Ausstellungsbesprechungen

Ice / White – Zeitgenössische Internationale Kunst, 10. Kunst- und Kultursommer im Kunstverein KISS, Kunst im Schloss Untergröningen e. V., bis 19. September 2010

Klimawandel, Polarkappenschmelze und Meeresspiegelsteigerung. Diese Themen begleiten uns schon seit geraumer Zeit. Die Faszination »antarktisches Eis« beschäftigt nicht nur Polarforscher, sondern auch viele Künstlerinnen und Künstler, die vor Ort in den Polargebieten die weiße Landschaft und die Lebensbedingungen in anhaltender Kälte erforschen. Ins »ewige Eis« hat sich auch Günter Baumann begeben.

In der Regel machen wir uns warme Gedanken, kaltes Gedankengut halten wir uns dagegen gern vom Hals – und machen kann man sie ja auch nicht. Welch Irrtum! Zumindest der Kunstverein KISS (das steht für Kunst im Schloss) in Untergröningen machte sich in diesem Sommer genau diese Gedanken, die auch noch den Herbst anwehen, bis der selbst mehr oder weniger kühl dem 10. Kunst- und Kultursommer den Garaus macht. So lange ist dort die Ausstellung »WEISS / Ice / White« mit zeitgenössischer internationaler Kunst zu sehen. Hinter dem Konzept stand die Leere des Museums zwischen den Ausstellungen, der die Ausstellungsmacher nun zum Jubiläum füllen wollten – mit der hintergründigen Leere der Farbe Weiß.

Acht Künstler wurden eingeladen, sich in den Polargebieten von Land und Leuten inspirieren zu lassen. Der Impuls liegt auf der Hand: Die Arktis und die Antarktis sind bedroht vom Klimawandel. Jeder weiß um die Gefahren, passieren tut über Sonntagsreden hinweg zu wenig. Doch wo die Politiker frostig schweigen, könnten doch einmal die Künstler Position beziehen. Gesagt, getan: Olaf Otto Becker (München ), Simon Faithfull (Berlin/London), Lutz Fritsch (Köln), Tiina Itkonen (Helsinki), Thomas Mulcaire (Sao Paulo), Jorge & Lucy Orta (Paris) und die Rockband Nunatak (Cambridge) sondierten vor Ort die Lage. Die anderen Teilnehmer schalteten sich später ein, als da sind: Gabriele Basch (Berlin), Eva Borsdorf (Reutlingen), Sabine K. Braun (Stuttgart), Klaudia Dietewich (Stuttgart), Ruth Handschin (Zürich), Erwin Holl (Stuttgart), Jeff Koons (New York), Christine Kowal Post (Lewes / GB), Gerhard Mantz (Berlin / New York), Ulrich Möckel (Beckum), Elodie Pong (Zürich), Thomas Ruppel (Stuttgart), Martin Bruno Schmid (Stuttgart), Katrin Schmidbauer (Berlin ), Ulrich Seibt (Stuttgart), Gert Wiedmaier (Stuttgart). Das Ergebnis lässt einen wohlig erschauern, ob der vorherrschenden Entfärbung des Lebens, und es lässt uns zugleich warm ums Herz werden, weil die zeitgenössische Kunst so selbstbewusst und erfindungsreich an das ungewöhnliche Thema herangehen kann, dass einem um die Kompetenz unsrer kreativen Köpfe nicht bange sein muss: Denn so einfach es ist, saalweise die Schwarzheit in der Kunst vorzustellen, was in den vergangenen Jahren ja auch mancherorts bewiesen wurde, so schwer ist es, das (symbolisch von jeher) reine, unschuldige Weiß einem Motiv-Check zu unterziehen. Im Schloss Untergröningen ist es gelungen, wohl wissend, dass schon der Schnee nicht weiß ist, über den unsere Kinder im Winter tollen (von Cézanne stammt diese bittere Pille: »Schnee ist nicht weiß«). Die an der Ausstellung beteiligten Künstler haben gar nicht erst versucht, Cézanne zu widerlegen, aber sie haben eine köstliche Schau um das kalte Weiß geschaffen, die ihresgleichen sucht.

Der Klimawandel ist in aller Munde, die Erderwärmung geistert über den Planeten, dass man schon die Polkappen schrumpfen sieht. Die wackeren Künstler vor Ort wussten das auch, doch nehmen sie sich den Wandel weniger klimatisch oder politisch als menschlich vor. Becker suchte nach dem Eis »above zero« und machte deutlich, was aus dem Eis über Null Grad passiert; Faithfull verstärkte den Eindruck der Fremdheit der Antarktis durch seine filmische Bullaugenoptik, Fritsch richtete eine Bibliothek, Inbegriff kultureller Kommunikation, im einsamen Eis ein; Itkonen zeigte in ihren Fotos den Lebensalltag der Eskimos; Mulcaire folgte in der Antarktis den Spuren von Stanislaw Lems utopischem Roman »Solaris«; die Rockband »Nunatak« brachte Bilder mit von ihrem kleinen Konzert, das nicht nur vor Pinguinen stattfand; und das Künstlerpaar Orta errichtete ein antarktisches Dorf mit kunterbunten Flaggen. Eine derartig sinnliche, körperliche Berührung mit dem kalten Weiß des Eises konnten die anderen Künstler im Atelier zwar nicht illustrieren, aber die (Nicht-)Farbe Weiß war ihnen Phänomen genug, um mit ihr – in unterschiedlichen Temperaturen und Temperamenten – zu spielen. Basch verunklärt ihre weißen Scherenschnittlandschaften vor weißem Hintergrund; Borsdorf lässt einen über Nägeln gespannten Faden im Schlagschatten zur plastisch-architektonischen Treppe auf der auch weißen Wand werden; Braun steigert dies Linienspiel noch in der kartografischen Vernetzung. Jede erdenkliche Position wird hier aufgeboten, um das Weiß letztlich zu unterminieren, farbig zu erhöhen oder frei zur Disposition zu stellen – mal tritt das Motiv im schlichten Optimismus eines Jeff Koons auf, mal im zweifelhaftem Licht des Fast-Unsichtbaren, wie es keiner so geheimnisvoll-verzweifelt herbeizaubern kann wie Gert Wiedmaier in seinen Wachsbildern.

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