Buchrezensionen

Horst Bredekamp: Der Bildakt, Wagenbach 2016

Seit Jahren widmet sich Horst Bredekamp der Eigenmacht der Bilder, ihrer Präsenz und ihrer fast schon magisch anmutenden Eigenschaft, mehr als nur Objekt zu sein. In seinem Buch untersucht er, wie Bilder es schaffen, zu uns zu sprechen, zu bewegen und Einfluss auszuüben. Ulrike Schuster hat es gelesen.

Das Thema des Buches begleitet Horst Bredekamp schon seit vielen Jahren, in den Grundgedanken wohl schon seine gesamte Kunsthistorikerlaufbahn. Unmittelbar voraus gingen der vorliegenden Publikation die Frankfurter Adorno-Vorlesungen im Jahr 2007 sowie die Erstfassung des Buches von 2010, die für die Neuausgabe grundlegend überarbeitet wurde. Der Gegenstand als solcher ist natürlich keiner, der sich jemals zu Ende erörtern oder gar erschöpfend erklären ließe. »Der Bildakt« handelt von der irritierendsten wie gleichermaßen faszinierendsten Eigenschaft der Bilder, ihrer magischen Präsenz oder Quasi-Beseeltheit. Bilder besitzen, so der Ausgangspunkt, als vom Menschen geschaffene Artefakte kein autonomes Leben, doch sie entfalten eine Wirkung die sie als »autonom aktive Entitäten« mehr sein lässt als toter Stoff.

Rund um das Phänomen, das von der Aufklärung mit Misstrauen beäugt wurde, habe sich gerade in den letzten Jahrzehnten wieder eine lebhafte Debatte entzündet, meint Bredekamp, und er muss es wissen, forschte er doch bereits in den frühen 1970-er Jahren über den Bildersturm. Die Zerstörung von Bildwerken ist zweifelsohne die spektakulärste Form der Begegnung zwischen Mensch und Artefakt. In der Theorie des Bildakts geht es jedoch um viel Umfassenderes, nämlich um die Frage nach der energia, die von den Bildwerken ausgeht. Bredekamp setzt den Bildakt in Analogie zum Sprechakt und er ist ein mächtiges Instrument, denn Bilder geben nicht einfach die Wirklichkeit wieder, sondern sind selbst dazu befähigt, Wirklichkeiten zu konstituieren. Mit weitreichenden Folgen für die Wahrnehmung der Welt.

Die Präsenz der Objekte sei nicht nur an Bilder gekoppelt, führt er in den Anfängen des Buches aus, sie ist ebenso anderen Kategorien von Artefakten zueigen. Dies trifft insbesondere auf Waffen zu, deren Schutzinschriften in der ersten Person sprechen (...me fecit). Bis heute ist es üblich, Weiheinschriften auf Glocken in der Ich-Form zu verfassen. Im Altertum wurden Statuen, Prunkgefäße und Votivgaben auf diese Weise beseelt und führten den Leser in eine Sphäre, in welcher die Unterscheidung zwischen Betrachten und Handeln verschwammen. Die imaginäre Lebendigkeit der Bilder umfasst ein weites Spektrum: In der Mythologie fand sie ihren Niederschlag in der Geschichte von Pygmalion. Ein berühmtes Beispiel von gelebter Praxis war die Statue des sogenannten Pasquino in Rom, der man Zettel anheftete und unter ihrem Schutze politische Kritik und satirische Verse veröffentlichte.

Das Abbild als Doppelgänger des Realen drückt sich in verschiedenen Spielarten aus. Bredekamp unterscheidet in drei Abschnitten zwischen dem schematischen, dem substitutiven und dem intrinsischen Bildakt. Der erstere lässt die Bilder zu lebendigen Wesen werden, was die Beseelung mittels maschineller Motorik einschließt. Unter der Substitution versteht sich der Austausch von Körper und Bild. Es ist wohl jene Bildeigenschaft, die für die meiste Irritation sorgt, wenn Bild und Abgebildetes als identisch begriffen werden. Abdrücke der wahrhaftigen Welt nahmen andererseits in der Kunst wie in der Naturwissenschaft einen hohen Stellenwert ein, bis hin zur ultimativen Steigerung mittels der Fotografie. Substitution war und ist aber auch bewährtes Mittel zur Repräsentation, der Staat, Herrscher und seine Repräsentanten beispielsweise drücken sich durch ihre öffentlichen Symbole aus. Aufgrund ihrer gemeinschaftlich-sinnstiftenden Funktion können Bilder allerdings zuweilen Opfer von Gewaltakten werden, worüber der Autor äußerst zutreffend urteilt: »Gemessen am Grad seiner Aktivität gegenüber dem Bild wird der Bilderstürmer stärker durch die Bilder geleitet als der Bildverehrer.«

Bredekamps Auffassung über die Macht des Bildakts geht jedoch weit über die Wirkkraft von simpler Bildmagie hinaus. Der letzte Abschnitt des Buches handelt von der Suggestion der Form als Form. Sie kann sich an der Farbe entzünden, an einer Struktur oder am Lineament und unabhängig von den Bildinhalten ihr Eigenleben entfalten. Darüber hinaus kann sie die Bedeutungsebene wechseln und einen neuen Aussagegehalt annehmen, wie es Aby Warburg anhand seines Begriffes der Pathosformel dargelegt hat. Doch nicht allein die Kunst setzt Bildakte, sondern auch die Wissenschaft: in Gestalt von Modellen und Diagrammen. Als Beispiele nennt Bredekamp die berühmte Doppelhelix des DNS-Stranges, oder eine lose Skizze Darwins, nach der sich die Verzweigungen der Evolution nicht als hierarchischer (Stamm-)baum darstellen, sondern vielmehr als anarchistisch nach allen Seiten hin wuchernde Koralle.

Diesen Gedankengang einmal weiter verfolgend, gewinnt der Text in seinen letzten Kapiteln eine unerwartete Brisanz. Hieße dies doch nichts Geringeres, als dass die »Kraft der Gefangennahme«, ausgelöst durch die Eigenaktivität der Bilder. auch den Bereich der exakten Wissenschaften durchdringt. Somit wiederum unsere Wahrnehmung der Welt in ihren Fundamenten auf Schemata beruht, die letztlich auch nur Gebilde von Menschenhand sind. Paradox insofern, als wissenschaftlichen Modellen in der heutigen Zeit zuweilen fast schon den Status von Ikonen zugesprochen wird – womit sich irgendwie der Kreis wieder schließt.

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