Kataloge, Rezensionen

Hubertus Gaßner / Daniel Koep / Markus Bertsch (Hrsg.): Müde Helden. Ferdinand Hodler – Aleksandr Dejneka – Neo Rauch, Hirmer 2012

Was haben der Schweizer Symbolist und Jugendstilmaler Ferdinand Hodler, der russische Künstler des Sozialistischen Realismus Aleksandr Dejneka und der bekannteste Vertreter der »Neuen Leipziger Schule« Neo Rauch miteinander gemein? Die Lösung des Rätsels finden Sie im Ausstellungskatalog »Müde Helden«, den Günter Baumann durchblättert hat.

Gegen die landläufige Meinung kann man sehr wohl Äpfel und Birnen vergleichen, es kommt eben auf Kontext und Zielvorgabe an – um im Bild zu bleiben: Nimmt man etwa Bananen dazu, können die anderen Früchte durchaus gemeinsam auftreten. Übertragen auf den Katalogband »Müde Helden: Ferdinand Hodler (1853-1918) - Aleksandr Dejneka (1899-1969) - Neo Rauch (geb. 1960)«, könnte man sich auf den ersten Blick auch fragen, warum man drei Künstler zusammenführt, die weder räumlich noch biografisch irgendwelche hervorstechenden Gemeinsamkeiten haben, noch jemals in irgendeiner Konstellation miteinander verglichen worden wären. Derartige Konjunktive lassen einen in das Buch blättern, das im Frühjahr eine zugegeben spektakuläre Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle begleitete. Einerseits macht das leicht dissonante Begriffspaar des »müden Helden« im Titel schnell hellhörig, dem sich andrerseits im Band die utopische Gestalt des »neuen Menschen« zugesellt, der im 20. Jahrhundert durchaus vitalistische Züge hatte – und es ist genau diese zeitliche Spanne vom Ende des 19. über das gesamte 20. bis hin ins 21. Jahrhundert, die hier mit drei Künstlerpositionen umrissen wird. Neugierig auf mehr, wird der Leser über die Bildstrecken im Vorlauf zu den Textbeiträgen geleitet: Dieses optische Entree reiht die im lakonischen Briefmarkenformat sinnfällige Parallelismen im Zeilentakt aneinander, die im hinteren Katalogteil des Buches informativ unterfüttert werden, im Gleichklang der Themen: Helden – Neue Körperlichkeit – Arbeit – Der Neue Mensch.

So wenig zwingend die Protagonisten der »Müden Helden« sind, so clever erweist sich am Ende die Auswahl. Ferdinand Hodler ist um 1900 eine singuläre Erscheinung, mit einem Bein in der schwülstigen Lebensreformbewegung, mit dem anderen im freigeistigen Modernismus – rückwärts wie vorwärts gleichermaßen zu verorten. So kann man seinen Monumentalismus genauso gut konservativ als auch progressiv deuten, mal symbolistisch, mal prä-expressionistisch. Entsprechend stehen seine Heldentypen mal recht forsch auf der Bergeskuppe, wie sie ein anderes Mal schon müde wirken.

Gänzlich überraschend ist die Wahl des zweiten Künstlers, Aleksandr Dejneka, dessen Werk hierzulande nur hin und wieder in beachtlichen Einzelbeispielen aufgefallen ist (im Osten mag er schon eher platziert gewesen sein). Dass er in dieser Publikation so vielfältig präsent ist, lohnt allein schon den Kauf des Buches, gehört Dejneka doch zu den faszinierenden Vertretern des Sozialistischen Realismus. Das Pathos Hodlers ist ihm nicht fremd, und in seinen Kompositionen und seiner Bildregie weist er weit in die Gegenwart hinein, dass man oftmals eine unmittelbare Verwandtschaft zu Neo Rauchs symbolistisch-realistischer Malweise zu erkennen glaubt. Müde kommen seine daueraktiven Figuren kaum daher, wirken dagegen aber eher zwangsoptimistisch, wie sie auch häufig wie in Zeitlupe bzw. in einem eingefrorenen Augenblick agieren. Beides bringt ein retardierendes Moment in die Szenerie.

Stargast der Schau und Zugpferd des Katalogs ist allerdings Neo Rauch, der sich einen Kosmos erschaffen hat, welcher bislang autonom schien. Dank der Recherche der Ausstellungsmacher zeigt sich Rauch nun fast schon als Vollender der Werke jener beiden Buchkollegen wider besseres Heldentum. Die Klammer über den drei Malern ist möglicherweise in der werteorientierten Haltung begründet, die in allen Fällen als tendenziell bedroht dargestellt wird. Über 80 Arbeiten zierten die Ausstellung, für den Katalog sind darüber hinaus noch weitere, die Thematik unterstreichende Abbildungen eingeflossen.

Die grandiose Bildqualität ist mittlerweile Standard – dass der Münchner Hirmer Verlag hier eine führende Rolle hat, ist auch bekannt und muss nicht eigens ausgeführt werden. Beachtlich ist das hohe Niveau der Textbausteine, die über die bewährten Essays noch hinaus gehen. Einleitend schreibt Hubertus Gaßner über »Traumbilder. Vom Erwachen aus dem Traum vom höheren Leben«, wo die Koordinaten festgelegt werden. »Von Hodlers und Dejnekas Träumereien einer schöneren … Zukunft, die von … real scheinenden Perspektiven bis in utopische Dimensionen reichen, ist in den Bildern von Neo Rauch nichts zu finden«, heißt es da. Der, so schreibt Gaßner weiter, »hält die Scherben des Glücks in den Händen, das bei Hodler auch nur ein erträumtes war«. Theoretisch steht hier Walter Benjamin Pate. Der zweite Essay widmet sich den formalen Analogien bei Hodler und Dejneka: »Die Prinzipien von Rhythmus, Reihung und Parallelismus«. Neo Rauch kommt aber nicht zu kurz, denn es folgt ein langes Interview zwischen ihm und Hubertus Gaßner, das im Umfeld der Ausstellung entstanden ist – »Mein Verstand kommt vollständig zum Erliegen, wenn ich vor einem guten Bild stehe«. Ein solcher Unbedingtheitsanspruch wird aufgefangen von einer melancholischen Grundhaltung, aus der auch die »Müden Helden« des Buchtitels hervorgeht. Ein Novum für einen Ausstellungskatalog sind die abgedruckten Dokumente, die Textauszüge von Gottfried Küenzlen (»Der Neue Mensch«), Alain Ehrenberg (»Das erschöpfte Selbst«), Byung-Chul Han (»Müdigkeitsgesellschaft«) u.a. enthalten. Abschließend präsentiert sich das unfreiwillige Trio in seinen Biografien. Utopie einmal anders, gemeinschaftstiftend – in Schweizer, russischer und deutscher Perspektive.

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