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Hubert Kiecol – Separee public. Saarlandmuseum 16. Mai bis 16. August 2009.

Mit der Präsentation der Arbeiten des 1950 in Bremen geborenen Bildhauers Hubert Kiecol wird dem Besucher Einblick in eine der wohl wichtigsten Positionen zeitgenössischer Skulptur gewährt. So begegnen unter den 23 ausgestellten Exponaten beispielsweise Kiecols berühmte Betonhäuser im Miniaturformat der frühen 80er Jahre oder die in den Jahren 2007 und 2008 entstandenen raumgreifenden Skulpturen aus Stahl und Glas. Eine Ausstellungsempfehlung von Verena Paul.

Beim Betreten des hohen, lichtdurchfluteten Ausstellungsraums, der durch weiße Trennwände eine rhythmische Strukturierung erfährt, nehmen wir zunächst die 1990 entstandene Arbeit „Schrank“ wahr. Der aus fünf Fächern bestehende gelbe Stahlhohlkörper öffnet sich mit vier Brettern lamellenartig in den Raum und findet auf einer Betonbasis Halt, die fester Bestandteil der Skulptur ist. Indem Kiecol etwas erschafft, erschließt sich ein neuer Raum, dem durch den Titel eine weitere Dimension eingeschrieben wird. Daher besitzen seine Arbeiten neben ihrer anziehenden Ästhetik eine geistige Tiefenwirkung: Sie spielen mit den uns vertrauten Materialien Beton, Stahl, Holz und Glas, mit den Proportionen von Gegenständen und nicht zuletzt mit dem verwirrenden Zusammenspiel von Werk und Titel, der „von der schlichten Benennung des offenkundig Sichtbaren bis hin zu sprachspielerischen, nachgerade poetischen oder völlig hermetischen Bezeichnungen reichen“ kann, wie Ralph Melcher es in seinem Katalogbeitrag treffend formuliert. Dabei wird das Werk sozusagen entwirklicht und „die Abbildhaftigkeit aufgehoben, zumindest aber zweitrangig, denn das So-Sein der Dinge und ihre Schilderung ergeben nur dann einen künstlerischen Sinn, wenn sie nicht nur auf etwas anderes Dingliches verweisen, eine Geschichte erzählen oder einen Begriff symbolisch durch einen anderen aufscheinen lassen. Vielmehr“, so Melcher weiter, „liegt das Bestreben in diesem Fall darin, eine Ahnung von der Möglichkeit des völlig Anderen zu bekommen, desjenigen, welches eben nicht anschaulich, sondern transzendent ist.“ Insofern ist auch der Schrank kein Symbol oder der Versuch ein raumbildendes oder architektonisches Problem zu lösen, sondern auf dieses hinzuweisen.

In unmittelbarer Nachbarschaft dazu befindet sich die 1987 entstandene Arbeit „Mein ganzes Wissen“. Dieser rechteckige Betonblock, an dessen Oberkante ein Deckel angedeutet werden soll, scheint wie ein Tabernakel etwas Wertvolles in seinem Innern zu verbergen. Was uns anzieht, ist die unbekannte Vertrautheit, das befremdliche Wiedererkennen der Formensprache, von der man sich jedoch lösen muss, um die Skulptur in ihrem Kerngehalt zu erkennen.

Beim Weitergehen gelangen wir im nächsten Ausstellungsabschnitt zu einer Leiter, die – gerahmt von zwei Miniaturtreppen – vertikal in die Unendlichkeit des Raums hineinragt. Bemerkenswert ist die Funktionslosigkeit der skulpturalen Installation mit dem Titel „Auf alle Fälle“ (2007), die eine Art Negation der Wirklichkeit formuliert. Die Gegenstände werden leergesogen und mit neuen Bedeutungen angereichert, die uns die Skulptur aber umso anziehender und intensiver erfahrbar machen. „Kiecols Arbeiten öffnen den poetischen Raum des Möglichen jenseits der Dinge,“ so Melchers Fazit, „indem sie selbst den Begriff des Dings hart und klar beim Wort nehmen."

Dass Kiecols Skulpturen keinen Ready-made-Charakter besitzen, dürfte klar sein, schließlich greift der Künstler nicht in einen vorgefunden Gegenstand ein, sondern erschafft immer etwas Neues – wirklich immer? Die Arbeit „Tisch mit acht Häusern“ aus dem Jahr 1980 lässt uns da allerdings etwas zweifeln – nicht am Ausschließen des Ready-made-Charakters, sondern lediglich an der Beschaffenheit des weißen Tisches. Denn dieses Skulpturteil, auf dem sich die acht, zum Teil mit Farbe bestrichenen, formreduzierten Betonhäuser befinden, scheint einer vergangenen Zeit anzugehören. Möglicherweise muss ich deshalb immer wieder um die Arbeit gehen, die allerdings fester verwachsen, intensiver im Ausdruck, raumgreifender wirkt und von einem eindringlicheren poetischen Duktus bestimmt ist als die benachbarten „Drei Häuser auf Sockel“. Fritz Neumeyer gelangt in seinem Katalogbeitrag zu dem schlüssigen Ergebnis, dass „Hubert Kiecols Hausträume [...] Architektur-Gedichte [sind]. Ihre Zeilen sind für jedermann lesbar. Von ihrer lakonischen Poesie angesprochen zu werden, dürfte nicht schwer fallen.

Die „Rue Fontaine“, die 2007 datiert ist und uns hinter einer weiteren Trennwand begegnet, besticht durch ihre Transparenz und Leichtigkeit, mit der sie sich dem umgebenden Raum öffnet. Die filigranen Stahlkonstruktionen, in die spiegelnde Glasflächen integriert wurden, haben die Bodenhaftung der Betonskulpturen abgestreift und scheinen verschiedentlich im Raum zu schweben. Vergleichbar der Flügelbewegung eines Schmetterlings streben die fensterartigen Formationen der „Rue Fontaine“ in den Raum oder suchen am Boden nach Halt. Es ist ein grandioses Ineinander der Materialien, das beim Umwandeln entdeckt und immer wieder genossen werden kann.

Wenn wir schließlich bei „Morgen oder Übermorgen“ (2007) angelangen, erfahren Eleganz, Grazie und jene kühl-distanzierte Ästhetik der spiegelnden Glasflächen, die in die stählernen Fensterelemente eingespannt sind, eine Steigerung. Kiecols Skulpturen sind, wie Neumeyer es so pointiert beschreibt, "Essenz, stehen still für sich selbst, reden nicht, bringen aber als Formen von vertrauter Fremdheit unsere Vorstellungstätigkeit dafür umso mehr ins Gespräch.“ Diese kantigen Formen und reflektierenden Flächen, die das um sie ereignende Leben geradezu aufsaugen, wollen aufmerksam betrachtet und bedacht, vor allem aber empfunden werden.

Mit „Separee public“ überzeugt das Saarlandmuseum neben der hervorragenden Werkpräsentation in einem außergewöhnlichen Raumambiente ganz besonders durch die Arbeiten Hubert Kiecols, die sich geistreich und gewandt einer eingrenzenden Festlegung entziehen. Zugleich erfassen sie das Unergründliche in einer fesselnden Formensprache, indem sie zwischen Festigkeit und Fragilität, Schwere und Leichtigkeit, Offen- und Geschlossenheit, Innen- und Außenraum changieren. Fazit: Ein echtes Highlight und ein Muss für Liebhaber zeitgenössischer Skulptur.

Weitere Informationen

Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln ein 115 Seiten umfassendes Katalogwerk in deutscher, englischer und französischer Sprache.

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