur. Eine angedachte Stiftung soll künftig sein Werk in der Öffentlichkeit wach halten. Günter Baumann hat sich eine aktuelle Ausstellung genauer angesehen.

Im Schaffen von Hiromi Akiyama gehen Handwerk und Kontemplation in eins. Selbst in seien monumentalen Skulpturen vermied er, soweit möglich, maschinelle Unterstützung, um sein Material be-greifen zu können. Es gibt Fotografien, die ihn auf riesigen Steinen sitzend zeigen, verschwindend fast, oder abseits, Auge in Auge mit der Skulptur: Das Material ist Partner und Widerpart, allemal Teil eines dialogischen Prozesses. Angesichts des gern verwendeten Granits – in großen Symposienbeiträgen auch des Kalk- oder Sandsteins – kam dies einer herkulischen Aufgabe gleich. Stets arbeitete Akiyama aus dem Monolith heraus, schuf am liebsten mit dem Meißel akkurate Durchbrüche, die den Eindruck vermitteln, der Stein habe sich nicht bloß vom Volumen her verändert, sondern auch in seinem Naturell. Anders als etwa die anthropomorphen oder zumindest biomorphen Formen bei Henry Moore sind Akiyamas ausgehöhlten Öffnungen nicht so sehr Spiel des Körpers im Raum als vielmehr eine meditative Balance von Sein und Nichtsein, Innen und Außen, Volumen und Vakuum. Die Leere, die Akiyama als wesentlichen Aspekt seines Werks betrachtet, ist nicht nichts – im westlichen Verständnis –, und wollte man es im abendländisch-kulturellen Sinne verorten, könnte man sich an die emphatische Sentenz aus Shakespeares Hamlet erinnern: »Dies Nichts ist mehr als etwas.« Akiyama ist natürlich weit davon entfernt, aus dem Nichts heraus zu schaffen – eine Illusion des schöpferischen Aktes –, im Gegenteil: Der Japaner trotzt dem Stein Materie ab, um Leere zu erzeugen. Sein Stoff, sei es Stein oder Stahl, entwickelt sich zur notwendigen Hülle, zum Rahmen oder überhaupt zum Träger, der uns ermöglicht, diese Leere wahrnehmen zu können. Fernab von jeglichem Nihilismus geht es Akiyama darum, die existenzielle Bedeutung des Nicht-Seins anzunehmen und sogar eine Definition des Seienden herauszulesen. Aus Laotses Tao te king ist bekannt, wie dies zu verstehen ist, und es besteht kein Zweifel, dass Akiyama sich dieser Gedanken bediente: »Dreißig Speichen treffen die Nabe / Die Leere dazwischen macht das Rad. / Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen / Das Leere darin macht das Gefäß. / Fenster und Türen bricht man in Mauern / Die Leere in ihrer Mitte macht das Haus. / Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes. / Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.« Das Rahmen/Fenster- wie das Tor-Motiv bei Akiyama machen dies besonders deutlich.

Betrachtet man Akiyamas Schaffen von der minimalistischen oder konkreten Kunst aus, lässt er sich durchaus in der europäischen Bildsprache verankern, und es wäre zu einseitig, ihn auf die fernöstliche Philosophie festzulegen: Sowohl sein Studium in Karlsruhe und Paris als auch seine dortige Beschäftigung mit den fundamental modernen Werken Constantin Brancusis oder Eduardo Chillidas prägten seine Ästhetik. Doch wird seine Rückbindung, die Verwurzelung im japanischen Denken eine wichtige Bestätigung gewesen sein bei der Verbindung von sensualistischer Empfindsamkeit und intellektueller Selbstversenkung – zumal wenn die Wurzeln in Hiroshima liegen, wo Akiyama 1937 zur Welt kam (und das Glück hatte, dass die Familie den Ort vor dem Atombombenabwurf verlassen hatte). Die Skulptur war in Japan traditionell architekturbezogen, das heißt im religiösen Kultus eingebunden, woraus sich die modernen Bildhauer erst in den 1960er und 1970er Jahren befreiten, auch unter dem Einfluss des Westens. Der nahm auch erst in dieser Zeit Notiz von den Nachkriegsströmungen, was zu einer gegenseitigen Befruchtung führte. So traten etwa die konkreten und visuellen Poeten (Katue Kitasono, Seiichi Niikuni) in einen regen Austausch mit deutschen Kollegen der Stuttgarter Schule (Max Bense, Reinhard Döhl). Zahlreiche Bildhauer suchten ihrerseits Erfahrungen in Deutschland, insbesondere in Düsseldorf, aber auch andernorts – hier ist auch Hiromi Akiyama zu nennen. Unter dem Motto »Natur – Zeichen – Raum« fanden sich 1983 nicht weniger als 19 japanische Avantgardisten im Skulpturenpark Seestern in Düsseldorf zusammen, denen eine abstrakte Formwelt gemein war. Handwerklich und technisch bestens in ihrer Heimat geschult, konnten sie der imaginativen Offenheit in Deutschland oftmals souveräner und entschiedener begegnen als die deutschen Plastiker. Steine – »Gottheiten, weil sie die alten Zeiten mitschleppen« (Jun Suzuki) –, besonders die dichten, schweren Steine sind das bevorzugte Material der japanischen Künstler. Akiyama ist hierbei keine Ausnahme, auch wenn er sich ebenso als Stahlplastiker einen Namen gemacht hat. Seit 1967, seiner ersten Beteiligung bei dem Symposion in St. Margarethen, gehört er zu den gern eingeladenen Teilnehmern öffentlicher Bildhauerzusammenkünfte, früh gefördert von dem Symposionspapst Karl Prantl.

Nur ist Akiyama, halb der ostasiatischen Herkunft, halb der mitteleuropäischen Prägung verpflichtet, weder der konkret-minimalistischen noch der konstruktivistischen Schule zuzuordnen. Im Frühwerk gibt er sich noch vegetabiler, verspielter. Sein bereits da spürbarer Reduktionismus ist eher emotional als rational begründet, auch wenn er zum späteren Werk hin systematischer, strenger wurde. Immer gibt er der nüchternen Form – die er dem massiven Block abgerungen hat, bis hin zur scheinbaren Schwerelosigkeit – eine meist minimale, aber oft kühne Wendung: sei es im Verlauf des a-geometrischen Innenraums der »Shadow«-Reihe, sei es in der Rahmenstruktur oder sei es in den skripturalen Raumzeichen aus Stahl. Die Emphase für kleinste Abweichungen ruhte in einer großen Seinsgewissheit, die auf das gesamte Schaffen ausstrahlt (überliefert ist sein Diktum »vielleicht geht«). Akiyama bildet Über- und Durchgänge, die einer gefühlten Logik, aber keineswegs der puren Mathematik folgen. Sein Thema ist die Öffnung, deren Gegenteil nicht ein Verschlossensein, sondern eher ein Verborgensein ist. Das Nichts, das uns aus den Öffnungen entgegenblickt, entspricht dem poetischen Nachklang eines verhallten Gedichts: so anmutig in der ästhetisch rhythmisierten Gestalt, wie sie die umgebende Rahmung, das umhüllende Gehäuse oder das Tormotiv vorzeichnet, und so distanziert, wie es die nahezu vollendete, gedanklich gültige Form gebietet. Übergänge wie Durchgänge verweisen aber auch auf die Verbindungen von Diesseits und Jenseits, nahegelegt durch die denkmalartige Monumentalität, die kaum merklichen Polaritäten wie die zwischen geschliffenem, polierten Stein und seinen dezenten Bruchkanten, oder durch die über das Plastische hinausgehenden Ausblicke, gerade da, wo die Rahmen- bzw. die Torsituation den Blick freigeben auf eine Landschaft, Naturelemente oder fremdes Mauerwerk. Hierzu gehört auch die Symbolik des Schattens, der für Akiyama die dritte Kraft neben dem Material und der Leere darstellte und der ihm die dritte und sogar die vierte Dimension wahrhaftig erschloss. »Der Schatten der dritten Dimension«, so Akiyama, »ist zweidimensional. So gedacht, entspricht die dritte Dimension der vierten Dimension«, womit er bei seinem Thema Raum und Zeit war, die sich – weniger abstrakt – in der gebauten und der rhythmisch bewegten Form widerspiegeln.

Wie sehr der Schatten, ausgezeichnet durch eine »mittelbare, abgestumpfte Lichtwirkung«, mit beiden verbunden ist und darüber hinaus auch den Gedankenraum belegt, offenbart die Lektüre von Tanizaki Jun’ichiros Lob des Schattens, einer Ästhetik des japanischen Denkens. Damit schließt sich auch wieder der Kreis zur fernöstlichen Kultur, die Akiyama zwar nicht ausdrücklich für sich in Anspruch nahm, die er aber doch auch nicht verleugnen wollte. »Abendländer wundern sich« nach diesem Essay, »wenn sie japanische Räume anschauen, über ihre Einfachheit und haben den Eindruck, es gebe da nur graue Wände ohne die geringste Ausschmückung…; aber es zeigt, dass sie das Rätsel des Schattens nicht begriffen haben […]. Fast eher als um Farbunterschiede handelt es sich ganz geringe Hell-Dunkel-Nuancen, die etwa leichten Stimmungsschwankungen des Betrachters entsprechen.« Der Autor beschwört die »Magie des Schattens«, die wir auch in Akiyamas Plastiken sinnstiftend wahrnehmen. »Falls man die in allen Winkeln kauernden Schatten fortscheuchte, wäre die Wandnische augenblicklich nichts weiter als ein leerer Raum.« Ohne je figurativ zu arbeiten – sieht man von dem ironisch mit einem Fragezeichen versehenen, mündlich kolportierten »Selbstporträt« ab, ersetzt der Schatten bei Akiyama die lebendige, diffus menschliche Qualität, die in jeder seiner Steinskulpturen und Stahlplastiken wirkt, im Großen wie im Kleinen. Stets bezog er sein Werk auch auf sich selbst. So darf man keinen Widerspruch in seiner Monumentalplastik und seiner persönlichen Bescheidenheit sehen. Vieldeutig und nicht ohne Witz bemerkte er anlässlich eines Symposions 1986: »Nahezu jeder Bildhauer trägt eine Sehnsucht nach groß-dimensionierten Arbeiten in sich […]. Aber die Qualität ist nicht immer proportional zur Größe. Morgen beginne ich eine kleine Arbeit.«

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