Ausstellungsbesprechungen

Hot Printing. Hendrik Nicolaas Werkman (1882 – 1945), Staatliches Museum Schwerin, bis 24. Februar 2019

Einen großen Künstler kann man während der Wintermonate in Schwerin entdecken: Das Landesmuseum präsentiert mit 140 Ausstellungsstücken Leben und Werk des einflussreichen holländischen Druckers Hendrik Nicolaas Werkman. Stefan Diebitz ist nach Schwerin gereist.

Auch auf krummen Wegen findet mancher zur Kunst. So geschah es Hendrik Werkman, der von seiner Mutter wegen seiner furchtbaren Faulheit von der Schule genommen wurde, damit er das Handwerk des Druckens erlerne. Das erwies sich als eine gute Wahl, denn dieser Beruf hat ihm ganz offensichtlich viel Freude bereitet, und eine Weile konnte er mit ihm auch gutes Geld verdienen. Aber dann… Als sein Geschäft in eine peinliche Nähe zum Konkurs geriet – 1923 –, zog er die Notbremse, löste es auf und verkaufte die meisten seiner Maschinen.

Schon zuvor hatte er gelegentlich gemalt, aber erst in diesem wahrscheinlich ziemlich traurigen Moment wurde aus dem Drucker ein Künstler, der alles das, womit er sonst Firmenwerbung, Konfirmationsanzeigen oder sogar eigene Zeitschriften gedruckt hatte, umfunktionierte: Er nahm, was er noch in seinen Schränken fand, und machte daraus Kunst. Dank seiner vorzüglichen handwerklichen Ausbildung – er scheint ein wirklicher Meister gewesen zu sein –, aber auch dank seiner Offenheit für alles Neue schuf er in den Folgejahren ein abwechslungsreiches Werk, mit dem man heute leicht einige Säle füllen kann. Und noch einfacher gelingt das, wenn auch sein Einfluss auf die Kunst der Fünfzigerjahre dargestellt wird; besonders schwer fällt hier der Name HAP Grieshaber ins Gewicht.

Zweifellos kommen einem die verschiedensten Kunstrichtungen der Zwanziger- und Dreißigerjahre in den Sinn, wenn man seine Arbeiten sieht, aber ein Epigone war Werkman trotzdem nicht. Es finden sich zwar viele Parallelen, und er machte auch wohl Anleihen, aber ging doch immer seinen eigenen Weg. Auffallend ist zunächst die Nähe zum Bauhaus, denn wie die Meister in Weimar und Dessau war er ein vorzüglicher Handwerker. In dem wirklich großartigen Überblick, den das unten genannte Buch – ein Ausstellungskatalog ist es eigentlich nicht – bietet, schreibt Haan Steenbruggen: „Was Werkmans Kunst jedoch einzigartig macht, ist ihre letztendliche Entstehung aus einem vollkommen authentischen, in seinen eigenen Beweggründen verankerten, inneren Kosmos, der aus einem selbstgefundenen künstlerischen Medium resultiert: der Druckerpresse.“

Die vier allerersten Blätter, die Werkman mit einem selbstgeprägten Wort als „Drucksel“ bezeichnete, kann man jetzt in Schwerin anschauen; sie allein sind noch keine Unikate, wie die große Mehrzahl seiner späteren Arbeiten, sondern von ihnen wurde noch eine kleine Auflage gedruckt. Bei diesen frühen Drucken mag man an Mondrian denken, dessen Bilder Werkman kannte, aber es gibt zahlreiche Unterschiede. Er selbst war ein Drucker, kein Maler, und seine Arbeiten sind bei Weitem nicht so extrem akkurat und präzise ausgeführt wie die Gemälde Mondrians. Überhaupt besteht ein sehr großer Unterschied zu der geometrischen Exaktheit des Konstruktivismus. Das gedämpfte Braunrot dieser Drucke ist übrigens außerordentlich schön, und es ist ein ästhetischer Genuss, die vier Blätter – „Kompositionen“ – zusammen an der Wand zu sehen.

Besonders in dieser ersten Zeit findet man eine Nähe zum Expressionismus. 1923 nutzte er seine jahrelange Bekanntschaft mit den Künstlern von „De Ploeg“ („Der Kahn“), die sich für die Revolution in der Kunst stark machten. Werkman selbst beteiligte sich auf seine Weise, indem er eine eigene kleine Zeitschrift herausgab, »The Next Call« genannt. Diese und andere Aktivitäten waren nicht allein von künstlerischen Ambitionen geprägt, sondern auch von weltanschaulichen Überlegungen, zum Beispiel vom Abstinenzlertum oder von seiner Sympathie mit dem Anarchismus. Im Ausstellungskatalog ist das entsprechende Kapitel ebenso schön wie treffend mit „Getöse auf Papier“ überschrieben.

Wichtig wurde in dieser Zeit besonders die Bekanntschaft zu Jan Wiegers, also einem ausgesprochenen Expressionisten, dessen Freundschaft mit Ernst Ludwig Kirchner das Schweriner Museum 2014 eine schöne Ausstellung gewidmet hatte. Steenbruggen schreibt, dass es Werkman „vor allem um die expressive Dynamik der geritzten Linien und Schraffuren“ geht, als er sich, von Wiegers angeregt, an Radierungen und Lithografien versucht. Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass sein künstlerisches Temperament nicht unbedingt das eines Malers gewesen ist; er war wirklich Drucker, es war mehr als nur ein zufällig gefundener Beruf.

In dieser Ausstellungsbesprechung können nicht alle der sehr vielfältigen Aktivitäten Werkmans angesprochen werden; immer wieder war er nicht allein Künstler, sondern auch Propagandist; und außerdem begann er ab 1927, sein Geschäft neu zu beleben. Wichtig sind seine künstlerischen Buchdrucke, unter denen mit Holzstichen illustrierte Volkserzählungen hervorzuheben sind. Auch experimentierte er mit Typografie, bei der es ungefähr bis 1930 dauerte, bis er, wie es Anneke de Vries ausdrückt, „die Schlichtheit, Präzision und Balance zwischen bedruckter und unbedruckter Fläche erreicht, die für die Neue Typografie so typisch sind.“

In ähnlicher Weise arbeitete Werkman mit großer Zähigkeit an der technischen Weiterentwicklung seiner „Drucksel“. Die extrem anspruchsvollen Produktionsprozesse waren so kompliziert, dass es bis heute nicht gelungen ist, alle seine technischen Tricks nachzuvollziehen. Gelegentlich bestand ein Druck aus bis zu fünfzig Pressvorgängen! Selbst Fachleute stehen ratlos vor den Blättern.

Immer wieder – und auch der Titel der Ausstellung deutet in diese Richtung – fällt die Nähe zum Jazz auf. Stark verfremdete Musikinstrumente tauchen auf manchen Drucken auf, vor allem aber ist es das von Werkman verfolgte Prinzip der geringfügigen Variation, dem wir ungeheuer viele Unikate zu verdanken haben. Und dieses Prinzip ist auch dafür verantwortlich, dass seine Arbeiten praktisch das Gegenteil der Computergrafik darstellen. Sie sind allesamt sehr individuell.

Besonders hervorgehoben werden müssen noch die „Chassidischen Legenden“, die Werkman zu seiner letzten großen Folge anregten. Der Chassidismus ist eine mystische Strömung aus Osteuropa, die der große jüdische Gelehrte, Philosoph und Bibel-Übersetzer Martin Buber Anfang der Zwanzigerjahre für die deutsche Literatur entdeckte. 1943, also zur Zeit der Besatzung der Niederlande durch das Dritte Reich, bekam Werkman von einem Freund Bubers Text „Die Legende des Baal-schem“ geliehen, und von diesem Bändchen angeregt, druckte der Künstler eine sehr bunte, auf den ersten Blick wie Aquarelle aussehende Folge von 20 Blättern, die man sich jetzt in Schwerin anschauen kann.

Ob man sie auch ohne den Titel als jüdisch identifizieren würde? Mir scheint, dass zum Beispiel „Der Weg zurück“ einfach eine menschliche Ursituation zeigt, die den Betrachter unmittelbar anspricht, also auch dann, wenn er selbst aus einer ganz anderen Kultur stammt. Ein müder alter Mann geht, auf einen Stock gestützt, irgendwohin. Wer kann ohne Erläuterung Jerusalem als sein Ziel erkennen? Bei kaum einem der Blätter würde ich von mir aus auf einen Ursprung in der jüdischen Mythologie tippen. Wer allerdings die Mappe erstand, der fand jeweils ein Zitat aus Bubers poetischem Text – „Und wie das Rauschen todesmatter Flügel klang es zurück.“ – und eine Erläuterung in niederländischer Sprache durch Werkmans Freund Henkels.

Ob diese Blätter etwas mit dem Tod Werkmans zu tun haben? Er selbst war kein Widerstandskämpfer, sympathisierte aber mit ihnen, und der Druck dieser der jüdischen Kultur gewidmeten Blätter war natürlich leicht als die Offenbarung seiner Abscheu vor dem Nationalsozialismus zu verstehen. Kurz vor Kriegsende wurde er verhaftet, nur wenige Tage vor der Kapitulation erschossen. Die genauen Gründe kennt man nicht, aber gute Gründe werden es nicht gewesen sein.

Katalog zur Ausstellung:

Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen, Staatliches Museum Schwerin / Ludwigslust / Güstrow und Groninger Museum (Hg.)
H.N. Werkman. Leben & Werk
Michael Imhof Verlag 2015, ISBN: 978-3-7319-0287-4, Ladenpreis 39,95 €

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