Ausstellungsbesprechungen

I. Bazonnale LUST2010, Viehauktionshalle Weimar, bis 30. Juni 2010

Augiasmus, Orgasmus, Pornografie und Multikulturalität — die I. Bazonnale versammelt unter dem Thema Lust ein breites Spektrum an Bildern. Dass dieser Begriff nicht nur auf Sexualität und Erotik reduziert werden kann, zeigt die Schau in ca. 500 Werken, die sogar erworben werden können. Rowena Fuß war für PKG bei der Eröffnung dabei und ist begeistert!

Das Ausmisten der Viehställe des Augias gehörte zu den zwölf Aufgaben des Herakles, um seine Göttlichkeit zu beweisen. Der Legende nach leitete er dazu einen nahegelegenen Fluss um. Bazon Brock, neben Achim Preiß Schirmherr der Ausstellung und Namensgeber, benutzte die Sage als Basis für seinen Begriff Augiasmus (Erschöpfungslust). Nach Brock dominiert das Luststreben soziale Handlungen, zur Selbsterregung empfiehlt er daher das Vollbringen bedeutsamer Taten. Die anschließend eintretende Erschöpfungslust nach der Lösung schwieriger Probleme u.ä., wie hier der Besuch der Ausstellung, lassen einem Wonneschauer über den Rücken laufen. In diesem Sinn darf der Begriff Orgasmus — als die Prämie der Natur zum Lustgenuss — auch nicht fehlen. In diesem theoretischen Rahmen zeigen nun etwa 200 Künstler aus 17 Ländern ihre Interpretationen zur Lust heute. Es verwundert nicht, dass gleich zu Beginn an der ersten Ausstellungswand in der rechten Hallenhälfte — denn passend zur antiken Erzählung findet die Schau in einer Viehauktionshalle statt — die körperliche Wollust in »Hiroshima mon amour« von Reinhard Wand thematisiert wird. Zu sehen sind zwei Japaner, im Stil des japanischen Farbholzschnittes gehalten, beim Liebesspiel. Wendet man sich nun nach links, stößt man gleich darauf auf zwei vergoldete männliche Geschlechtsteile mit Flügeln.

Auf den ersten Blick schockierend wirken drei Bilder am Ende des Ganges, die ein kleines Mädchen zeigen, welches scheinbar geschlagen wurde und grotesk lacht. Die aufgeplatzte Lippe stammt bei näherem Hinsehen allerdings von zuviel dunklem Lippenstift, ein Unbehagen gegenüber den Bildern bleibt dennoch. Es folgt an der Ecke ein Bild, das einen scheinbar schwangeren Mann mit Hund darstellt und bei mir die Frage auslöst, ob es sich hier um eine Zukunftsvision handelt oder um Wunschdenken. Etwas klarer sind die Stickereien von Angela Behrendt, die an der Ausstellungswand weiße Stoffrechtecke mit Beschriftungen wie »hab mir grad einen runtergeholt«, »Dennis ist sexy« oder »Ihr Hurensöhne« präsentiert. Daneben gibt es auch Abbildungen von einem Bärchen und einer Fledermaus, die man sicherlich als Aufnäher für einen Rucksack verwenden könnte.

An der linken Querseite der Halle hängt ein Bild, das eine menschliche Massenkopulation zeigt und ein paar Bilder weiter gleich von einer zweiten, diesmal mit Schimpansen, begleitet wird. Mir fallen dazu nur Freud und der Mensch als triebhaftes Tier ein. Ganz anders Frank Bauers »Hotelzimmer«, das den Morgen danach in nachdenklicher und sensibler Weise schildert: Ein Mann steht nackt am Fenster eines Hotelzimmers und schaut hinaus, während seine Bettgefährtin sich ihm, oder vielmehr seinem Rücken, denn er steht von ihr abgewandt, zugewandt hat. Es wird der Eindruck vermittelt, als wäre die Frage, ob es was Festes werden könnte, schon geklärt. Der Blick aus dem Fenster deutet an, dass der Mann schon nach der nächsten Frau Ausschau hält, die Frau wirkt frustriert. Beim Umdrehen fällt mir an der gegenüberliegenden Wand ein Bild auf, das hier fehl am Platze wirkt: Es zeigt eine nackte Frau in einem Erwartungszustand, der etwas Meditatives hat. Vielleicht ist dies auch keine schlechte Idee in Bezug auf die gezeigten Bildinhalte in der Ausstellung.

Apropos religiöse Kontemplation: an der hinteren Ausstellungswand, quasi direkt gegenüber vom Halleneingang, findet sich auch ein Bild des Papstes. Ganz in Rosa- und Violettönen gehalten, sehen wir den Papst mit entrücktem Blick und erhobenen Armen, der in seiner linken Hand zwei Papierblätter hält und von zwei Putten umkreist wird. Nicht nur ein Hinweis auf aktuelle Gegebenheiten, sondern auch die Lust am Missionieren, an der Überbringung der frohen Botschaft, versteckt sich hier. Kritischer geht Katja Triol in ihrem Gemälde »Zölibat« mit der Thematik um. In Seitenansicht sieht man die Beckengegend von zwei Männern, einem jüngeren und einem älteren mit einem leichten Bierbauch, die mit einem weißen Lendenschurz aneinander gepresst werden. Zuerst dachte ich bei der Darstellung an ein Gesäß von hinten, aber der zweite Blick auf die angeblichen Pobacken machte mir meinen Irrtum klar.

Im Anschluss widme ich mich der rechten Hälfte der Ausstellungshalle, wo mein Augenmerk gleich von drei überdimensionierten Früchten mit blauen Silikonnoppen gefesselt wird. Die Plastik ist von Rainer Fürstenberg und heißt »stimulus frugalis«. Ich bin fasziniert. Erstaunt bin ich auch über das Bild »o.T.« von Jasmin Kleingärtner, welches eine Gruppe von vier jungen Erwachsenen, inklusive eines Hasen, beim fröhlichen Zusammensein in einer Studentenbude zeigt, das an der rechten hinteren Ausstellungswand hängt. Lust bedeutet eben nicht nur nackte Körper in frivolen Posen, das weiß ich spätestens jetzt. Ein Lächeln entlockt mir an der Querwand der Halle »Mona the Lisa« ein Bild mit Versatzstücken der Gioconda. Das Gemälde zeigt den nackten Oberkörper einer Frau mit dem Kopf der Mona Lisa von Leonardo da Vinci, der Hintergrund besteht aus Farbstreifen in Violett (hell und dunkel), Grau, Weiß, Rosa und Gelb, was dem Bild einen Pop Art-Charakter verleiht. Im unteren Bildbereich ist zudem ein Kartoffelkäfer abgebildet. Das nachfolgende Bild besteht nur aus diesen Farbstreifen, daher wandert mein Auge gleich nach rechts, wo die rechte Körperhälfte der Frau und ein durch ihr Bein halb verdeckter Totenschädel zu sehen sind. Schönheit ist eben vergänglich, denk ich mir.

Mein Weg führt mich an der Wand weiter zu drei plastisch herausgearbeiteten Brustwarzen, die mir aus einem Bilderrahmen entgegenstehen. Dies erinnert mich an das Plakat eines Elektronikfachgeschäftes von 2001, auf dem eine Frau in Bikini mit drei Brüsten abgebildet worden war. Der Slogan dazu hieß »Mehr drin, als man glaubt«. Das betreffende Plakat musste damals schnell wieder entfernt werden, da es als frauenfeindlich galt. Bleibt zu hoffen, dass das an sich witzige Objekt auf der Bazonnale nicht dasselbe Schicksal ereilt.

Ein paar Bilder weiter werde ich mit zwei Personen beim Oralsex konfrontiert, woraufhin ich mich schnell der gegenüberliegenden Wand zuwende. Dort sehe ich ein Bild mit einem Kantinentablett, auf dem ein Teller mit Pommes, eine Tasse und eine Kompottschale abgebildet sind. Darunter befindet sich ein weiteres Bild mit einer vollen Einkaufstüte. Fast profan aber eindringlich wird hier die Lust oder Unlust am Essen geschildert, in puncto Kantinenessen kann man sich hier sicherlich streiten. Da mir auffällt, dass ich die Rückseite der Wand noch nicht betrachtet habe, gehe ich zurück und stehe vor dem nächsten Bild, das mich verwirrt. Zu sehen ist eine Frau in leichter Vogelperspektive mit scheinbar vier Füßen. Vielleicht verdeckt ihr Körper aber auch nur den einer anderen, ich bin mir unsicher und gehe weiter. Zwei Bilder mit s/w-Fotografien von halbbekleideten weiblichen Südseebewohnerinnen aus dem Inselstaat Tonga, in einem Fall mit bräunlich-orangem Hintergrund, im anderen Fall mit einem blauen, thematisieren die ganz eigene Sinnlichkeit dieser Frauen.

Zum Schluss stehe ich vor dem Porträt Bazon Brocks in einer Art schwarzen Richterrobe, das am Halleneingang gleich neben Dietrich Wiesners »Wollust« dem Eintretenden den Weg in die Ausstellung weist. Dem Besucher soll damit vielleicht klar gemacht werden, dass er die Bilder und Objekte nicht nur ansehen, sondern sie auch rezipieren, bewerten bzw. diskutieren und „erleiden“ sollte ganz im Sinne von Brocks Ästhetiktheorie. Alles hängt natürlich mit dem Wollen des Betrachters zusammen, sich mit dem doch heiklen Thema der Lust in allen Formen zu beschäftigen. Eine Anstrengung, die sich trotz aller Gefühlswallungen, die die Werke auslösen können, meiner Meinung nach, lohnt. Darin wird ebenso deutlich, dass sich die Schau in der Viehauktionshalle von denen in einer Galerie oder einem Museum absetzt, wo darauf geachtet werden muss, leise zu sein oder im richtigen Anzug zu erscheinen. Es geht hier eben nicht um das ganze Umfeld der Kunst, sondern die Werke selbst stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Also: Lassen Sie sich verführen!

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